Polizeiforscher über Polizeistudie: „Das ist schon sehr verharmlosend“
Eine Polizeistudie sieht die Polizei als demokratisch gefestigt. Der Kriminologe Rafael Behr liest das anders – und findet die Ergebnisse alarmierend.
taz: Herr Behr, gerade wurde die große Polizeistudie veröffentlicht, bezahlt vom Bundesinnenministerium. Das Ergebnis: Nur eine minimale Zahl an Polizist*innen hat ein geschlossen demokratiefeindliches Weltbild, laut Studienleiterin Anja Schiemann gibt es „kein Rassismusproblem in der Polizei“. Andererseits wurden „mehr als nur Einzelfälle“ an problematischen Einstellungen festgestellt. Sie haben Kritik an der Studie. Welche?
der Kriminologie war zuletzt Professor für Polizeiwissenschaften mit den Schwerpunkten Kriminologie und Soziologie an der Polizeikademie Hamburg. 2024 ging er in den Ruhestand.
Rafael Behr: Ehrlich gesagt kann ich die Entwarnung, mit der die Studienergebnisse verkündet wurden, nicht nachvollziehen. Wer sich diese Studie genau anguckt, findet dort höchst beunruhigende Aussagen. Und dass die Polizei kein Rassismusproblem hat, kann man damit überhaupt nicht feststellen: Weil diese Studie danach gar nicht explizit gefragt hat. Daher sind die Schlüsse, die daraus nun gezogen werden, schon sehr verharmlosend.
taz: Ob es eine Studie zu rassistischen Einstellungen in der Polizei geben soll, war lange politisch strittig. Am Ende war es ein Kompromiss: Untersucht wurde der Polizeialltag und darin auch die Einstellungen der Beamt*innen. Hätte man die Studie anders aufziehen sollen?
Behr: Absolut. Denn die diskutierte Frage, ob in der Polizei Strukturen existieren, die Rassismus befördern, wurde damit ja gar nicht mehr untersucht. Genau hier aber wäre Forschung nötig, davor drückt sich die Polizei seit Langem. Wer nicht konkret nach Rassismus fragt, bekommt auch keine Antwort darauf. So hat die Studie genau das rausbekommen, was die Innenminister und Gewerkschaftsfunktionäre hören wollten. Aufklärung zum Rassismus und zur Diskriminierung ist damit aber nicht verbunden.
taz: Die Studie stützt sich auf zwei Onlinebefragungen von 40.000 Polizist*innen, eine große Stichprobe. Und es wird festgehalten, dass ein Drittel der Polizist*innen im Dienst rassistische Äußerungen wahrnehmen. Da wird das Problem doch sichtbar.
Behr: Aber was genau heißt das? Gegen wen richteten sich diese Äußerungen? Und vor allem wieder die Frage: Welche Strukturen existieren in der Polizei, die solche Äußerungen befördern? Dazu erfahren wir in der Studie nichts. Und mir ist auch an einigen Stellen nicht klar, wer da befragt wurde: War es die Basis? Wie viele Führungskräfte waren beteiligt? Waren es die Vollzugskräfte oder das polizeiliche Gesamtpersonal? Dazu haben freiwillige Onlinebefragungen ein grundsätzliches Problem: Es melden sich dort nur diejenigen, die ohnehin aufgeschlossen gegenüber dem Thema sind. Und diese äußern sich dann zumeist so, wie sie es für sozial erwünscht halten. Tatsächliche Haltungen lassen sich so im Grunde nicht erheben.
taz: Das Problem hat die Sozialforschung immer. Dennoch stellt die Studie fest, dass es etwa bei der Ablehnung von Asylsuchenden oder Muslimen durch die Polizeimitarbeitenden teils recht hohe Werte gibt – die zuletzt sogar noch gestiegen sind.
Behr: Das ist ja umso beunruhigender. Denn ein noch weit größerer Prozentsatz an Mitarbeitenden dürfte auch so denken, das aber nicht äußern. Und mich beunruhigen auch die Aussagen zu autoritären Einstellungen. Immerhin 13 Prozent der Befragten bekennen sich in der Studie offen zu solchen Positionen. 59 Prozent äußern sich hier ambivalent – hier weiß man also nicht, was sie denken und wann sie eher autoritär und wann demokratieorientiert agieren.
Wenn aber 72 Prozent der Polizisten nicht klar demokratieorientiert sind, kann man nicht sagen, dass es kein Problem gibt. Denn autoritäre Haltungen sind der Humus für Rigidität und letztlich auch Extremismus – umso mehr in einer Organisation, die für Recht und Ordnung einsteht.
taz: Dass sich etliche Befragte in Einstellungsfragen ambivalent äußern, sehen auch die Studienautor*innen kritisch und wollen hier in ihrer Folgestudie nachhaken.
Behr: Das wäre unbedingt nötig, ja. Denn wie soll eine Polizei die Demokratie schützen, wenn sie in dieser Frage selbst wankelmütig ist? Das macht mir Sorge.
taz: Die Studie vergleicht die Einstellungen der Polizeimitarbeitenden mit denen der Gesamtbevölkerung, anhand der Mitte-Studie, und sieht hier weitgehende Überschneidungen. Was aber auch nicht wirklich beruhigt, oder?
Behr: Keinesfalls. Und dieser Vergleich ärgert mich auch. Denn man kann doch Polizeibeamte, die Hoheitsaufgaben und ein Gewaltmonopol haben, nicht mit der Normalbevölkerung vergleichen. Da müssen ganz andere, höhere Maßstäbe angelegt werden. Und mich ärgert noch etwas.
taz: Und zwar?
Behr: Bei den Fragen, wie es zu Diskriminierungen durch die Polizei kommt, werden nur Belastungsfaktoren benannt: allen voran Provokationen und Gewalt von Personen, gegen die sich Einsätze richten. Das ist ungefähr das Erklärungsniveau von 1990 und umfasst längst nicht alle Faktoren. Denn natürlich gibt es auch Gründe für diskriminierendes Polizeihandeln, die in den Beamten selbst und den Polizeistrukturen liegen.
Und was heißt überhaupt Gewalt gegen die Polizei? Viele Handlungen, die als Angriffe auf die Beamten bezeichnet werden, haben nämlich nichts mit physischer Gewalt zu tun. Auch in der Studie werden darunter ja in 67 Prozent der Fälle Beschimpfungen gefasst. Diesen Gewaltbegriff zu hinterfragen, das hat die Studie leider versäumt.
taz: Sie waren selbst sehr lange in der Polizeiforschung aktiv. Wie hätten Sie es besser gemacht?
Behr: Der Ansatz hätte eine Feldforschung sein müssen – so wie es zuletzt die Studie der Polizeiakademie Niedersachsen vorgemacht hat, die nicht online Beamte befragte und ihnen Glauben schenkte, sondern sie ein Jahr im Dienst begleitete und verfolgte, welche Arbeitsabläufe etwa Diskriminierung begünstigen. Dort wurde also tatsächlich auf strukturelle Gegebenheiten und Risiken geschaut.
taz: Auch die Forscher*innen der jetzt veröffentlichten Polizeistudie waren neben den Onlinebefragungen in Dienststellen und führten persönliche Interviews.
Behr: Aber nur sehr handverlesen. Um wirklich einen Eindruck zu bekommen, wie sich die Beamten im Dienst tatsächlich äußern und verhalten, braucht man schon eine längere Beobachtung als nur ein paar Tage. Aber einen Verdienst hat die Studie schon: Sie ergänzt Puzzlestücke im immer noch sehr überschaubaren Feld der Polizeiforschung. Und sie bietet eine Gesprächsgrundlage, auf der man jetzt weiterdiskutieren kann – ich würde sagen: muss.
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