Proteste in Iran: Nicht nur der Hidschab soll weg
Die Proteste in Iran richten sich gegen Zwangsverschleierung und Femizide. Das Regime hat die Wut unterschätzt.
Die Proteste sind eine Reaktion auf den gewaltsamen Tod von Zhina Amini. Eine Kurdin, die die Welt nun unter dem Namen Mahsa kennt, weil der iranische Staat ihrer Familie nicht erlaubte, sie offiziell Zhina zu nennen – weil es ein kurdischer Name ist. Der iranische Staat behauptete zunächst, die 22-Jährige sei an Herzversagen gestorben. Tatsächlich wurde sie bei einer Festnahme durch die Sittenpolizei wohl so verprügelt, dass sie starb.
Die iranische Regierung hat die Lage unterschätzt: Aminis Familie hatte die Behauptungen des Staates als Erste in Frage gestellt. Dann meldete das Krankenhaus, sie sei bereits hirntot eingeliefert worden. Frauen, die mit ihr festgenommen worden waren, bezeugten, dass ihr mehrmals auf den Kopf geschlagen wurde. Und nun schreien die IranerInnen landes- und weltweit: Das war Mord.
Die Proteste und Streiks, die in Kurdistan im Westiran begannen, sind einmalig in der Geschichte des Iran: Zum ersten Mal geht es bei landesweiten Protesten, die sich gegen das gesamte System stellen, konkret um Gendergerechtigkeit, Zwangsverschleierung und Femizid.
Der Kampf gegen die Zwangsverschleierung wuchs an
Der Kampf iranischer Frauen und Transpersonen gegen diesen Zwang hatte bereits viel früher begonnen: Frauen waren die erste soziale Gruppe, die kurz nach der Revolution 1979 gegen das Diktat des Hidschab von Revolutionsführer Ruhollah Khomeini auf die Straße gingen. Damals unterstützten sie weder politische Kräfte noch die meisten Männer. Eher im Gegenteil: Viele Männer hielten das Problem für zu banal, um dafür gegen Khomeini vorzugehen.
Was sie damals nicht verstanden: Wer den Zwang zum Kopftuch, auch Hidschab genannt, durchsetzt, gewinnt letztlich die Möglichkeit, die Sexualität der gesamten Gesellschaft zu kontrollieren. Neben der freien Kleiderwahl von Frauen wurden auch gleichgeschlechtliche Beziehungen sowie der freie Ausdruck der Geschlechtsidentität kriminalisiert.
Doch in den letzten Jahren wuchs der Kampf in Iran gegen die Zwangsverschleierung. Etwa durch die im US-Exil lebende Aktivistin Masih Alinejad, die unter dem Hashtag #MyStealthyFreedom Frauen aufrief, Bilder von ihrer „heimlichen Freiheit“ ohne Hijab zu teilen. Oder 2018, als sich das Phänomen „Die Töchter der Revolutionsstraße“ verbreitete: Frauen und später auch Transpersonen nahmen ihre Kopftücher ab und warteten in Ruhe auf ihre Festnahme durch die Polizei.
Der Konflikt hat sich zu einer Auseinandersetzung zwischen den Befürwortern und den Gegnern des iranischen Systems entwickelt: Im Juli 2022 wurde Sepideh Rashno in Teheran festgenommen. Eine junge Frau, die von einer anderen Frau wegen ihrer Kleidung zurechtgewiesen wurde. Nachdem sie sich weigerte, deren Forderungen nachzukommen, drohte diese ihr, sie bei der Revolutionsgarde anzuzeigen. Nach 47 Tagen Haft und einem erzwungenen Geständnis wurde sie schließlich auf Kaution freigelassen.
Ein vom Staat begangener Femizid
Die landesweiten Proteste der Frauen und Genderminderheiten in Iran passieren also nicht auf einmal und nicht in einem Vakuum. Die sich schnell verbreitenden Bilder von Frauen, die kollektiv ihre Kopftücher abnehmen und diese anzünden, sich öffentlich die Haare abschneiden, sind eine klare Ansage gegen das Regime. Der Staat wollte mit seinem Vorgehen gegen Sepideh Rashno, Zhina Amini und viele andere seinen Kampf gegen Gendergerechtigkeit intensivieren. Jetzt sagen viele Iranerinnen – und viele Männer – dem gesamten System den Kampf an.
In Iran wird gerade feministische Weltgeschichte geschrieben. Die Protestierenden stellen klar: Zhina Aminis Tod war ein vom Staat begangener Femizid. Genderbezogene Parolen bei den Demonstrationen werden nun mit dem wichtigsten Protestruf der letzten Jahre gekoppelt: „Nieder mit der Diktatur!“
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