Kongress zu kritischer Männlichkeit: Das Private ist politisch – aber bitte ohne Presse!
Bei einem Kongress am Wochenende in Berlin haben sich Männer mit Feminismus befasst. Wie wichtig das ist, zeigt das Verhalten der Veranstalter selbst.
Wieso?
Die Antworten darauf lieferte der Kongress teils selbst. Sie werden hier – entgegen dem Wunsch der Veranstalter – wiedergegeben. Denn erstens herrscht in Deutschland Pressefreiheit. Zweitens hat die taz-Reporterin sich noch nie von Männern sagen lassen, was sie zu tun hat, auch nicht von linken. Und drittens waren Programm und Inhalte des Kongresses einfach zu gut, um nicht darüber zu berichten.
Wer am Samstagfrüh im Mehringhof ankommt, wird freundlich begrüßt. Männer lächeln und verkaufen selbstgebackenen Kuchen. Die Stimmung ist deutlich offener als bei anderen linken Veranstaltungen.
Im ersten Stock startet ein Crashkurs zu Männlichkeitskritik. „Das Ganze kommt natürlich aus dem Feminismus und sollte auch immer daran rückgekoppelt sein“, erklärt gleich zu Beginn die Seminarleitung Profx. Dr. Mart Busche von der Berliner Alice-Salomon-Hochschule. Das „x“ am Titel soll anzeigen, dass Busche nichtbinär ist.
Zu Beginn stellen sich erst eine taz-Reporterin und dann eine Person vom Missy Magazine vor. Verpflichtet sind Journalist*innen dazu nicht. Wer investigativ recherchiert, etwa über Vergewaltiger in der linken Szene, würde sich eher nicht als Journalist*in zu erkennen geben. Im Workshop wird kurz darum gebeten, dass Zitate autorisiert werden – und los geht’s.
Profx. Dr. Busche erklärt, warum kritische Männergruppen in den 1970er Jahren entstanden sind: Zum einen hätten Frauen keinen Bock mehr gehabt, die feministische Arbeit allein zu machen. Zum anderen hätten Männer erkannt, dass das Patriarchat auch ihnen nicht nur guttut. Was unter Männlichkeit verstanden wird, hat sich im Laufe der Zeit verändert. „Neben traditionellen, lauten und aggressiven Männlichkeiten erlangen zunehmend auch regulierende, fürsorgliche und progressive Aufmerksamkeit“, sagt Busche.
Praktisch heißt das: Wenn Männer mehr Care-Arbeit leisten, was Feminist*innen begrüßen, beendet das nicht automatisch das Patriarchat. „Männer übernehmen teils weibliche Praktiken, werten diese auf und nutzen sie, um damit wiederum Dominanz herzustellen“, so Busche. Da hört man dann Sätze wie: „Wenn ich Vater werde, dann mache ich das aber richtig.“ Und wer kennt sie nicht, die sogenannten „performative males“, die feministische Texte lesen, sich die Nägel lackieren oder Perlenschmuck tragen – aber nicht, weil sie queer sind oder Geschlechternormen sprengen wollen, sondern, weil sie hoffen, dadurch mehr Anerkennung oder Sex zu bekommen.
Ein 44-jähriger Mann, dem Gleichberechtigung wichtig ist, der sich bisher aber kaum theoretisch damit befasst hat, sagt zur taz über den Workshop: „Ich finde, Mart Busche hat die Kritik auf sehr angenehme Art vermittelt, das konnte ich gut annehmen.“ Ihm sei aufgefallen, dass viele Fachbegriffe verwendet wurden – von „intersektional“ über „eurozentristisch“ bis „ableistisch“. Zwar hätte er sich durch die Seminarleitung ermutigt gefühlt, jederzeit Nachfragen zu stellen – getan habe er das aber nicht, weil er den Eindruck hatte, alle anderen im Raum kannten die Begriffe. „Hier hat ja fast jeder irgendwas Lilanes an“, sagt er und lacht.
Besonders interessant fand der Teilnehmer, dass Busche erforscht hat, unter welchen Bedingungen Jungen nicht gewalttätig werden. In diesem Sinne würde er sich wünschen, dass es noch mehr darum geht, „welche männlichen Eigenschaften eigentlich gut und erhaltenswert sind, zum Beispiel Mut oder Entscheidungsfreudigkeit.“ Nicht die Eigenschaften seien schließlich das Problem, sondern der Druck, dass jeder Mann diese permanent erfüllen müsse, und die Tatsache, dass man sie von Frauen weniger erwarte.
Wie ein kritischer Mann sein soll, wird hier nicht gesagt. „Darauf gibt es keine einfache Antwort, das ist klar“, sagt eine 35-Jährige. „Die Arbeit, sich neu zu erfinden, müssen Männer schon selbst machen. Aber ich habe festgestellt, dass praktische feministische Tipps den Motivierten helfen können – gerade bei den ersten Schritten.“
Der männliche Wunsch nach Kontrolle
Im Workshop geht es auch um die weltweiten Versuche der „Resouveränisierung“ von Männern, die Macht und Kontrolle wollen. Männer tun alles Mögliche, um ihre Vormachtstellung zu verteidigen oder zurückzuerobern, wo der Feminismus sie ihnen abspenstig gemacht hat. Viele denken da gleich an Monster wie Trump.
Wichtig ist aber: Diese Kämpfe führen alle möglichen Männer, unabhängig von Parteibuch oder Milieu. Wissenschaft und Feminist*innen warnen deshalb schon lange, dass „Antifeminismus eine Brückenideologie“ ist. Eine Teilnehmerin erklärt das ihrem Freund in der Pause so: „Wenn Männer gemeinsam Gleichstellung bekämpfen, schadet das nicht nur Frauen und Queers, es verbindet gleichzeitig neue Akteure miteinander und stärkt so autoritäre Allianzen – unter denen am Ende alle leiden.“
Autoritär war leider auch, wie die Organisatoren der Männerkonferenz mit der taz-Reporterin umgesprungen sind. Diese hatte sich im Voraus per E-Mail angekündigt. Nach dem Workshop unterhält sie sich mit einer Teilnehmerin. Als die Frau schildert, dass sie wegen „linken Mackern“ aus einem Wohnprojekt ausgezogen ist, unterbricht ein Mann aus dem Orga-Team die beiden Frauen und verbietet das Interview.
Was soll das denn? Fehlt hier Medienkompetenz? Linke Journalist*innen beklagen immer wieder, dass gerade Linke oft ihre Allies nicht kennen. Wessen Berichterstattung unterstützt man, wen wiegelt man lieber ab? Um das herauszufinden, hilft es, ab und zu Zeitung zu lesen.
Aber vielleicht war es auch etwas ganz anderes! Steckt hinter dem Versuch, die Reporterin zu beschränken, das auf der Konferenz viel besprochene männliche Bedürfnis nach Kontrolle? Haben die Organisatoren womöglich Angst vor dem „female gaze“, also aus der Sicht einer Frau dargestellt zu werden? Die Reporterin geht erst mal einen Kaffee trinken.
„Verletzender, wenn die eigenen Leute diskriminieren“
Am Abend besucht sie dann den Workshop „Ich bin weiter als du! – Konkurrenzdynamiken unter kritischen Männern“. Auf eine Tafel sind Post-its mit Stichpunkten gepinnt wie: „nicht typisch handeln“, „das richtige Leben im Kleinen versus das große Ganze“, „viel verletzender, wenn die ‚eigenen‘ Leute diskriminieren“, „Übersprungshandlungen“, „Zerwürfnisse“.
Dann verbietet auch hier der männlich zu lesende Seminarleiter der Reporterin der taz die Berichterstattung. Eine männlich zu lesende Person wirft ein, sie fühle sich bei dem Thema „vulnerabel“, also verletzlich. Das stimmt sicher! Wenn Männer Schwäche zeigen, wird das im Patriarchat teils sanktioniert.
Hier ist das jedoch unwahrscheinlich, die Teilnehmenden haben nicht einmal ihre vollen Namen genannt. In der Zeitung könnte dann stehen (fiktive Beispiele): Ein Mann weint, als er zugibt, dass auch er schon sexuell übergriffig war. Oder: Ein Teilnehmer erzählt zitternd, wie er unter der Gewalt seines Vaters gelitten hat. All das ist furchtbar und sollte sich ändern. Dafür muss es öffentlich debattiert werden. Denn „das Private ist politisch“, wie auf dem Kongress mehrfach betont wird.
„Wenn Presse da ist, verändert das einfach die Stimmung im Raum“, schimpft die männlich zu lesende Person weiter. Ja, auch das ist richtig und der Wunsch nach Vertraulichkeit nachvollziehbar. Er wird Männern in dieser Welt an sehr vielen Orten erfüllt: bei Therapeuten, Priestern, Kumpels, in Hinterzimmern, Männergruppen und so weiter. Sogar bei Kongressen gibt es manchmal einzelne Panels, die im Programm markiert sind und bei denen die Presse gebeten wird, nicht zu berichten. Wünscht Mann sich allerdings reine Geheimzirkel, sollte Mann vielleicht keinen öffentlich beworbenen Kongress veranstalten, sondern sich klandestin in Kellerräumen treffen.
Die Reporterin starrt auf ein Post-it. „Scheitern ist vorprogrammiert“ steht darauf. Sie fühlt sich unwohl und überlegt, was sie nun tun soll. Dass diese Männer nicht auf ihre Lösungsvorschläge eingehen, überrascht sie nicht. Weniger „Fokus auf sich“ und die „Bedürfnisse anderer“ ernst zu nehmen, ist laut einem Post-it schließlich etwas, das die kritischen Männer hier erst noch besser lernen wollen. Angesichts der feindseligen Stimmung ihr gegenüber entscheidet sie zu gehen, bevor dieser kleine Männerbund noch die Mistgabeln auspackt.
Teilnehmende empört vom Umgang mit der Presse
Einige Teilnehmende folgen ihr nach draußen – sichtlich empört. „Was war das denn?“, fragt ein circa Dreißigjähriger. „Ich fände gut, wenn du darüber schreibst. Ich sehe Berichterstattung als Geschenk, besonders wenn sie kritisch ist. Nur so können sich Diskurse doch weiterentwickeln“, sagt er. „Außerdem müssen wir dringend raus aus unserem Elfenbeinturm.“
Kongress-Teilnehmer
Ein Anfang 50-Jähriger entschuldigt sich bei der Reporterin, dass er sich nicht gleich klar solidarisch verhalten habe. „Ich habe nicht schnell genug realisiert, dass hier gerade eine Frau in einem männlich dominierten Raum angegangen wird“. Die einzige weiblich gelesene Person fragt, wie es der Reporterin gerade geht, was sie jetzt braucht, ob sie ihren Text noch machen möchte oder gar machen muss, weil sie finanziell von dem Honorar abhängig ist.
Kurz darauf senden die Kongress-Organisatoren, die sich selbst als klassenkämpferisch begreifen dürften, eine E-Mail an die taz-Chefredakteurin, in der sie sich über die Mitarbeiterin beschweren. Sie behaupten darin, dass sie sich über das Medieninteresse „freuen“ und schreiben zugleich, sie „verwehren“ sich dagegen, dass „die auf dem Kongress gesammelten Gesprächsinhalte“ verwendet werden.
Nach dem Kongress wendet sich noch ein anderer Teilnehmer an die Reporterin: Er möchte bitte zitiert werden. Er sagt: „Dass die Veranstalter eines Männerkongresses eine feministische Journalistin verjagen, zeigt, wie viel wir noch zu tun haben.“ Die Aussage kann die taz nur unterschreiben – und wünscht den Herren dabei von Herzen viel Erfolg!
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