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Palästinenser in Israels GefängnissenIsolation, Angriffe, ungeklärte Tode

Israel nimmt immer mehr Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen fest. Seit dem 7. Oktober verschlechtern sich die Bedingungen, NGOs berichten von Menschenrechtsverletzungen.

Der Vater Bassem Al-Bahash zeigt ein Bild seines verstorbenen Sohnes Abdulrahman Al-Bahash, der im Gefängnis gestorben Foto: Serena Bilanceri

Nablus/Ramallah taz | Azzedin zieht die Kapuze seines Hoodies über die kurzen Haare tief in sein Gesicht, als er auf den 7. Oktober zu sprechen kommt, den Tag des Hamas-Angriffs auf Israel. „Davor haben sie uns okay behandelt“, erzählt der 17-Jährige, der seinen echten Namen nicht veröffentlicht sehen will. „Wir konnten lernen, essen, die Familie sehen. Aber danach war es schrecklich.“ Der junge Palästinenser saß acht Monate lang im Meggido-Gefängnis in Israel. Zum Essen habe es nach dem 7. Oktober an manchen Tagen nur Reis und Salat gegeben, Familienbesuche seien verboten worden. Kontakt nach draußen sei kaum noch möglich gewesen.

Azzedin ist einer derjenigen, die im November durch einen Deal freikamen, bei dem palästinensische Gefangene gegen von der Hamas in den Gaza­streifen entführte Geiseln ausgetauscht wurden. „Ich bin jetzt frei“, sagt er der taz am Telefon. Glücklich sei er allerdings nicht. „Ich bin besorgt, weil immer noch so viele im Gefängnis sind.“ Schläge von Gefängniswärtern seien nach dem 7. Oktober an der Tagesordnung gewesen, ohne triftigen Grund, sagt er. Wie Folter sei das gewesen. Seine Aussagen lassen sich nicht unabhängig überprüfen, sie decken sich jedoch zu großen Teilen mit Zeugenaussagen, die Menschenrechtsorganisationen gesammelt haben.

Den Berichten der Menschenrechtsorganisationen zufolge haben sich nicht nur die Zustände für arabische Gefangene in israelischen Gefängnissen verschlechtert. Auch ist die Zahl der Gefangenen steil angestiegen: Seit Oktober wurden mehr als 6.100 Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen aus dem Westjordanland verhaftet. Mindestens 2.300 weitere Menschen sollen im Gazastreifen gefangen genommen worden sein. Das zeigen Daten des Vereins Palestinian Prisoner Society.

Auch freigelassene Ga­za­ne­r*in­nen haben von physischen und psychologischen Misshandlungen berichtet: Schläge, Beleidigungen, Augenbinden, Kälte. Das Büro des UN-Kommissars für Menschenrechte sagte kürzlich, es könnte sich dabei um Folter handeln.

Isolation, Angriffe, unzureichende Nahrung

Auch die palästinensische Organisation Addameer beschreibt in einem Ende Januar veröffentlichten Bericht, dass sich die Lage in den vergangenen vier Monaten drastisch verschlechtert habe. Von Isolation, Angriffen, unpassender Kleidung, unzureichender Nahrung wie Gesundheitsdiensten ist dort die Rede. Zudem seien die Zellen überfüllt. Notstandsregelungen in Israel erlauben eine Überbelegung.

Laut der israelischen Menschenrechtsorganisation HaMoked ist die Zahl der Sicherheitsgefangenen, also derjenigen, die wegen des Vorwurfs der Staatsgefährdung in Haft sitzen, von etwa 5.000 im September auf knapp 9.000 gestiegen. Ende Dezember stellte der Planungsabteilungsleiter des israelischen Gefängnisdienstes, Elyasaf Zakai, fest, dass 88 Prozent der Gefangenen auf einer Fläche von weniger als drei Quadratmetern pro Kopf lebten.

Anwälte der Menschenrechtsorganisation Physicians for Human Rights Israel (PHRI) konnten mit Insassen sprechen. Der Strom werde tagsüber ausgestellt, berichtet Naji Abbas, der für PHRI die Situation in den Gefängnissen beobachtet, der taz. Die Essensrationen seien kleiner geworden, medizinische Behandlungen fänden teilweise nicht statt, Freizeit im Freien sei ebenfalls stark eingeschränkt. Gefangene hätten zudem von Gewalt seitens der Wächter erzählt. Auch bei Minderjährigen.

So steht es auch in einem Bericht, den PHRI vor etwa einer Woche über die Haftbedingungen von Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen seit dem 7. Oktober veröffentlicht hat. Auch dort heißt es, die ausgeübte Gewalt könnte Folter gleichkommen.

Starb Abdulrahman al-Bahasch an den Schlägen der Wärter?

Zu den Berichten über schlechte Zustände in den Gefängnissen kommen mehrere ungeklärten Todesfälle von Gefangenen hinzu, die sich seit dem 7. Oktober ereignet haben. Sieben palästinensische Gefangene sind bis Anfang Februar unter ungeklärten Umständen in israelischen Gefängnissen gestorben.

Der letzte dieser Verstorbenen ist Abdulrahman al-Bahasch, zum Zeitpunkt seines Todes am 1. Januar 23 Jahre alt. Über dem Eingang des Wohnhauses seiner Familie in Nablus hängt ein Plakat: ein junger Mann mit langem Bart und lockigen Haaren, das palästinensische Tuch um den Hals gewickelt. Wie Azzedin saß auch er im Megiddo-Gefängnis, dreieinhalb Kilometer von der Grenze zum Westjordanland entfernt, und zwar seit Mai 2022. Vorgeworfen wurde ihm eine Vielzahl von Taten, darunter die, das Feuer auf israelische Streitkräfte eröffnet zu haben.

Wie al-Bahasch zu Tode kam, weiß seine Familie nicht. Am ersten Januar hätten sie, erzählt Vater Bassem, gegen 17 Uhr vom Tod eines Häftlings in den sozialen Medien erfahren. „Es gab noch keinen Namen, aber der Ort, das Alter, die Strafe, sie stimmten.“ Um zwanzig Uhr hatte die Familie Gewissheit.

Bis heute jedoch herrscht keine Klarheit darüber, was damals genau geschah. Die Familie vermutet, er sei von Wächtern zu stark geschlagen worden. In einem Videointerview, das in den sozialen Medien verbreitet wurde, schildert ein freigelassener Mitgefangener, wie al-Bahasch von Gefängniswärtern mit Händen und Stöcken verprügelt und dann in einen separaten Raum gebracht worden sei.

Gewaltspuren an Hals und Brustkorb

In den Wochen darauf habe er starke Schmerzen gehabt, war sehr müde, bis er kaum noch stehen konnte. Irgendwann kam er von einem Krankenhausaufenthalt nicht mehr zurück. Palästinensische Nichtregierungsorganisationen sprachen in einer Stellungnahme von Ermordung. Bestätigen lassen sich diese Vorwürfe nicht.

Über das, was Al-Bahasch getan haben soll, über die Gründe, weswegen er im Gefängnis saß, will sein Vater Bassem nicht lange sprechen. Vor dem Militärgericht stünden viele unter so einem Druck, murmelt sein Vater, da würden sich viele schuldig bekennen. Er fügt allerdings hinzu: „Wir Palästinenser denken jedoch, sich der Besatzung zu widersetzen, ist kein Vergehen.“

Auch in anderen Fällen ist die Todesursache noch nicht geklärt. Auf der Leiche eines ebenfalls in Haft Verstorbenen haben Ärzte, darunter ein Mediziner der israelischen NGO Physicians for Human Rights, bei der Autopsie allerdings deutliche Gewaltspuren an Brustkorb und Hals entdeckt. Ermittlungen laufen. In einer ersten Gerichtssitzung Mitte Januar soll es laut Medienberichten ein Geständnis gegeben haben. In einem weiteren Fall wird Gefängniswärtern vorgeworfen, einen Häftling im Gefängnis Ketziot zu Tode geprügelt zu haben. Gegen 19 Beamte ermittelt nun die Polizei.

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28 Kommentare

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  • Es wäre die Quadratur des Kreises, dass ein Staat gleichzeitig demokratisch, national-religiös definiert und einheitlich wäre, wenn da zwei gleichgroße Gruppen sich auf dem Gebiet gegenüberstehen, die kein Vertrauen zueinander haben.



    Entsprechend werden die Palästinenser massiv unterdrückt, die "Demokratie" gilt nur mit israelischem Pass, und selbst da mehr für Juden als für Christen oder Muslime.



    Universalistisch an das Handeln der israelischen Regierung und des Militärs die bekannten Maßstäbe anlegen, nicht höhere, nicht niedrigere Latte.

  • Addameer wurde von Israel 2021 als Terrororganisation eingestuft. Der Vorwurf lautet Addameer sammele Spendengelder und leite sie an die PFLP weiter. Das Bundesinnenministerium hat die Informationen der Israelis für glaubwürdig befunden und die Einstufung übernommen. Darüber gab es auch einen Streit mit dem Außenministerium, das die Einschätzung nicht teilt, allerdings Schwierigkeiten hatte überzeugende Gründe dafür vorzulegen. SPON hat darüber berichtet.



    Diese Information sollte in einem solchen Artikel eigentlich Erwähnung finden. Als Quelle sind die nicht unproblematisch.

    • @Taugenichts:

      Deutschland hat in einer gemeinsamen Erklärung mit mehreren anderen europäischen Staaten 2022 bekannt gegeben, dass es weiterhin mit Addameer und anderen, von Israel als terroristisch bezeichneten NGOs zusammenarbeiten wird, nachdem die israelische Regierung ihre Vorwürfe nicht beweisen konnte. Wieso also sollten unbewiesene Unschuldigung in dem Artikel erwähnt werden?

      • @O.F.:

        Diese Entscheidung stammt aus dem Juli 2022 und wurde vom Auswärtigen Amt getroffen. Im Innenministerium ist man der Meinung, dass die von Israel vorgelegten Informationen in einem Prozess vor einem deutschen Gericht standhalten würden.



        Das Auswärtige Amt interessiert das aber offenbar gar nicht: als Gründe für die eigene Haltung wurde zum einen auf die humanitäre Funktion von Organisationen wie Addameer hingewiesen, zum anderen wurde dem Innenministerium vorgeworfen „die Realität der israelischen Besatzung“ nicht zu verstehen. Dabei heißt es bei SPON (Artikel: Schult/Wiedmann-Schmidt, „Wurden mit deutschen Steuergeldern Anschläge in Israel verübt?“): „Konkrete Hinweise, wie Steuergelder aus Europa für Terrorzwecke missbraucht werden konnten, lieferten die Israelis ebenfalls.“



        Also sind die Anschuldigungen laut Innenministerium erwiesen, während sich das Auswärtige Amt nur bedingt dafür interessiert, ob dies überhaupt der Fall ist. Die Terrorverstrickung palästinensischer Hilfsorganisationen scheint von Seiten des Auswärtigen Amts billigend in Kauf genommen zu werden.



        Jedenfalls hat man das im Juli 2022 so gesehen. Gegenwärtig ist man in der Bundesregierung vermutlich froh, wenn das Thema nicht allzu bald auf den Tisch kommt.

  • Das hätte sich die Hamas mal vorher überlegen müsse: Jetzt läuft die Spirale aus Hass und Rache auf Hochtouren.



    Jetzt braucht es Mut, da auszusteigen. Nur eine zwei Staatenlösung kann eine Lösung bringen. Die Schurkenregierung Nethanjahu muss weg, sonst wird das nichts!

    • @Matt Gekachelt:

      "Das hätte sich die Hamas mal vorher überlegen müsse: Jetzt läuft die Spirale aus Hass und Rache auf Hochtouren."



      Hat sie vermutlich. Wollte sie. Läuft für die Hamas.



      "Die Schurkenregierung Nethanjahu muss weg, sonst wird das nichts!"



      Dass die Hamas weg muss, ist keine Erwähnung wert? Oder liegt das nicht in Ihrem Wunschbereich?

      • @Encantado:

        Da hat er wieder zugeschlagen, der 'ja, aber'-Detektor

      • @Encantado:

        Was genau war denn anders an der Situation der entrechteten Palästinenser, als Hamas nicht an der Macht war, denn die Besatzung mit all ihrem Unrecht und der Brutalität hält ja seit 70 Jahren an, die Hamas aber reagiert erst seit 15 Jahren.

        Wartet man in Israel und der westlichen Welt eigentlich darauf, dass eine demokratische palästinensische Regierung unter Besatzung, Elend und Leid, entsteht, die sich dann einfach mit der Besatzung abfindet und den Palästinensern klarmacht, dass es antisemitisch ist, die Besatzer nicht zu achten und anzuerkennen?

    • @Matt Gekachelt:

      Wow. Unfassbar dumm. Alle Palästinenser sind verantwortlich für die Hamas, ernsthaft?

  • Im besetzten Westjordanland und in Ostjerusalem wurden etwa 7.000 Menschen festgenommen, zum Teil ohne Anklage, so dass sich die Gesamtzahl der palästinensischen Gefangenen auf fast 10.000 beläuft, was zusätzlich zu den Problemen, mit denen sie konfrontiert sind, zu einer erheblichen Überbelegung führt.

    Mindestens 250 der Festgenommenen sind minderjährig. Auch die Verhaftung von palästinensischen Frauen und Mädchen hat zugenommen, und sie sind Folter, Misshandlung und absichtlicher Vernachlässigung ausgesetzt.

    Mehr als die Hälfte dieser Gefangenen befindet sich in "administrative detention", was bedeutet, dass Israel sie monatelang ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt und ohne ordentliches Verfahren oder Anklage festhält.

  • Die Palästinenser sollten ihre Energie darauf richten, ihr Haus in Ordnung zu bringen, so dass sie als Friedenspartner wieder denkbar werden. Anstatt „Widerstand“ zu leisten.

    Die Israelis sollten nicht nur mit der Peitsche agieren, sondern denkbare Friedenspartner fördern und pflegen.

    • @Eugen-Emilio :

      Das Problem m.A. nach ist, dass es keine ernstzunehmende Friedenspartner mit politischem Führungswillen innerhalb der Paligemeinde gibt. Ausserdem sitzt das Misstrauen auf der israelischen Seite nach 80 Jahren Erfahrung im Überlebenskampf so tief, dass die Wiederherstellung einer normalen Beziehung ziwschen Juden und Arabern sehr , sehr schwierig sein wird.

      • @maxwaldo:

        Zustimmung.



        Grundlage allen Übels ist der Hass auf Juden.



        Ist Grundlage schon im Schulunterricht.

        • @MIA R.:

          Grundlage des Übels im Nahen Osten ist die Kolonisation durch Großbritannien und die Balfour-Deklaration

      • @maxwaldo:

        Wirklich beeindrucken wie immer noch verquerere Wege gefunden werden um Israel's Menschenrechtsverletzungen zu rechtfertigen. Und da empört man sich wenn dem Westen Doppelmoral vorgeworfen wird...

  • Wann wird uns endlich klar, dass es in Israel wie in jedem anderen Land auch Faschisten gibt und diese momentan offenbar den Ton angeben? Gerade für Israel selbst ist es wichtig, dass es wie jedes andere Land auch gesehen und entsprechend in die Pflicht genommen wird. Menschen- und Völkerrechtsverletzungen dürfen nirgendwo hingenommen werden und sind unter keinen Umständen zu rechtfertigen.

    • @Gothograecus:

      Ich stimme 100% zu.

    • @Gothograecus:

      Bei wie vielen Gefangenen handelt es sich um Gefangene in Verwaltungshaft? Nicht zu unrecht steht die Praxis seit Jahren im Fokus von Menschenrechtsorganisationen.

  • Sehr traurig und sehr gut zu erfahren. Danke!

  • Haben diese Menschenrechtsorganisationen auch die Bedingungen der in der Gewalt der Hamas befindlichen israelischen Geiseln untersucht?

    • @Pfennig:

      Da muss man doch nur die Geiseln selbst fragen.



      Da haben sie aber tatsächlich einen Punkt. Ich würde so gerne die Aussagen der israelischen Geiseln, die bis jetzt befreit wurden, hören. Leider liest man dazu nichts. Ich bin mir aber sicher, dass wenn es Folter oder andere unmenschlicher Handlungen gab, diese sicherlich längst bereits berichtet worden wären.

    • @Pfennig:

      Whataboutisme

      Zitat @Pfennig: „Haben diese Menschenrechtsorganisationen auch die Bedingungen der in der Gewalt der Hamas befindlichen israelischen Geiseln untersucht?“

      Richtig: What about the Hamas?

    • @Pfennig:

      Was für ein dummer, dummer Kommentar.

      • @Hannes Hegel:

        Was für ein dummer, dummer Komkomentar.

      • @Hannes Hegel:

        Warum nennen sie den Kommentar "dumm"? Diese Gefangenen sind aus israelischer Sicht "der Feind", oder haben sie geflissentlich überlesen, daß der tote Al-Bahasch im Gefängnis saß, weil er versucht hat, als irregulärer Kämpfer/Partisan/Terrorist Angehörige der IDF zu ermorden, indem er das Feuer auf sie eröffnete? Lesen Sie die Berichte, welche Greueltaten die Mörderbande der HAMAS am 07.Oktober 2023 bei ihrem Terrorangriff begangen hat, lesen sie die Berichte, die von fortgesetzten Vergewaltigungen in der Geiselhaft berichten.

    • @Pfennig:

      Interessiert sich Netanjahu ernsthaft für die Geiseln,wo er doch schon die Angehörigen ignoriert?

    • @Pfennig:

      Danke