piwik no script img

Propalästinensische Demos in BerlinImmer wenn es nicht regnet

Seit Tagen eskalieren die „Free Palestine“-Demos in Neukölln. Es kursieren Fake News über einen getöteten Demonstranten.

Bei propalästinensischen Demos in Neukölln sind manchmal antisemitische Parolen zu hören Foto: Christian Jungeblodt

Berlin taz | Zweimal knallt es, zwei der vielen Polizistengruppen spurten los. Donnerstagabend, Punkt acht Uhr auf der Sonnenallee in Berlin-Neukölln. „Ich glaub, langsam fängt’s wieder an“, sagt eine Verkäuferin und huscht zurück in ihren Spätkauf.

Wie am Abend zuvor, als Palästina-Unterstützer:innen sich hier sammelten und „Viva Palästina“ schrien, „Free Palestine“, „Allahu Akbar“, vereinzelt auch „Israel – Kindermörder“. Flaschen, Steine, Böller flogen auf die Polizei, die sprühte Tränengas. So berichteten es verschiedene Medien.

Demonstrierende wurden verletzt, Unbeteiligte. Müllcontainer brannten, später fünf Autos. Nicht tödlich zwar, aber mit Wucht schlägt sich der Nahostkonflikt in Deutschland nieder, besonders in der Hauptstadt. Angeheizt durch den Raketeneinschlag auf einem Klinikgelände in Gaza, der vorschnell Israel zugeschrieben wurde.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Früher am Mittwoch hatte es vor dem Außenministerium in Berlin-Mitte schon eine propalästinensische Sitzblockade gegeben. Trotz Verbot. „Free Palestine from German guilt“ wurde dort gerufen. Und: In der Nacht davor hatten zwei bislang Unbekannte Molotowcocktails in Richtung eines jüdischen Gemeindehauses mit Kita geworfen. Ein Schock. „Die antijüdische Gewalt auf den Straßen Berlins hat damit eine neue Dimension erreicht“, sagte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde.

„Für das Angreifen jüdischer Gebetsstätten gibt es keine Rechtfertigung“, hieß es von der propalästinensischen Gruppe „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“, die in den letzten Tagen immer wieder an Palästina-Demos beteiligt war. Und weiter: „Der Kampf um jüdische Befreiung ist untrennbar vom Kampf palästinensischer Befreiung. Lasst euch das nicht von Rechtsextremisten ausreden.“

Fake News über einen getöteten Jugendlichen machen die Runde

Andere wie die Hamas-nahe Gruppe Samidoun posteten nichts zu dem versuchten Brandanschlag, nur zu Repression, Rassismus und Polizeigewalt bei ihren verbotenen Versammlungen. Tatsächlich warnen auch anerkannte Antirassismus-Stellen wie Reachout vor Vorverurteilungen.

In den sozialen Medien zeigten viele Nutzer jedoch nicht nur tatsächliche Gewalt, sondern deuteten auch fälschlich an, ein Jugendlicher könnte in Polizeihand umgekommen sein. Das war am Mittwoch.

Am Donnerstagabend strahlt von hohen Polizei-Masten Flutlicht über die Sonnenallee. 30 Mannschaftswagen säumen die Straße, die Fernsehkameras laufen, genauso wie die Handykameras der Jugendlichen in den Hauseingängen. Spannung, ob es heute wieder knallt.

Beamte kontrollieren Flugblätter. Aufgereiht am Bürgersteig halten sie vier Zwanzigjährige fest, die ihnen auffällig erscheinen. Und einen 15-Jährigen mit Palituch, der Victory-Finger gezeigt hatte. Zwölf Beamte führen ihn in Handschellen zu ihrem Bus.

Skurrile Ukraine-Vergleiche und zertretene Kerzen

Ins Flutlicht tritt ein Mann, ebenfalls mit schwarz-weißem Tuch, er nickt den Beamten an der Ecke zu. „Die Gewalt der Polizei ist erschreckend“, sagt der Mittvierziger, der nicht mit Namen genannt werden will. Er ist im Westjordanland geboren, seit 20 Jahren in Berlin. Ein Intellektueller aus einem anderen Stadtteil, Vorbeilaufende erkennen ihn und grüßen.

Er zeigt ein Video vom Vorabend: Eine Gruppe hatte statt Müllcontainern Kerzen angezündet, in Trauer um die Toten in Gaza. Die Polizisten im Video zertreten die Kerzen. „Ich habe das heute früh gesehen und geweint. Darüber, wie mit den Menschen umgegangen wird“, sagt der Mann.

Was ist mit der Trauer um die Hamas-Opfer in Israel? „Wenn das ein Angriff von Ukrai­ne­rn auf Russland gewesen wäre, hätten sich die Deutschen gefreut“, sagt er. Ein mehr als schiefer Vergleich.

„Jeder steht unter Generalverdacht, dass er Antisemit ist, wenn er protestiert“, sagt er. Was ist der Unterschied zwischen propalästinensisch und antisemitisch? „Es macht keinen Unterschied, ob der Unterdrücker Jude ist oder nicht“, sagt er. Israel sei ein Staat, der Menschenrechte breche. Die Palästinenser seien auch nicht anders als andere Gesellschaften, es gebe auch da Rassisten. „Aber hier kommt der Großteil des Judenhasses von Biodeutschen.“ Er wolle keinen Staat ohne Juden, aber auch keinen jüdischen Staat.

Zur Großdemo kommt es nicht an diesem Abend. „Weißt du, wo das Problem ist“, sagt ein Teenager zu seinem Freund: „Das Wetter ist beschissen.“ Morgen dann, sagt der andere.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • wo bleibt dertaz-artikel überdie gestrige demo vom o.üöatz zum hermannplatz? der hat's gestern den ganzen tag geregnet?

  • Kenne niemand der sich gefreut hätte wenn die Unraine 1200 russische Zivilisten wahllos massakriert hätte. Aber so kann man sich wohl den eigenen Faschismus schön reden.

    • @Machiavelli:

      Danke, dieses Statement ist mir auch als besonders unangenehm aufgefallen. Erschreckend , wie viele dieser Terrorbejubler von sich auf anderer schließen und dazu noch versuchen das widerliche Massaker der Hamas zu rechtfertigen.

  • "Und einen 15-Jährigen mit Palituch, der Victory-Finger gezeigt hatte. Zwölf Beamte führen ihn in Handschellen zu ihrem Bus."

    ... immerhin gut zu wissen, dass deutsche Polizei ja genau so konsequent auch gegen weiße Nazis und Antisemiten vorgeht.

    • @Hannes Hegel:

      Das sollte die Polizei tatsächlich auch mal tun.

      • @aujau:

        Tut sie ja.

        Einem 15-Jährigen mit Hitlergruß wäre es in Berlin nicht anders ergangen.

        • @rero:

          Mit Wegner als Bürgermeister? Nee, der fischt gerne am rechten Rand.