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Parlamentswahl in FinnlandBühne frei für rechte Parteien

Reinhard Wolff
Kommentar von Reinhard Wolff

An Finnlands Rechtsruck hat die scheidende Mitte-links-Regierung ihren Anteil – insbesondere weil sie Wahlversprechen im sozialen Sektor nicht hielt.

Sanna Marin (l.) mit der Vorsitzenden der Wahren Finnen Riikka Purra (r.) und Petteri Orpo von der Nationalen Sammlungspartei Foto: Heikki Saukkomaa/Lehtikuva

L aut dem World Happiness Report soll Finnland das glücklichste Land der Welt sein. Und das schon zum sechsten Mal in Folge. Ein großer Teil der FinnInnen scheint das aber ganz anders zu sehen. Bei der Parlamentswahl vom Sonntag stimmte mehr als die Hälfte der WählerInnen für Parteien, die versprechen, Finnland zu „retten“, als „Putzkolonne“ mit einer verfehlten Politik aufräumen und das Land von seinem bisherigen Irrweg auf den „rechten Weg“ zurückführen zu wollen.

Es würde nur einige Monate, nachdem Schweden eine Regierung von Gnaden der Schwedendemokraten bekommen hat, ein ganz buchstäblich rechter Weg werden, sollten die Regierungsverhandlungen in einer sich bereits abzeichnenden Koalition mit den Wahren Finnen münden. Einer Partei, die im EU-Parlament in der gleichen Fraktion wie die AfD sitzt.

Einer Partei, die unter ihrer seit knapp zwei Jahren amtierenden ersten weiblichen Vorsitzenden Riikka Purra noch weiter nach rechts gerückt ist und mit diesem Kurs nun das beste Wahlresultat ihrer 28-jährigen Geschichte verbuchen konnte. Eine nach Einschätzung der bisherigen Regierungschefin Sanna Marin „offen rassistische Partei“, mit der Sozialdemokraten, Grüne und Linke deshalb auch jede Zusammenarbeit ausgeschlossen haben.

Einer Partei aber auch, an deren Stärkung die scheidende Mitte-links-Regierung nicht unschuldig ist. Hat sie ihr doch eine offene Flanke geboten, weil sie ihre Wahlversprechen vor allem im sozialen Bereich nicht gehalten hat. Die massiven Mängel im Altenpflegesektor wurden nicht behoben, eine Reform des Gesundheitswesens wurde auf die lange Bank geschoben. Und wenn laut gerade veröffentlichter offizieller Statistik in einem Land mit 5,5 Millionen EinwohnerInnen knapp eine Million riskiert in Armut abzurutschen, ist auch das kein Ruhmesblatt.

Die „Wende“, die die Rechtsopposition nun verspricht, beispielsweise die mit dem Nato-Beitritt verbundene Steigerung der Rüstungsausgaben nicht mit höheren Steuern für Besserverdienende, sondern über Haushaltskürzungen finanzieren zu wollen und die Staatsschulden über ein Zurückfahren der angeblich zu ambitiösen klimapolitischen Ziele und der damit verbundenen staatlichen Förderprogramme zu senken, sind natürlich genau die Rezepte, die Finnland gar nicht weiterhelfen werden. Ob das vermeintlich glücklichste Land damit glücklich wird, ist stark zu bezweifeln.

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Reinhard Wolff
Auslandskorrespondent Skandinavien und das Baltikum
Lebt in Schweden, schreibt seit 1985 für die taz.
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23 Kommentare

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  • Wie kommen Sie darauf, dass glücklich sein auf einem persönlichen Level zwangsläufig mit einer Wechselwahleintscheidung zu tun hat? In einem Sozialstaat wo niemand Not leiden muss ist Staatspolitik bei den meisten Menschen nicht in den Top-3 der Glücklichkeitsfaktoren.

    Zumal es auch etwas der finnischen Kultur entspricht, andere nicht mit persönlichen Problemen zu belasten und deshalb auch gern mal öffentlich zufriedener getan wird als man wirklich ist.

    Allerdings sehe ich genau wie Sie die Gefahr, dass diese Glücklichkeit unter einer rechten Regierung deutlich abnehmen könnte in Finnland.

    • @Fabian Wetzel:

      Die erste Anmerkung unterschreibe ich, die zweite nur halb. Dagegen spricht eine recht lebendige Protestkultur, Finnland ist nicht Japan. Bleibt nat. die Frage, wo Persönliches beginnt. Ich würde mich aber davor hüten, den Glücksindex zu zerreden. Es fällt auf dass sie von Finnen fast ohne Skepsis und Überraschung aufgenommen werden, regelmäßig, im Gegenteil einige Finnen in der ausländische Presse auch sofort versuchen, das zu erklären und diese Erklärungen sich merklich decken. Mit Politik haben sie alle bestenfalls am Rand zu tun. Ich denke auch es ist viel eher ein insb. deutscher Reflex, das auf irgendwelche politischen Faktoren zurückzuführen, so will es der starre Staatsglaube. Der dort oder in Skandinavien überhaupt aber lange nicht so ausgeprägt ist wie eine Überzeugung viel mehr in die Gesellschaft, genauer Gemeinschaft, es ist mithin fast ein Gegenentwurf. Das lässt es sie vielleicht auch eher verdauen, die sich den Ausgang hier anders vorstellten, es wird die Gesellschaft als solche ja nicht ändern. Andererseits kann Zufriedenheit natürlich auch träge machen, vielleicht war's auch so gemeint, die Wahlbeteiligung ist aber keinesfalls zurückgegangen, also war Marin am Ende vielleicht doch etwas "wild". Was man evtl. auch lockerer nehmen kann, ist es irgendwo in Helsinki, denn bei allem Respekt, ein Staatschef Olaf Scholz ist jetzt auch nicht grad'n Wagnis. Merkel war's kaum mehr. Und man kann umgekehrt konstatieren, dass auch der ein oder andere Rechtsruck in diesen Ländern bisher nicht jedenfalls an den gesell. Grundkonsens ging und das nordische Modell andererseits auch gar nicht so wirklich dem entspricht (nie entsprach), was sich hiesige Linke in ihrem Träumen so spinnen. Noch wär's auf sie angewiesen. Es ist angewiesen auf hochgebildete Hochleistungsvolkswirtschaften mit fast optimalen Rahmenbedingungen. Das eine und so das andere zu erhalten, das ist wohl im Interesse, nicht wer auf'm Wahlzettel grad am Nettesten ist, vgl. auch was Frau Flieder sagt.

  • Und was wurde Sanna Marin im übrigen Europaüber den grünen Klee gelobt, insbesondere von den Woken im Linken Spektrum … nun, den Rechtsruck hat Frau Marin in Finnland jedoch auch nicht aufhalten können. Das sollte allen zu denken geben, die meinen, es wären ausschließlich solche linksnationalen Positionen, wie sie Sahra Wahenknecht und ihre Anhänger*innen vertreten, die den Rechten in die Hände spielen würden.



    Immerhin, die finnischen Sozialdemokraten haben dazugelegt, sie scheinen also für diese Misere nicht verantwortlich zu sein.

  • In D können wir froh sein, wenn es diesen Rechtsruck bei der nächsten Wahl nicht gibt.



    Wohnen wird hier unbezahlbar.Studierende und Auszubildende sollen für ihr Zimmer eine Finanzspritze erhalten. Diese fliesst dann ungehindert in die Taschen ďer Vermieter



    Wie bei der Strompreisbremse schaufen wir Steuerzahler Gewinne zu Unternehmen und Immobilienbesitzern.

    Zeitgleich gibt es in der TAZ einen Bericht über die schnelle Möglichkeit des HH Senats Wohnraum für Flüchtlinge zu schaffen.



    Denkt niemand, dass dies nicht lange gut geht?

    Das ist nur ein Beispiel von vielen.

  • Weil Wahöversprechen im sozialen Sektor nicht gehalten wurden, wurden Parteien gewählt die dort noch weniger machen wollen?

    Das halte ich für eine gewagte Interpretation..

    • @CrushedIce:

      Nein, ist nicht gewagt.



      Genau darauf steuern wir auch zu.



      Höchste Zeit die Scheuklappen abzulegen. Sonst wird die Zukunft braun.

    • @CrushedIce:

      Überhaupt nicht gewagt wie ich finde, nur sehen wohl viele Gesellschaften andere Lösungen für soziale Politik.

      Ein Beispiel an dem ich es verstanden hatte (hatte mir die gleiche Frage gestellt) ist der Wohnungsmarkt und Sicherheit.



      Linke Regierungen versuchen die Mieten und Preise zu mindern aus sozialen Gründen, was nicht so klappt. Rechte beantworten das mit Neubauten (was Linke oft ablehnen).



      Gedankengang -> Mehr freie Wohnungen = günstigere Mieten, da kein Vermieter freiwillig seine Wohnung leerstehen lässt, denn lieber ein bisschen Miete als gar nichts.



      Sicherheit ist etwas was sozialen Zusammenhalt fördert. Wenn ich da an Berlin denke, wie Linke Kreise sich gegen eine Polizeiwache am Kotti wehren, ja dann kein Wunder.

      Leider ist die Antwort Linker Kreise nicht immer die sozial beste. Denn man kann Sozial eben nicht nur von den finanziell schlechtgestelltesten aus Denken.



      Es ist nämlich ebenfalls unsozial wenn ein Arbeitsloser gleich oder ähnlich viel wie ein Arbeitender zur Verfügung hat pro Monat.

  • Nun, rechte Regierungen sind nicht unbedingt für ihre soziale Ader bekannt. Warum sollte man also rechts wählen, wenn man bei den Sozialdemokraten das Soziale vermisst? Vielleicht sind die enttäuschten Linken auch nur weggeblieben? Eher nicht, die Wahlbeteiligung ist jedenfalls gestiegen. Die Wahrheit ist eine traurige: die Rechten werden aus antisozialen Gründen gewählt und die Linken werden nicht gewählt, weil sie nicht rechts genug sind.

    • @Benedikt Bräutigam:

      "Warum sollte man also rechts wählen, wenn man bei den Sozialdemokraten das Soziale vermisst?"

      Wenn Sozialdemokraten den Anteil der aufs Soziale Angewiesene immer weiter erhöhen, könnte mancher der Meinung sein: Weniger Empfänger, dann bleibt für mich mehr.

  • Soviel zur Nützlichkeit eines Glücksreports.

    Anderseits, es sind vielleicht zwei verschiedene Fragen: fühlen sie sich heute gut und glücklich?



    Und sind sie mit der Politik zufrieden?

    Selbst der glücklichste Finne sinniert in der Sauna eben vielleicht darüber nach, dass das globale Klima in dem Land nicht verändert werden kann und möchte unter sich bleiben.

  • Die Frage die mich zunehmend nervös macht: Warum denken und wählen immer mehr Menschen in immer mehr Ländern rechts bis extrem rechts?



    Warum bekommen sie immer öfters sogar Mehrheiten. Es ist zu befürchten, dass Frankreich bei der nächsten Wahl auf einen Rechtsrutsch macht.



    Was bewegt die Menschen so zu wählen?

    • @Rudi Hamm:

      Es wird wohl daran liegen, dass sich immer mehr Menschen die von rechten Parteien propagierte "Festung Europa" wünschen.

    • @Rudi Hamm:

      Der Staat wirkt zunehmend überfordert/schwach sei es bei der Migration, Steuerpolitik oder Energiewende. Schwache Staaten machen Angst und motivieren Leute diejenigen zu wählen die einfache Lösungen versprechen.

      Der Staat müsste halt bei diesen Themen mutig vorangehen und halt entweder offensiv sagen man besteuert die Reichen so gut wie nicht oder halt die Besteuerung durchsetzen, bei der Migration entweder offensiv open-borders fahren oder aber die Grenzen wirklich dicht halten für irreguläre Migration. Es ist der Mittelweg der die Probleme verursacht.

      • @Machiavelli:

        Hm, interessante These: "Es ist der Mittelweg der die Probleme verursacht." Im Umkehrschluss würde das bedeuten: Je extremer, desto unproblematischer.

        Ich glaube, das gerade der Mittelweg die Probleme besser lösen kann, nur muss er konsequenter gegangen werden. Die Inkonsequenz und Widersprüchlichkeit seines Handelns läßt den Statt schwach erscheinen.

        Beispiel Migration. Wenn der Staat Menschen ins Land läßt muss er sich auch um die Menschen kümmern. Konkret bedeutet dies z.B. Recht/Pflicht auf/zur Arbeit, Recht/Pflicht auf/zu Sprachkurse usw. Das fördert Integration und Akzeptanz und gräbt extremen Positionen das Wasser ab.

        • @Black & White:

          Stimmt da habe ich mich undeutlich ausgedrückt, der Staat muss die Politik die er macht konsequent verfolgen und offensiv kommunizieren.

    • @Rudi Hamm:

      "Was bewegt die Menschen so zu wählen?"

      Wenn eine Regierung so deutlich abgewählt wird, ist doch offensichtlich die bisherige Regierungspolitik der Grund dafür.



      Und der größtmögliche Gegensatz zur bisherigen Regierung waren nun mal die Wahlen Finnen.



      Auch die Regierungswechsel von links nach rechts in Schweden und Italien lassen sich so erklären.



      Auch in Frankreich wird es möglicherweise so kommen. Und die ständigen Wiederwahlen des in den deutschen Medien verteufelten Orban hängen vielleicht damit zusammen, daß seine Bürger mit seiner Politik zufrieden sind.

    • @Rudi Hamm:

      Ein Pendel schlägt immer in zwei Richtungen aus, je stärker es auf eine Seite ausschlägt wird es ebenso zurückschlagen

  • Warum wird fehlende Sozialpolitik überall mit einem Rechtsruck beantwortet?



    Hat die Linie mit ihrer neoliberalen "Realpolitik" etwa ihre Glaubwürdigkeit komplett verloren?



    Oder prügeln die Konservativen einfach nur engagierter gegen linke Sozialpolitik, weil sie die rechte so wenig ernst nehmen wie vor einigen Jahrzehnten?

  • Die Mitte-Links Regierung hat die Wahl also verloren, weil sie Wahlversprechen im Sozialsektor nicht hielt.



    Das erklärt nicht besonders gut, warum die Finnen dann Konservative und Rechte wählen, die schon vor der Wahl angekündigt haben, im sozialen Sektor zu kürzen.

    • @Abid Kidoh:

      Ich vermute mal die glauben, dass die Kürzungen nicht sie selbst betreffen sondern: Flüchtlinge, Migranten, Arbeitslose, Minderheiten usw.....Und dass die Einsparungen dort ihnen selbst zugute kommen.

      • @Carolin Rudolf:

        Ja, das ist gut möglich. Die Mitte-Links Regierung hat vor allem bei Grünen und Liberalen Zustimmung verloren. Nicht bei den Sozialdemokraten. Die haben sogar leicht dazugewonnen. Deshalb ist die Erklärung des Autors für den Wahlausgang nicht besonders plausibel.

  • Die Leute haben also wegen einer schlechten Sozialpolitik eine rassistische Partei gewählt? Es ist nicht so ganz klar, was das eine mit dem anderen zu tun hat.

  • Der Gewinner der Wahl hat zwar kein Bündnis mit den „Finnen“ ausgeschlossen, aber es wird keine automatische Koalition geben. Das ist eben abhängig von den Verhandlungen mit anderen Parteien. Genug haben die ja im Parlament. Und sehr auffällig ist, dass ausgerechnet der Grüne Bund und das Linksbündnis Stimmen verloren hat. Es bleibt spannend die nächsten Tage.