Polizeichef hilft „Querdenkern“: Keine Berührungsängste nach rechts
In Zwickau verdrängte ein „Querdenken“-Aufmarsch ein interkulturelles Fest. Zuvor hatte der Revierchef der Polizei Informationen durchgesteckt.
Nun stellte sich zu allem Überfluss heraus, dass der örtliche Revierleiter der Polizei, Kay-Uwe Mittmann, die extreme Rechte per E-Mail mit Informationen zum Versammlungsgeschehen versorgt haben soll – namentlich den Chemnitzer Rechtsanwalt Martin Kohlmann, der die Veranstalter des „Querdenker“-Aufmarsches vor Gericht vertrat.
Kohlmann ist Gründer der rechtsextremen Kleinpartei „Freie Sachsen“, die maßgeblich zu den sogenannten Corona-„Spaziergängen“ im Freistaat mobilisiert. Es läuft ein Disziplinarverfahren gegen den Beamten, die Staatsanwaltschaft Zwickau ermittelt wegen des „Verdachts der Verletzung von Dienstgeheimnissen“.
Kay-Uwe Mittmann wurde auf einen anderen Posten versetzt, aber nicht vorläufig suspendiert, was die Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz von der Linkspartei konsequenter gefunden hätte. Laut Informationen der „Freien Presse“ ist der Beamte nun zuständig für die Planung von Polizeieinsätzen. „Zugang zu wichtigen Informationen hat er allemal“, schreibt die Zeitung.
Mittmanns Nähe zu Querdenkern nicht überraschend
Für Sachsens neuen Innenminister Armin Schuster (CDU) ein höchst unangenehmer Vorfall. Er sagt der taz: „Der Verdacht, Dienstgeheimnisse verraten zu haben, ist ein schwerwiegender Vorwurf – ganz besonders, wenn die Dienstgeheimnisse extremistischen Bestrebungen zugänglich gemacht werden.“ Die von der Landespolizei eingeleiteten Schritte seien deshalb „folgerichtig und angemessen“.
Für Beobachter:innen kam die Sache mit Mittmann, der seit Februar 2020 Revierleiter war, nicht überraschend. Er pflegte seit Monaten eine Rolle als Vermittler zwischen den verschiedenen Lagern in der Stadt. Das Bündnis für Demokratie und Toleranz ermunterte er nach taz-Informationen zu Gesprächen mit den örtlichen Rechtsradikalen.
Im Februar ließ sich Mittmann von der Lokalzeitung „Freie Presse“ porträtieren. Dort sagte er zum Beispiel, dass er die Corona-Proteste in Zwickau „aus polizeilicher Sicht als nicht konfliktbehaftet und daher als praktikabel und angenehm“ empfinde. Und: „Ich unterscheide bei Versammlungen nicht zwischen Gut und Böse. Solange Versammlungsteilnehmer den gesetzlich gesteckten Rahmen nicht verlassen, haben alle einen Anspruch, mit ihren Anliegen angehört und berücksichtigt zu werden.“
Interkulturelles Fest nicht als Versammlung eingestuft
Im Fall des interkulturellen Festes „Zwikkolör“ ergab sich aber die kuriose Situation, dass dieses vom Verwaltungsgericht Chemnitz nicht als Versammlung eingestuft wurde. Im Beschluss ist die Rede von „Volksfesten und Vergnügungsveranstaltungen“ sowie „Veranstaltungen, die der bloßen Zurschaustellung eines Lebensgefühls dienen“ – darunter wurde auch das interkulturelle Fest gezählt.
Gegenüber dem extrem rechten Aufmarsch in der aktuellen Formation „Volksstimme Bürgerbündnis Zwickau“, der den Versammlungsstatus erhielt, galt „Zwikkolör“ somit als nachrangig. Der Revierleiter der Polizei soll diese Linie schon Wochen zuvor offensiv vertreten haben. Und wird dafür nun von den „Freien Sachsen“ gefeiert. Die rechtsextreme Kleinpartei wertet die Versetzung des Beamten als „politische Säuberungsaktion“.
Dass zu der von den Rechtsradikalen organisierten Coronaleugner-Demo letztlich statt der angekündigten 1.500 Teilnehmer:innen nur – nach unterschiedlichen Schätzungen – zwischen 250 und 380 Leute kamen, war nach der Absage des interkulturellen Festes egal. Bei „Zwikkolör“ sollten unter anderem Kindergartengruppen auftreten, die Westsächsische Hochschule wollte ihre Studienmöglichkeiten vorstellen, von slowakischen Süßwaren bis zur Ukrainehilfe war ein buntes Programm geplant.
Sorge um gesellschaftlichen Zusammenhalt
Am Dienstag sitzt im Zwickauer Rathaus eine zerknirschte Gleichstellungs- und Integrationsbeauftragte: Ulrike Lehmann hatte mit ihrem Team über Monate für „Zwikkolör“ gearbeitet, das erstmals seit der Pandemie wieder stattfinden sollte. Die Polizei war seit Februar, also lange vor der Anmeldung der „Querdenker“-Demo, einbezogen.
Im Raum steht die Frage: Wäre ein Rummel auch verhindert worden? Lehmann weiß das nicht genau. Fassungslos ist sie über die Vorgänge in jedem Fall: „Diese Leute reden von ‚Corona-Diktatur‘. Aber sie nutzen die Mechanismen eines demokratischen Staates bis ins Letzte aus. Das ist widersinnig.“
Ulrike Lehmann versteht nicht, warum ihr Fest nicht als politisches Statement gilt, gerade in Zwickau, einer Stadt mit ausgeprägter rechtsradikaler Szene. Sie wolle den Bürgerinnen und Bürgern „niedrigschwellige Angebote für ein friedliches Zusammenleben“ machen, sagt sie. „Es geht um den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Rückzug von Marco Wanderwitz
Die Bedrohten
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül