Nicht-Akademikerkinder an der Uni: Ich bin hier falsch

Kinder, deren Eltern nicht studiert haben, haben es an der Uni schwerer. Das Studentenwerk Schleswig-Holstein will sie unterstützen.

Eltern tragen mit ihrem Sohn schweres Gepäck

Die Unterstützung durch die Eltern ist für Studierende wichtig Foto: Gregor Fischer/dpa

KIEL taz | Ich bin hier falsch – kann ich das überhaupt – bin ich wirklich schlau genug für die Uni?“ Solche Fragen, sagt Andrea Witthohn, beschäftigten junge Erwachsene, die als Erste in ihrer Familie eine Hochschule besuchen: „Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind Themen.“

Die Psychologin berät beim Studentenwerk Schleswig-Holstein Studierende. Aus ihren Erfahrungen dort und ihrer eigenen Biografie kennt sie die Unsicherheiten, die mit dem nicht­aka­demischen Hintergrund einhergehen, und will dieser Personengruppe eine Plattform zum Austausch bieten. Dabei schaut sie besonders auf die emotionalen und psychologischen Aspekte.

Dass es schwierig sein kann, in das Uni-Milieu einzutauchen, hat Andrea Witthohn selbst erlebt. Die 33-Jährige stammt aus Heide in Dithmarschen an der Westküste von Schleswig-Holstein, ihre Eltern haben beide nicht studiert. „Dass das etwas ausmacht, habe ich erst später gemerkt“, erzählt sie.

Etwa nach dem Abschluss ihres Studiums in Hamburg: „Andere hatten kaum Probleme mit dem Übergang in den Beruf. Da griff das Netzwerk, Papa hat ein Praktikum organisiert, Mama gab Tipps. Ich habe Kreise gedreht – auch innerlich. Meine Familie konnte mir nicht so helfen, wie es bei anderen der Fall ist.“

Psychologische Probleme

Witthohn engagierte sich während ihres Studiums bei Arbeiterkind.de, einer bundesweiten Organisation für Studierende, die als Erste in ihrer Familie einen Universitätsabschluss anstreben. „Aber da geht es sehr oft um praktische und finanzielle Fragen“, sagt Witthohn. „Ich wollte das Thema von der psychologischen Seite angehen.“

Die Gelegenheit bietet sich ihr jetzt beim Studentenwerk Schleswig-Holstein. Witthohn ist Ansprechpartnerin für psychologische Probleme, viele davon sind unispezifisch, wie Prüfungsangst oder Leistungsdruck.

Die Selbstzweifel von Nichtakademiker-Kindern seien selten offen ein Thema, spielten aber unterschwellig eine Rolle, stellt die Psychologin fest. Gemeinsam mit den lokalen Gruppen von Arbeiterkind.de bot sie im Januar erstmals ein Onlinetreffen für Studierende aus nichtakademischen Familien an.

Dass das deutsche Bildungssystem hohe Hürden für Arbeiterkinder aufbaut, zeigen Studien immer wieder. Laut dem 2022 erschienenen Hochschul-Bildungs-Report, der die Entwicklungen der Coronajahre einbezieht, beginnen nur 27 Prozent der Jugendlichen aus Nichtakademikerhaushalten ein Studium. Haben die Eltern dagegen eine Uni besucht, folgen knapp 80 Prozent ihrer Kinder diesem Bildungsweg.

In den Coronazeiten hätten sich die fehlenden Kontakte zu Kom­mi­li­to­n*in­nen und Lehrenden auf Studierende ohne akademischen Hintergrund besonders ausgewirkt, denn die Einsamkeit am heimischen Schreibtisch führte „oftmals zu Informationsdefiziten und mentalen Barrieren: Erststudierende verlieren den Anschluss und fühlen sich nicht zugehörig“, heißt es in dem Bildungsreport.

Um so wichtiger sei es, Jugendlichen zu vermitteln, dass sie eben nicht allein seien, sagt Andrea Witthohn. „Es geht darum, Mut zu machen.“

Am ersten Treffen nahmen sechs junge Erwachsene aus drei Unistandorten teil, nicht überragend viel. Entmutigen lässt sich Witthohn dadurch nicht: Das nächste Treffen soll mit längerem Vorlauf und zu Beginn des Semesters stattfinden. Auch der Zeitrahmen muss sich ändern, denn die Teilnehmenden hatten viel zu berichten: „Wir hatten eine Stunde geplant, das war zu kurz.“

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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