Parteivorsitzende zum Kurs der Grünen: „Nach links oder in die Mitte? Weder noch“
Wer sind die Grünen nach der Ära Habeck? Vor ihrem Parteitag sprechen Franziska Brantner und Felix Banaszak über nötige Debatten und ihre neue Strategie.
taz: Frau Brantner, Herr Banaszak, am Freitag beginnt der Grünen-Parteitag. Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie wichtig wird er?
Franziska Brantner: Acht. Wir werden zu wichtigen Themen wie der Wehrpflicht Entscheidungen treffen.
Felix Banaszak: Es ist das erste Mal, dass wir ein ganzes Wochenende zusammenkommen und mit etwas Abstand zur Bundestagswahl die Frage klären, wer wir sind, was wir wollen und wo die Welt steht. Tendenz acht plus.
ist seit November 2024 Co-Vorsitzende der Grünen. Seit 2013 sitzt sie im Bundestag, in der Ampel-Regierung war sie Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium.
ist seit November 2024 Co-Vorsitzender der Grünen. Seit 2021 sitzt er im Bundestag. Ab 2018 war er vier Jahre lang Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen.
taz: Und wer sind die Grünen? Was wollen Sie?
Brantner: Angesichts von Putin, Trump und dem Erstarken autoritärer Kräfte sind wir die liberale Kraft, die für die Freiheit kämpft. Bei uns, in der Ukraine und weltweit. Menschenrechte und die liberale Demokratie sind Teil unserer DNA. Die autoritären Kräfte kämpfen massiv gegen eine nachhaltige Welt. Sie wollen weiter Geld verdienen, indem sie mit Fossilen die Welt verbrennen. Wir sind die ökologische Kraft, die dem entgegensteht. Wir sind die, die für Gerechtigkeit kämpfen, in einer Welt, die immer ungerechter wird.
taz: Als Gerechtigkeitspartei wurden sie zuletzt nicht in jeder Hinsicht wahrgenommen. Bei der Bundestagswahl hatten die Grünen unter den sehr gut Verdienenden einen Wähler:innenanteil von 18 Prozent, bei den Armen 5 Prozent.
Banaszak: Wir haben im Wahlkampf auf die Plakate gedruckt: Leben bezahlbar machen. Nach den Erfahrungen von drei Jahren, in denen das Leben insgesamt teurer geworden ist, war das nur eingeschränkt glaubwürdig. Ein zentraler Fehler der Ampel war, die sozialen und die Verteilungsfragen nicht gemeinsam zu adressieren. Mit der neuen Regierung gibt es keine Perspektive auf Verbesserung, im Gegenteil. Aber man kann ja daraus die Schlüsse ziehen. Die Botschaft des Parteitags ist: Wir stehen für eine Klimapolitik, die konsequent sozial ausgestaltet ist und dafür sorgt, dass die Rechnung nicht bei denen ankommt, die ab dem 20. des Monats nicht wissen, wie sie über die Runden kommen.
taz: Was heißt das konkret?
Brantner: Klimageld auszahlen, konsequent alle Förderprogramme für den klimaneutralen Umbau sozial staffeln, bei schlecht sanierten Gebäuden die Mieterinnen und Mieter beim CO₂-Preisanteil fürs Heizen entlasten, bezahlbare Elektrokleinwagen für Geringverdiener. Und damit es am Ende ehrlich ist: Diejenigen, die mit der Förderung und der Verbrennung fossiler Energieträger Geld verdienen, müssen auch einen größeren Anteil an der Finanzierung von Klimaanpassungsmaßnahmen leisten.
taz: Sie legen sich mit der Wirtschaft an?
Banaszak: Das ist keine Aufstellung gegen die Wirtschaft, es ist die Entscheidung für eine Wirtschaft mit Zukunft. Viele Unternehmen fragen sich, ob sie mit ihren Zukunftstechnologien noch eine Chance haben oder in die Röhre gucken. Die Bundesregierung will die Technologien der Vergangenheit künstlich am Leben erhalten.
Brantner: Der Umbau hin zur Klimaneutralität ist nicht umsonst zu kriegen. Wir tun nicht mehr so, als wäre das umsonst. Diese Kosten müssen runter, konsequent und pragmatisch, und dann gerecht verteilt werden. Außerdem müssen jene, die in Klimaschutz investieren, Geld damit verdienen können.
Banaszak: Klimapolitik ist nicht nur in Deutschland, sondern global in der Defensive. Ein Grund dafür ist, dass es den Gegnern gelungen ist, sie als ein elitäres Hobby von Besserverdienern zu labeln. Daran, dass das gelungen ist, haben wir sicher einen Anteil. Unsere ökologische Politik muss sich an alle richten und das tut sie auch. Unsere Bündnisse sind sehr viel breiter, als unsere Gegner es wünschen – von den Initiativen vor Ort, die dafür protestieren, dass es keine neue Gasförderung gibt, bis zu denen im Mittelstand und in der Industrie, die einfach Planungssicherheit brauchen.
taz: Aber Sie verlieren Bündnispartner. Zum Beispiel die Gewerkschaften, die lange auf den klimaneutralen Umbau gesetzt haben und jetzt auf die Bremse treten, etwa eine Aufweichung des Verbrenner-Aus ab 2035 fordern.
Brantner: Ich komme aus Baden-Württemberg. Dort haben viele Menschen Angst davor, ihren Job zu verlieren. Auch die Gewerkschaften fragen, sind wir auf dem richtigen Weg? Wir haben die Klimaziele festgelegt, wir haben runtergerechnet, was das für jeden Sektor heißt. Aber was bedeutet das für die Jobs und die Menschen? Die Lausitz hat Milliarden bekommen für den Kohleausstieg. Wir haben nichts Äquivalentes zum Beispiel für die Autoregionen. Was dort passiert, ist aber genauso ein fundamentaler Strukturwandel.
taz: Auch Cem Özdemir, der 2026 in Baden-Württemberg grüner Ministerpräsident werden möchte, ist für ein Aufweichen des Zulassungsstopps für Verbrenner. Verlieren Sie auch in den eigenen Reihen Bündnispartner?
Brantner: Cem Özdemir hat darauf reagiert, dass in Baden-Württemberg auch die Gewerkschaften gesagt haben: Wir sind beim Verbrenner-Aus nicht mehr dabei. Man muss nicht zur gleichen Antwort kommen wie sie. Aber man muss sich überlegen: Wie können wir das gemeinsame Ziel erreichen, E-Mobilität Made in Germany zu garantieren? Das Gleiche gilt für kleine mittelständische Unternehmen. Dafür muss die Bundesregierung jetzt endlich die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, wie die Senkung der Stromsteuer für alle.
taz: Das Verbrenner-Aus ist nur ein Beispiel. In Nordrhein-Westfalen hat die grüne Klimaministerin Mona Neubaur der Chemieindustrie gerade große Zugeständnisse beim Klimaschutz gemacht. Wo ist die Grenze?
Banaszak: In Nordrhein-Westfalen war die Chemieindustrie in Teilen schon dabei, den Emissionshandel grundsätzlich infrage zu stellen. Mona Neubaur hat den Versuch unternommen, sie an Bord zu halten, und war damit am Ende auch erfolgreich. Darüber bin ich sehr froh. Es tut uns aber auch gut, einen Fehler aus der Ampel-Zeit nicht zu wiederholen.
taz: Welchen?
Banaszak: Klar sollten wir unseren Leuten in Regierungsverantwortung den Freiraum geben, pragmatische Wege zu gehen und mit ihren Koalitionspartnern Kompromisse zu erarbeiten. Diese Kompromisse werden damit aber nicht automatisch Parteiposition. Eine Partei muss klar sagen, wofür sie steht. Mit Beliebigkeit geht man unter. Die einfache und falsche Geschichte, Verschiebungen im Klimaschutz würden die tiefen Strukturprobleme der Wirtschaft plötzlich lösen, werden wir nicht übernehmen.
taz: Wenn die Leute erst Sie und dann Frau Neubaur oder Herrn Özdemir hören, werden sie sich trotzdem fragen: Was wollen die Grünen denn jetzt?
Brantner: Wir müssen Wohlstand und Klima zusammenbringen. Leider stellen Söder und Co den Klimaschutz grundsätzlich infrage, ihnen geht es nicht mehr um den Weg. Das müssen wir auf Bundesebene hart bekämpfen. Und gleichzeitig muss man immer wieder überprüfen, ob der eingeschlagene Weg richtig ist, um besser zum Ziel zu kommen.
Banaszak: Das Verrückte ist, dass von den Grünen zwei Dinge gleichzeitig verlangt werden. Einerseits sollen wir breite Teile der Gesellschaft repräsentieren, streitlustig sein und stellvertretend für das Land um die besten Antworten ringen. Andererseits sollen aber alle Grünen auf alle Fragen schon vor dem Gespräch die gleichen Antworten geben. Das kann ja nicht funktionieren.
taz: Können Sie nachvollziehen, dass es Leute gibt, die Ihre Arbeitsteilung anders übersetzen? Also: Wenn die Grünen wie jetzt auf der Bundesebene in der Opposition sind, dann erzählen sie viel. Wenn es ums Umsetzen in der Regierung geht, fallen sie aber um.
Brantner: Grüne machen in Regierungen einen Unterschied. Beim Klima sieht man doch gerade, was passiert, wenn wir nicht dabei sind. Wir haben die Erneuerbaren beschleunigt, wir haben Energieeffizienz, wir haben Wasserstoff vorangebracht – und die jetzige Regierung macht alles rückgängig.
taz: Sprechen wir zum Schluss noch über die Rollenverteilung zwischen Ihnen beiden. Auf der Skala von 0 bis 10: Wie gut funktionieren Sie als Team?
Der Bundesparteitag der Grünen findet von Freitag bis Sonntag in Hannover statt. Ein zentrales Thema sind die Vorschläge des Bundesvorstands für eine sozial ausgewogenen Klimapolitik. Teile der Partei wollen ihn verschärfen, sie fordern in Änderungsanträgen zum Beispiel die Rückkehr zum 9-Euro-Ticket oder eine Übergewinnsteuer für fossile Konzerne. Kontroverse Diskussionen könnte es über Anträge zur Außen- und Verteidigungspolitik geben, unter anderem geht es um die grüne Haltung zum Gaza-Krieg und zur Wehrpflicht. Weitere Themen sind die Geldsorgen der Kommunen, Homöopathie in den gesetzlichen Krankenkassen oder Rassismus in den Sicherheitsbehörden.
Banaszak: Ich antworte lieber in Worten: Wir sind in einer herausfordernden Situation ins Amt gekommen und wurden direkt in einen schwierigen Wahlkampf geworfen. Nach der Wahl haben wir es gemeinsam geschafft, die Partei zusammenzuhalten und zu stabilisieren. Darauf sind wir stolz.
Mit unseren Umfragewerten geben wir uns nicht zufrieden. Aber dass wir konstant auf dem Niveau des Wahlergebnisses mit Robert Habeck als Kanzlerkandidaten sind, ist auch keine Selbstverständlichkeit. Es baut darauf auf, dass wir trotz der unterschiedlichen Perspektiven, die wir mitbringen, immer das Verbindende suchen und finden. In der Grundorientierung sind wir ohnehin nah beieinander. Aber wenn Sie am Ende zwei Aussagen nebeneinanderlegen und keinen Unterschied mehr erkennen, dann müsste sich die Partei auch fragen, warum sie eine Doppelspitze wählt.
Brantner: Was mir immer Spaß macht: Wir verweigern uns gemeinsam den Versuchen, uns in irgendwelche Ecken drängen zu lassen. Gehen die Grünen jetzt nach links oder in die Mitte? Weder noch. Wir sind grün. Wir schauen uns die Realität an und finden unsere eigenen Antworten – auch wenn wir uns über den richtigen Weg vielleicht nicht immer einig sind.
taz: Wann haben Sie das letzte Mal richtig gestritten?
Banaszak: In unseren Diskussionen ist Franziska beharrlich. Aber am Ende, und das schätze ich, ist es immer ein ernsthafter Austausch. In den vergangenen Jahren hat das in der Partei gefehlt. Die Logik war häufig: Wenn einer für uns denkt, dann reicht das aus.
taz: Ihre Amtszeit dauert zwei Jahre, beim nächsten Parteitag stehen Neuwahlen an – und damit eine Vorentscheidung über die Spitzenkandidatur für die nächste Bundestagswahl. Sind Sie schon nervös?
Brantner: Wir haben uns für das nächste Jahr viel vorgenommen: Weitere inhaltliche Fragen klären, unsere Satzung reformieren, die Mitglieder einbinden. In den vergangenen Jahren war es ja wirklich oft so, dass Robert und Annalena vorne standen und die Partei folgte. Jetzt wollen wir die Mitglieder gerade vor Ort wieder stärker aktivieren, um unsere Kraft auch auf die Straße zu bekommen. Ich bin da zuversichtlich.
taz: Auf unserer Skala: Wie sicher sind Sie sich, nach den Landtagswahlen des nächsten Jahres noch im Amt zu sein?
Banaszak: Ich bin ein entspannter und abenteuerlustiger Mensch. Ich weiß, wer ich bin und was ich meiner Partei anzubieten habe. Und das mache ich jetzt.
Brantner: Wie Felix. Ich will, dass wir Grüne 2026 Lust auf Demokratie machen, relevant sind, weiter wachsen. Aber natürlich werden die Landtagswahlen im kommenden Jahr auch für uns herausfordernd sein.
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