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Protest an der Alice-Salomon-HochschuleEs geht auch friedlich

Gastkommentar von Ilyas Saliba und Ralf Michaels

Weil sie den Polizeieinsatz bei einer Palästina-Demo verhinderte, geriet die ASH-Präsidentin in die Kritik. Dabei sollte ihr Beispiel Schule machen.

Berlin, 7. Januar: Palästina-freundliche Transparente an der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule Foto: Hanno Fleckenstein

D er politische Druck auf Hochschulleitungen aufgrund ihres angeblich zu laxen Vorgehens gegen Studierendenproteste, die mit Palästina solidarisch sind, hat mittlerweile System. In Berlin traf es Mitte Januar die Alice-Salomon-Hochschule (ASH). Obwohl – vielleicht gerade weil – es Hochschulpräsidentin Bettina Völter gelungen war, Gewalt zu verhindern und die Studierenden zum friedlichen Abziehen zu bewegen, wird sie nun kritisiert. Sogar ihr Rücktritt wird gefordert. Wie absurd.

Studierendenproteste und auch Hörsaalbesetzungen, haben eine lange Tradition, um politische Forderungen sichtbar zu machen. Gleichzeitig bergen sie hohes Konfliktpotenzial: Hochschulangehörige können sich behindert oder sogar bedroht fühlen; Demonstrationen können eskalieren. In solchen Situationen hat die Hochschulleitung die schwierige Aufgabe, zu deeskalieren und mit Fingerspitzengefühl, Einfühlungsvermögen und Diskursbereitschaft zwischen den verschiedenen Interessen zu vermitteln. Genau das hat Völter getan.

An der ASH etwa las man auf Arabisch „Hamas Habibi“; ein Plakat forderte „Friede der Welt, Tod dem Imperialismus“. Die Gipskopie einer Büste der Gründerin und Namensgeberin Alice Salomon wurde mit einer Kufija drapiert, jemand schrieb „Palestine“ auf den Sockel. Dass die Demonstration dennoch ohne Gewalt, ohne das Skandieren diskriminierender Slogans oder andere größere Zwischenfälle stattfinden konnte, ist allein dem Einsatz der Hochschulpräsidentin zu verdanken.

Sie verhandelte mit den Protestierenden die Grenzen der Besetzung: diskriminierende Plakate wurden nach Aufforderung entfernt. Völter veröffentlichte eine Stellungnahme, die Antisemitismus klar verurteilt, sowie die Verbrechen der Hamas und zugleich das jahrzehntelange Leiden der palästinensischen Bevölkerung benennt. Im Nachgang verurteilte sie Äußerungen der Besetzer und erstattete Anzeigen.

Ilyas Saliba

ist Non-Resident Fellow am Global Public Policy Institute in Berlin und Associate Lecturer am Fundamental Rights Centre der Hertie School Berlin sowie Mitglied im Spre­cher:innenkreis der Allianz für Kritische und Solidarische Wissenschaft.

Bild: privat
Ralf Michaels

ist Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht und ebenfalls Mitglied im Spre­che­r:in­nen Kreis der Allianz für Kritische und Solidarische WIssenschaft.

Schräge Vorwürfe

Deeskalieren konnte sie auch deshalb, weil sie der Polizei Grenzen setzte: „Wir brauchen Sie nicht“, erklärte sie den vor einem Ausgang aufgestellten Polizisten, „wir erleben es als bedrohlich, dass Sie vorn am Eingang stehen.“ Die Eskalation, die an der ASH ausblieb, wurde schließlich von anderer Seite angefeuert. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) findet es „völlig unverständlich“, dass Völter die Polizisten als bedrohlich empfinde, nicht aber die „vermummten und gewalttätigen Antisemiten“.

Der Berliner CDU-Fraktionschef Dirk Stettner forderte gar den Rücktritt der Präsidentin. Derartige Übertreibungen verkennen nicht nur die grundgesetzlich garantierte Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit, sie unterwandern zudem die Autonomie der Bildungseinrichtung und die Deeskalationsbemühungen. Ein Sprecher der Polizeigewerkschaft unterstellte Völter „Polizistenhass“ und „Behinderung der Strafverfolgung“, weil sie die Polizei als bedrohlich bezeichnete.

Abgesehen davon, dass insgesamt ASH und Polizei kooperierten, bestätigt auch Amnesty International, dass Demonstrierende die Präsenz der Polizei in der konkreten Situation häufig als bedrohlich empfinden. Ebenso fehl am Platz war die Kritik des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, der Völter mangelnde Sensibilisierung für Antisemitismus zum Vorwurf machte. Jüdische Angehörige der ASH nahmen die Hochschulpräsidentin in Schutz.

Völter sei nach dem Massaker am 7. Oktober 2023 auf sie zugegangen und habe sie in die Gestaltung der Lehre und Veranstaltungsreihen zum Thema Israel/Palästina einbezogen. So fand im Sommer letzten Jahres eine Ringvorlesung zur Sensibilisierung für Antisemitismus statt. Eine weitere Reihe im aktuellen Wintersemester bringt israelische und palästinensische Spre­che­r*in­nen zusammen, die sich für Versöhnung und Verständigung einsetzen.

Gegen den autoritären Wind

Die Skandalisierung der Protestierenden lenkt vom Inhalt ihrer Forderungen ab. Der pauschale Antisemitismusvorwurf verunglimpft legitime Kritik an Israels nachgewiesenermaßen völkerrechtswidrigen Kriegsführung. Umso mehr, da die deutsche Regierung diesen Völkerrechtsverstößen der in Teilen rechtsradikalen Regierung in Israel mit Waffenlieferungen und diplomatischer Rückendeckung weiterhin Vorschub leistet.

Der Bundestag will Ende des Monats einen Entschließungsantrag mit dem Titel „Antisemitismus und Israelfeindlichkeit an Schulen und Hochschulen entschlossen entgegentreten sowie den freien Diskursraum sichern“ verabschieden. Inhaltlich setzt er primär auf staatliche Überwachung und Repression.

Es ist paradox zu meinen, dass die Ereignisse an der ASH einmal mehr Zeugnis für die Notwendigkeit des Antrags seien. Ganz im Gegenteil sind sie der beste Beleg dafür, dass dies der falsche Weg ist. Hochschulen brauchen nicht mehr staatliche Kontrolle, und sie brauchen sicher nicht mehr Sanktionsmechanismen oder Polizei. Hochschulen brauchen die Unterstützung staatlicher Akteure, um ihre Konflikte durch Diskurs und Deeskalation selbst zu konfrontieren.

Und Hochschulleitungen brauchen das Vertrauen, dass sie zulässige Kritik am israelischen Vorgehen von zu verurteilenden antisemitischen Handlungen unterscheiden können. Dass das an der ASH gelungen ist, passt nicht ins Konzept derer, die die Hochschulen unter strengere staatliche Aufsicht stellen wollen.

Die Ankündigung aus den Reihen der CDU, die Hochschulförderung an die Bereitschaft von Hochschulen zu knüpfen, mit Palästina solidarische Demonstrationen zu unterdrücken, zeigt, wie sehr illiberale und autoritäre Reaktionen auf Dissens bereits normalisiert worden sind. Völters Ausruf gegenüber der Polizei – „wir brauchen Sie nicht“ – erhält gegenüber solchen autoritären Tendenzen ihren Wert.

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7 Kommentare

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  • Meinem Empfinden nach hat Frau Völter alles richtig gemacht und damit eine weitere Eskalation des Konfliktes verhindert.



    Zudem arbeitet sie proaktiv an einer Versachlichung des Diskurses an der ASH.



    Wahlkampf-intendierte Forderungen nach Rücktritt von Seiten der Berliner CDU hingegen sind wenig hilfreich.

  • Grenzen setzen muss mensch zuweilen.



    Hier aber überschreitet die CDU Grenzen, pinselt sich selbst scheinbare Judenfreundschaft auf die Brust, wenn es doch nur um Lust am Polizeieinsatz geht, um Abneigung gegen Palästinenser und Völkerrecht und um "Druff" um des Populismus wegen.

    An die SPD Berlin: ihr seid für diese Nase Wegner an der Spitze immer noch mitschuld!

  • Leider sind die immer stärker werdenden autoritären und repressiven Tendenzen des Staates was Demonstrationen; Proteste und co. angeht immer öfter und stärker zu beobachten, nicht nur bei diesem Thema und nicht nur hier in Deutschland. Wenn man in unsere Nachbarländer schaut oder allg. den westl. Demokratien, so ist der Trend seit langem sichtbar. Und es findet auch immer Unterstützung aus der Bevölkerung wenn man nicht die Meinung der Demonstranten teilt. Statt Repression, Unterdrückung, etc für alle abzulehnen, ist es für manche ok solange man selber nicht betroffen ist.



    Wenn Politiker das Vertrauen der Bevölkerung tatsächlich zurückgewinnen wollen, dann sollten sie endlich anfangen auf Diskurs und Deeskalation zu setzen und dazu gehört eben auch sich mit beiden Parteien eines Konflikts zu beschäftigen, auch mal zuhören statt immer nur zu urteilen und zu verurteilen. Gerade was das Thema Nahost angeht kommt ja auch massive Kritik aus dem Ausland wegen der deutschen Haltung die als komplett einseitig empfunden wird und einer Staatsräson die in ihrer derzeitigen Auslegung Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen ignoriert und internationale Gerichte untergräbt.

  • Der Reflex, die Studierenden zu verteidigen, ist nachvollziehbar, aber wenn man sich das Video anschaut, wie die Rektorin die Kamera mit der Hand zu verdecken versucht, kommt es mir eher wie der hilflose Versuch vor, bloß keinen Imageverlust zu riskieren, indem Aufnahmen der nicht ganz so schönen Parolen an die Öffentlichkeit kommen.

    „An der ASH etwa las man auf Arabisch „Hamas Habibi“; ein Plakat forderte „Friede der Welt, Tod dem Imperialismus“. Die Gipskopie einer Büste der Gründerin und Namensgeberin Alice Salomon wurde mit einer Kufija drapiert, jemand schrieb „Palestine“ auf den Sockel.“

    Also das finde ich jetzt nicht nebensächlich und so friedvoll wie im Artikel getan wird.

  • Ein Artikel der tokenism nutzt, wo ist die Recherche jüdische oder israelische Menschen an der ash u zu finden die sich nicht so geäußert haben?

    Friedlich? Wer Gewalt wie Linke auch weiter fasst, der wird bei Ausschluss aus deutschen Universitäten für jene die eine jüdische Heimstätte suchen, Zionismus, Bauchschmerzen bekommen. Das ist nicht friedlich.

    Das ist Gewalt.

    Hamas Verherrlichungen ist für jene mit familiären Beziehungen zu den Verschleppten Geiseln emotional sehr nah an Glorifizierung von gewalttätigen Rechtsextremen. Niemand in der Taz würde „Love NSU“ als nicht gewalttätig abtun. Aber wenn es gegen jüdische Menschen geht bei einigen vielleicht schon?

  • Volle Zustimmung. Frau Völter verdient Respekt für ihr besonnenes, diplomatisches und ausgewogenes Handeln im Sinne aller Studierenden und ihrer Hochschule als Platz der gewaltfreien Kommunikation und Diskussion. Politische Hetzer bei Union und Polizei blamieren sich halt so gut sie können.

  • "Studierendenproteste und auch Hörsaalbesetzungen,haben eine lange Tradition,um politische Forderungen sichtbar zu machen."



    Auch Antisemitismus hat eine lange Tradition.

    "Im Nachgang verurteilte sie Äußerungen der Besetzer und erstattete Anzeigen."



    Das macht sie meiner Meinung nach unglaubwürdig.Hätte sich die Hochschulleitung an den antisemitischen Parolen gestört,wäre sie sofort eingeschritten.Wir hören uns an einer Hochschule auch nicht erst einmal Nazi-Parolen an und reagieren dann "später".

    "... sowie die Verbrechen der Hamas und zugleich das jahrzehntelange Leiden der palästinensischen Bevölkerung benennt."



    Auch die israelische/jüdische Bevölkerung in der Region leidet bereits seit Jahrzehnten.Das Leiden begann schon lange vor der gegenwärtigen gazanischen Regierung Hamas.

    "An der ASH etwa las man auf Arabisch „Hamas Habibi“;..."



    Wenn man das übersetzt,ist die Zielrichtung der Menschen,die dort demonstrierten meiner Meinung nach recht eindeutig.

    "Jüdische Angehörige der ASH nahmen die Hochschulpräsidentin in Schutz."



    Es waren sieben Angehörige der ASH.

    Die Demonstranten waren übrigens vermummt und in den Verwaltungsbereichen.Also dort,wo an jeder Tür ein Namensschild