Norwegische Sanktionen gegen Russland: Hier ist Propaganda noch erlaubt
Die EU verhängte gegen RT und Sputnik Sanktionen. Die norwegische Regierung sieht nach Kritik von Medienschaffenden davon ab.
Jonas Gahr Støre, Regierungschef
Die norwegische Kulturministerin Anette Trettebergstuen begründete Ende April einen entsprechenden Regierungsbeschluss im Parlament: Zwar teile die Regierung die Einschätzung der EU-Kommission, dass diese Medien „zentrale Instrumente in Russlands Desinformations- und Destabilisierungskampagne gegen den Westen“ seien. Doch könne für ein demokratisches Land wie Norwegen eine Vorabzensur durch ein generelles Verbot von Medienkanälen nicht infrage kommen.
Der sozialdemokratische Regierungschef Jonas Gahr Støre ergänzte: „Man sollte Desinformation möglichst mit Quellenkritik begegnen, nicht mit Zensur. Eine Blockade könnte auch vom Putin-Regime und anderen genutzt werden, um ihre Zensur der freien Medien zu legitimieren.“
Die spontane Reaktion des Ministerpräsidenten gleich nach Bekanntgabe der EU-Blockade hatte allerdings noch anders gelautet: Es sei „ja wohl natürlich“, dass Norwegen diese Sanktion übernehmen werde. Womit er Protest bei den Organisationen der Medienschaffenden auslöste.
In einer gemeinsamen Erklärung warnten diese die Regierung dringend vor einem solchen Schritt. Nicht nur aus formaljuristischen Gründen – eine derartiges Vorgehen wäre vermutlich mit der norwegischen Verfassung unvereinbar –, sondern auch, weil eine solche Maßnahme kontraproduktiv sein würde.
Nur wenig Gegenstimmen unter den Medienmachenden
„An dem Tag, an dem wir uns vom Staat per Gesetz vorschreiben lassen, was Desinformation ist und verboten werden soll und was wahr ist und zulässig sein soll, sind wir selbst Putins Russland einen Schritt näher gekommen“, argumentierte der Medienrechtsspezialist Jon Wessel-Aas: „Und gleichzeitig legitimieren wir Putins eigene Medienzensur.“ Der russischen Bevölkerung helfe man damit bestimmt nicht. Das Gegenteil sei der Fall.
Gahr Støre machte schnell einen Rückzieher und versprach weitere Überlegungen: „Natürlich müsse es gute Gründe geben, die Meinungsfreiheit einzuschränken.“
Trygve Hegnar, Chefredakteur der Finanzmedien Kapital und Finansavisen, ist einer der wenigen Gegenstimmen, die die Verhängung einer Kanalblockade von RT und Sputnik verteidigen. „Ist denn das, was in der Ukraine geschehe, nicht wirklich genug guter Grund?“, fragte er. Wenn Millionen Menschen vor dem Krieg auf der Flucht seien und „diese Medien behaupten, Russland selbst werde von der Ukraine angegriffen, es gebe keine Invasion und zivile Ziele würden nicht mit Raketen beschossen, dann ist das Maß an Lügen doch wirklich übervoll“.
Noch bevor Ursula von der Leyen am Mittwoch angekündigt hatte, die Kommission wolle drei weitere russische Staatssender blockieren, hatte Johan Taubert, der Chef der schwedischen Verlegervereinigung, an die EU appelliert, solche Zensur zu überdenken.
Sie demonstriere damit nicht Stärke, sondern Schwäche: „Demokratie muss mit demokratischen Mitteln verteidigt werden. Wir können nicht die Presse- und Meinungsfreiheit durch ein Verbot von Medienkanälen verteidigen. Selbst wenn das, was die verbreiten, gegen die Presse- und Meinungsfreiheit gerichtet ist. Wir geraten sonst auf eine ganz abschüssige Bahn: Was wird denn dann als Nächstes verboten?“
Die Folgen der EU-Verordnung musste der schwedische Journalist Emanuel Karlsten erfahren. Ein Posting zu den EU-Sanktionen darüber, dass es jedenfalls in Schweden ein historisch einmaliger Vorgang sei, dass man die Bevölkerung daran hindern wolle, bestimmte Informationen zur Kenntnis zu nehmen, wurde von Facebook mit dem Warnhinweis versehen, dieses Posting sei „offenbar unter redaktioneller Kontrolle des russischen Staats“ erfolgt. „Skandalös“, empört sich Karlsten. Auch dies sei „einer Dimension der EU-Verordnung geschuldet, über die kaum gesprochen wird“.
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