Polarisierung der Gesellschaft: Wie vereinigen wir uns wieder?
Bei Themen wie der Klimakrise oder Migration brodelt es in den Kommentarspalten der sozialen Medien. Wie bringen wir Menschen wieder zusammen?
Kaum tauchen Themen wie Klimakrise, Migration oder Queerness in den sozialen Medien auf, schon brodelt es in den Kommentarspalten. Die Fronten scheinen sich schnell zu verhärten. Glaubt man den Social-Media-Diskussionen, scheint das Land politisch gespalten zu sein.
In diesem Kontext unterscheiden Kommunikationswissenschaftler oft zwischen Fragmentierung und Polarisierung. Bei der Fragmentierung teilen sich Nutzer in kleinere Interessensgruppen auf, während Polarisierung bedeutet, dass sich Menschen an entgegengesetzte Pole eines Meinungsspektrums bewegen. „Der aktuelle Forschungsstand zeigt jedoch, dass diese Phänomene oft überschätzt werden“, sagt Anna Sophie Kümpel, Juniorprofessorin für digitale und soziale Medien an der TU Dresden.
Der Text ist aus einem zu den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im Rahmen eines Online-Workshops der taz Panter Stiftung entstandenen Ostjugend-Dossier, das durch Spenden finanziert wird: taz.de/spenden
Zwei weitere prominente Begriffe, die häufig fallen, wenn es um Meinungsbildung im Internet geht, sind Filterblasen und Echokammern. Hinter beiden steht die Sorge, dass Nutzer in digitale Umgebungen hineingeraten, in denen sie nur Meinungen begegnen, die ihrem eigenen Standpunkt entsprechen.
Bei Echokammern geht man davon aus, dass Menschen eher nach Räumen mit gleichgesinnten Personen suchen und sich in den gemeinsamen Meinungen bestätigen. Bei Filterblasen macht man Algorithmen dafür verantwortlich, dass Menschen eine verengte Weltansicht bekommen, weil sie nur bestimmte Informationen und Perspektiven zugespielt bekommen.
Gesellschaftliche Polarisierung wird überschätzt
Eine der umfassendsten Forschungen über die scheinbare Polarisierung im Land, lieferte der Soziologe Steffen Mau gemeinsam mit seinen Kollegen Thomas Lux und Linus Westheuser. In ihrem Buch „Triggerpunkte“ fassen sie ihre Ergebnisse zusammen und beschreiben, dass es zwar Themen gibt, in denen sich die Meinungen der Menschen in Deutschland unterscheiden, dass es aber bei den wenigsten zu zwei gespaltenen Lagern kommt.
Bei den Themen Klimawandel, soziale Gerechtigkeit und Gleichberechtigung sind sich Menschen sogar recht einig. Selbst beim Thema Migration sind die Meinungen weniger gespalten als zum Beispiel beim Organspendeausweis. „Bei bestimmten Personen gibt es natürlich trotzdem das Risiko, durch eine Nutzung von sozialen Medien in einer verengten Informationsblase zu landen“, ergänzt Anna Sophie Kümpel. Dafür seien aber nicht nur die sozialen Medien verantwortlich, sondern vor allem auch der individuelle Umgang damit und die persönlichen Voraussetzungen dazu.
Gespalten fühlen sich die Kommentarspalten aber trotzdem an. „Gerade das, was polarisiert und eine starke Meinung ist, ruft viel Interaktion hervor, wodurch diese Inhalte prominenter angezeigt werden“, erklärt Kümpel. Obwohl die Polarisierung in den sozialen Medien die Realität verzerrt, scheint sie dennoch eine aufgeheizte politische Stimmung im Land widerzuspiegeln. Besonders deutlich wurde dies bei der Europawahl, wo die Wahlergebnisse einzelner Parteien stark variierten – in Städten wie Leipzig oder Dresden lagen sie zum Beispiel um 20 Prozent höher als in ländlichen Wahlkreisen wie Görlitz, Bautzen oder Nordsachsen.
„Wir sind gerade in einer Gesellschaft, die mit Überalterung, Männerüberschuss, sowie einem von Zuwanderung abhängigen Arbeitsmarkt kämpft, und gleichzeitig von Abwanderung geprägt ist“, fasst Alexander Prinz zusammen. Der Autor, Unternehmer und Webvideoproduzent aus Halle setzt sich in seinen Videoessays für das öffentlich-rechtliche Angebot für junge Menschen funk, immer wieder mit den Herausforderungen, denen Ostdeutsche gegenüberstehen und ihrem Umgang damit auseinander.
Was Prinz hier beschreibt, zeigt sich auch in einer im April veröffentlichen Studie der Bertelsmann Stiftung: Bis 2040 soll die deutsche Bevölkerung in allen Bundesländern der ehemaligen DDR schrumpfen, während in allen anderen Bundesländern (außer im Saarland) ein Zuwachs erwartet wird. In Sachsen soll der Anteil der potenziell Erwerbstätigen, je nach Altersgruppe, sogar um zwölf bis vierzehn Prozent abnehmen. „In Ostdeutschland gibt es nicht ein einziges DAX-Unternehmen, dass hier seinen Sitz hat“, sagt Prinz. Es gäbe hier weniger Zukunftschancen und gleichzeitig einen sehr starken Fachkräftemangel.
Die Folgen der Wiedervereinigung wirken bis heute nach. „Aufgrund der Wende und der Benachteiligung während dieses Prozesses, stehen die Menschen in Ostdeutschland schlechter da“, erklärt Prinz. Beispielsweise besitzen die Menschen in Ostdeutschland viel weniger Immobilien als im Westen. „Wenn man gleichzeitig für westdeutsche Unternehmen arbeitet und Mieten an Westdeutsche bezahlt, kann das frustrieren.“
Zudem ziehen viele Leute weg und die, die zurückbleiben würden sich isoliert fühlen. „Das ergibt eine Mixtur an Unzufriedenheit, die immer mehr aufquillt“, erklärt Prinz. „Es gibt etwas, was einem nicht passt, man meckert darüber, erträgt es und macht weiter. Man verändert aber nichts an dem, was einen stört.“ Es fehle auch der Glaube daran, etwas verändern zu können. Zum Beispiel durch eine Wahl.
Näher kommen durch miteinander Reden
Um die Menschen aus dem ländlichen Raum Ostdeutschlands mit den Menschen im Rest von Deutschland zusammenzubringen, könnten soziale Medien wiederum eine gute Plattform sein. Dafür sei es aber wichtig, so Juniorprofessorin Kümpel, dass Unterhaltungen den gleichen Diskussionsregeln folgen wie in Person: sich respektvoll und emphatisch gegenüberzutreten, sich angemessen auszudrücken und nicht belehrend zu sein.
„Gerade textbasierte Kommunikation verleitet dazu, auch etwas harscher im Ton zu sein.“ Zudem müsse man auch nicht zu allen Themen eine klare Positionierung haben. Doch das reicht natürlich nicht aus. „Es ist ein langfristiger Prozess, der sich da vor uns auftut. Der ist nicht mit netten Mitleidbekundungen abgetan“, ergänzt Prinz. Es braucht eine faire Unterhaltung. Eine Unterhaltung, die die Probleme des ehemaligen DDR-Gebiets genauso behandelt, wie die Erfolge der Menschen dort. Man muss auf sie zugehen, ihnen zu hören und gemeinsam Lösungen suchen und umsetzen.
„Ich glaube vielen würde schon ausreichen, dass man anerkennt, dass es verschiedene Lebensrealitäten gibt“, sagt Prinz. Es werde häufig eine städtische Perspektive konstruiert. „Der ländliche Raum ist konservativer, fossil basierter, weniger global und hat weniger Kontakt zu unterschiedlichen Kulturen, Phänomenen und modernen Technologien.“ Das werde auch in der Politik vernachlässigt. „Man muss begreifen, dass es unterschiedliche Realitäten und Vergangenheiten gibt“. Es gebe nicht einfach eine Lösung für das ganze Land.
Johannes Rachner, 25, Medizinstudent und Journalist, ist vor sechs Jahren zum Studium nach Leipzig gezogen. Sein Vater kommt aus Zwenkau (südlich von Leipzig) und hat weitere Familie in Crimmitschau/Neukirchen (in der Nähe von Zwickau).
FOTO: Timo Krügener, 25 Jahre alt, aufgewachsen in Niedersachsen und seit 4 Jahren als Student, Fotograf und mittlerweile freier Fotojournalist in Leipzig. Begleitet seit einigen Jahren vor allem die Klimagerechtigkeitsbewegung, aber auch Engagement für Demokratie in anderen Bereichen.
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