Politökonom über Luxus: „Wir wollen kollektiven Wohlstand“
Auch ohne Verzicht können alle im Luxus leben, sagt Politökonom Lukas Warning. Ein Gespräch über Vergesellschaftung, Segelyachten und das gute Leben.
wochentaz: Herr Warning, Sie sind einer der Herausgeber:innen des Buchs „Öffentlicher Luxus“. Essen wir in Zukunft also alle Kaviar an öffentlichen Ausgabestellen?
Lukas Warning: (lacht) Nein, natürlich nicht. Kaviar steht für eine Art von privatem Luxus einzelner Superreicher, den wir uns inmitten der Klimakrise als Gesellschaft nicht mehr leisten können. Andere Beispiele für diese Form von Luxus wären Privatjets oder Superyachten. Das sind Bespaßungsmittel für das reichste Prozent, welches für mehr Emissionen verantwortlich ist als die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung zusammen. Das ist nicht der Luxus, für den wir politisch streiten wollen.
Warning ist politischer Ökonom und Mitbegründer des Thinktanks communia. Dort entwickelt er Strategien für eine demokratische Wirtschaft und hat gerade das Buch „Öffentlicher Luxus“ (Dietz Verlag) herausgegeben mit Beiträgen u. a. von Nancy Fraser, Simin Jawabreh, und Eva von Redecker.
Was ist dann Ihr Verständnis von Luxus?
„Öffentlicher Luxus“ bedeutet, dass alle Menschen unbeschränkten Zugang zu den Dingen haben, die sie für ein gutes und schönes Leben brauchen. Das umfasst alle lebensnotwendigen Bereiche, von der Energieversorgung über Mobilität, Wohnraum, Bildung, Gesundheit, Pflege, digitale Infrastruktur und noch viel mehr. Diese Dinge müssen für alle Menschen – unabhängig vom Aufenthaltsstatus – zugänglich sein, sie müssen klimagerecht umgebaut und sie müssen demokratisiert werden, damit wir nicht in alte Bürokratiemuster zurückfallen.
Viele Menschen verstehen „Luxus“ anders. Als gerade nicht lebensnotwendig, etwas Exklusives. Ist es angebracht, die Erfüllung von Grundbedürfnissen als „Luxus“ zu bezeichnen?
Fakt ist ja, dass diese Dinge derzeit nicht allen Leuten zur Verfügung stehen. Uns geht es um grundlegende Rechte, dass sich niemand Sorgen machen muss, ob er oder sie über die Runden kommt. Diese Freiheit, diese Sicherheit, für die Mehrheit der Gesellschaft wäre das echter Luxus. Das geht über die Erfüllung von Grundbedürfnissen hinaus. Wir wollen einen kollektiven Wohlstand, in dem etwa die Bahn oder öffentliche Schwimmbäder nicht nur funktional sind – sondern auch in der Nutzung schön und angenehm.
Eine umfassende Grundversorgung für die gesamte Bevölkerung ist teuer. Welche Maßnahmen der Umverteilung sind für Ihre Vision nötig?
Zunächst muss man fragen, woher der Wohlstand in unserer Gesellschaft kommt. Der entsteht nicht aus dem Nichts, sondern wird von uns, den Vielen, erarbeitet. Das schließt neben der klassischen Lohnarbeit vor allem die Reproduktions- und Sorgearbeit ein, die immer noch meistens von Frauen im Hintergrund erledigt wird. Darunter fällt etwa die Kindererziehung, ohne die die gesamte Produktion nicht möglich wäre, die aber trotzdem unbezahlt bleibt. Hinzu kommt, dass staatliche Systeme wie das Eigentumsrecht oder die Bereitstellung grundlegender Infrastruktur das Wirtschaften erst möglich machen. Weitere Quellen von Reichtum sind die Ausbeutung der Natur und von rassifizierten Menschen, die weltweit besonders extrem ausgebeutet werden. Diese Dinge erschaffen Wohlstand, der privat angeeignet und dadurch extrem ungleich verteilt wird. Das war nicht immer so – und muss auch nicht so bleiben.
Was fordern Sie konkret?
Dieser gesellschaftliche Überschuss muss abgeschöpft werden, um das Öffentliche zu priorisieren. Das geht über Steuergerechtigkeit, über Vermögens- und Erbschaftssteuern und eine vernünftige Besteuerung von Konzernen – erfordert aber auch Vergesellschaftungen. Wir müssen also die Daseinsvorsorge den Händen ihrer derzeit privaten Eigner:innen entreißen, damit wir sie für unser aller Wohl gestalten können.
Das klingt nach der Abschaffung des Kapitalismus.
Das Projekt des öffentlichen Luxus kann ein Fenster in eine postkapitalistische Welt bereiten – und ist trotzdem ein Projekt, mit dem sich im Hier und Jetzt ansetzen lässt. Wie der Weg in den öffentlichen Luxus aussieht, wird in verschiedenen Sektoren unterschiedliche Formen annehmen.
Das bekannteste und bisher einzige Projekt für eine großflächige Vergesellschaftung war der erfolgreiche Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ in Berlin. Wie könnte Wohnraum demokratisch selbstverwaltet werden?
Die Initiative schlägt eine Anstalt öffentlichen Rechts vor, die die etwa 250.000 zu vergesellschaftenden Wohnungen verwalten soll. Diese Anstalt wäre ein öffentliches Organ, würde aber nicht von einer Regierung dominiert. Es gäbe eine Reihe von Ebenen, wobei alle Entscheidungen auf möglichst niedriger Ebene getroffen werden sollten. Die Gestaltung eines Hinterhofes wäre Angelegenheit eines Wohnblocks, ein neuer Kiezladen des ganzen Viertels. Für größere Verteilungsfragen müssten Vertreter:innen von Mieter:innen, den Beschäftigten der Anstalt und der Stadtgesellschaft gewählt werden.
Das klingt nach einer Menge Plena. Muten Sie den Menschen nicht zu viel zu, wenn sie sich nach Lohn- und Carearbeit noch mit der Verwaltung ihres Wohnblocks rumschlagen müssen?
Ich glaube, man traut den Menschen endlich etwas zu, als ihnen etwas zuzumuten. Zugleich ist es extrem wichtig, das Ganze im Blick zu halten. Je mehr wir uns dem öffentlichen Luxus annähern, desto weniger zentral wird die Rolle der Lohnarbeit. Wenn ich günstig an Wohnraum komme und meine Altersvorsorge gesichert ist, habe ich mehr Zeit für andere Dinge. Aber natürlich ist es wichtig, Beteiligung zu ermöglichen – die Leute sollten deshalb Fortbildungen erhalten, je nach Aufwand bezahlt und von der Arbeit freigestellt werden.
In Berlin sperrt sich die Politik weiter gegen eine Umsetzung der Vergesellschaftung. Lässt sich der Kapitalismus über solche Projekte wirklich sukzessive abschaffen?
Das Grundgesetz ist hinsichtlich der Wirtschaftsform neutral. Das heißt, vieles ist möglich. Und selbst wenn wir nicht sagen können, ob wir den Kapitalismus in Gänze überwinden können, lohnt es sich, sich zusammen zu tun. So lernen wir Nachbar:innen kennen, können im Kleinen widerständige Räume schaffen, um uns zum Beispiel gegen Abschiebungen oder Zwangsräumungen zur Wehr zu setzen. Was ist die Alternative? Wir haben nichts zu verlieren, aber eine Welt zu gewinnen.
Gegner:innen von Vergesellschaftung argumentieren, eine kollektive Verwaltung von Gütern scheitere letztlich an zu viel Bürokratie, Korruption und Verschwendung.
Tatsächlich ist es viel effizienter, wenn die Daseinsvorsorge frei zugänglich gestaltet ist. Zum Beispiel fallen Strafsysteme weg, wenn es im ÖPNV keine Kontrolleur:innen mehr gibt und in Gefängnissen keine Leute mehr sitzen müssen, nur weil sie sich keinen Fahrschein leisten können. Im Gesundheitsbereich bräuchte es keine hundert gesetzlichen und erst recht keine privaten Krankenversicherungen mehr. Ärzt:innen und Pfleger:innen müssten nicht wie derzeit die Hälfte ihrer Zeit mit Bürokratie verbringen. Wenn wir uns von der Profitlogik befreien, werden ganz neue Möglichkeiten entstehen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Manche Aktivist:innen in der Klimabewegung betonen, dass die Menschen im Globalen Norden längst über ihre Verhältnisse leben. Sie sprechen nicht über Verzicht. Warum?
Vergangenes Jahr ist in Berlin der Klimavolksentscheid gescheitert. Formal lag das am Quorum, aber auch so sind über 400.000 Menschen zur Wahl gegangen, um gegen den Klimaschutz zu stimmen. Warum? Ich glaube, die Leute ahnen, dass der Verzicht innerhalb der aktuellen Klimapolitik bei den hart arbeitenden Menschen liegen wird. Die Lehre: Wir brauchen ein begeisterndes Projekt für eine gerechte Transformation, das kollektive Fülle verspricht und dieses Versprechen auch halten kann. Dieses Projekt ist der öffentliche Luxus.
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