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Neuer Antrag im BundestagGegen Judenhass im Bildungssystem

Nach der Antisemitismusresolution legt der Bundestag mit einem Antrag zu Judenhass an Unis nach. Neben Kritik gibt es dieses Mal auch deutliches Lob dafür.

Demonstrierende starten ihren Protest gegen Antisemitismus an der Humboldt Uni, im Oktober 2024 Foto: AdoraPress/M. Golejewski

Berlin taz | Der Bundestag beschäftigt sich erneut mit Antisemitismus. Die Fraktionen von SPD, Grünen, Union und FDP planen einen Antrag, der sich gegen Judenhass im Bildungssystem richtet. Beschlossen werden soll er in zwei Wochen. Wie schon bei der kürzlichen Antisemitismusresolution gibt es auch diesmal scharfe Kritik. Allerdings sind jetzt auch Befürworter des Vorhabens deutlich zu vernehmen.

Das Papier trägt den Titel „Antisemitismus und Israelfeindschaft an Schulen und Hochschulen entschieden entgegentreten sowie den freien Diskursraum sichern“. Es kommt teils etwas vorsichtiger daher als die Antisemitismusresolution vergangene Woche.

So betont der Entwurf immer wieder: „Hochschulen sind offene Orte der Wissenschaft und des freien und kritischen Diskurses.“ Außerdem wird die positive Rolle herausgehoben, die Wissenschaft und Bildung im Kampf gegen Antisemitismus spielen können. Bund und Länder sollen demnach die Forschung zu Antisemitismus und jüdischer Gegenwart stärken. Alle Be­am­t*in­nen und insbesondere Lehrkräfte sollen sich zudem in ihrer Ausbildung mit diesen Themen auseinandersetzen. Und auch im Schulunterricht sollen die Themen öfter vorkommen.

Bei der Frage der staatlichen Förderung appelliert der Antrag an die Selbstkontrolle der Ent­schei­dungs­trä­ge­r*in­nen in der Wissenschaft, denen eine „Schlüsselrolle“ zukomme. Es sei „Konsens, dass wissenschaftliche Exzellenz und Antisemitismus einander ausschließen“.

Mehr Härte gegen Antisemitismus an Unis

Allerdings lobt der Entwurf an anderer Stelle explizit den „Einsatz“ der inzwischen zurückgetretenen Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) gegen Antisemitismus. Stark-Watzinger war im Frühjahr fast darüber gestürzt, dass in ihrem Ministerium Pläne geprüft wurden, Wis­sen­schaft­le­r*in­nen die staatliche Finanzierung abzudrehen, weil sie propalästinensische Proteste verteidigt hatten.

Und der Antrag betont auch, Bund und Länder müssten dafür sorgen, dass die Unis gegen antisemitische Vorfälle hart vorgehen können. „Dazu gehören die konsequente Anwendung des Hausrechts, der temporäre Ausschluss vom Unterricht oder Studium bis hin zur Exmatrikulation in besonders schweren Fällen.“ Bund und Länder sollen zudem einen „strukturierten Dialog“ zwischen Unis und Sicherheitsbehörden anstoßen. Erst danach werden Informations- und Beratungsangebote für Betroffene gefordert.

Schließlich findet sich im Entwurf auch erneut eine Bekräftigung der IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus. Die ist umstritten, weil sie Antisemitismus sehr weit fasst. Kri­ti­ke­r*in­nen bemängeln, so werde auch eigentlich legitime Kritik an Israels Politik zu Antisemitismus erklärt.

„Problematische Eingriffe in Forschung“

Rund zwei Dutzend Pro­fes­so­r*in­nen kritisieren den Antrag in einer Stellungnahme dann auch scharf. Sie begrüßen zwar das Ziel, antisemitische Diskriminierung und Gewalt an Unis und Schulen zu verhindern. Gleichzeitig warnen sie aber vor einer „Reihe von problematischen Eingriffen in Forschung, Lehre sowie universitäres und schulisches Leben.“ Kritisiert wird etwa, dass Antisemitismus im Antrag isoliert betrachtet werde und antimuslimischer Rassismus ignoriert werde. Dabei bestehe eine „komplexe Verschränkung“ zwischen beiden Entwicklungen.

Der Antrag erkenne zudem nicht an, dass die Grenze zwischen Antisemitismus und legitimer Kritik an Israel umstritten sei. Der Ansatz, Judenhass vor allem durch Repression zu bekämpfen, sei falsch. Und der zunehmend verengte Diskursraum drohe, Lerneffekte im Unterricht und Lehrveranstaltungen unmöglich zu machen. Auch müsse die Vergabe von Fördermitteln weiter von politischer Einflussnahme frei bleiben.

Auch Miriam Rürup, Direktorin des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien Potsdam, hat die Stellungnahme unterzeichnet. Sie sagte der taz: „Es wird die Chance verpasst, Minderheitenschutz integrativ anzugehen.“ Und beklagt: „Stattdessen stehen alle Signale auf Repression.“

Rürüp fürchtet, der Antrag könne wissenschaftlichen Ausstausch unmöglich zu machen, weil dann auch legitime Kritik an Israels Regierung zum Ausschlusskriterium würde. „Eventuell wäre es dann nicht einmal mehr möglich, Wissenschaftler wie meinen engen Kollegen Gadi Algazi von der Uni Tel Aviv einzuladen“, so Rürup, „nur weil er die besatzungskritische israelisch-palästinensische Gruppe Taayush gegründet hat und sich auch für andere von der Netanjahu-Regierung inkriminierte zivilgesellschaftliche Organisationen einsetzt.“

„Nachhaltige Strategie gegen Judenhass“

Hanna Veiler, Präsidentin der jüdischen Studierendenunion, nennt den Antrag im Gespräch mit der taz dagegen einen „wichtigen Schritt, um langfristig sachlichere Diskurse zu ermöglichen und antisemitischen Narrativen entgegenzutreten.“ Sie sagte weiter: „Gerade in Zeiten, in denen Desinformation immer einfacher zugänglich ist und weitläufig zirkuliert, ist die Beschäftigung mit der komplexen Geschichte Israels dringend notwendig.“

Auch die Grünen-Abgeordnete Marlene Schönberger betont im Gespräch mit der taz, dass der Antrag auf eine nachhaltige Strategie gegen Judenhass abziele. „Bildungsarbeit ist unabdingbar im Kampf gegen Antisemitismus“, sagt sie. Gesetze, die bei antisemitischen Vorfällen greifen könnten, würden oft nicht umgesetzt, deshalb müssten Po­li­zis­t*in­nen und Ju­ris­t*in­nen besser über Antisemitismus informiert werden.

Schönberger sei es wichtig, sich an „die Seite der jüdischen Lernenden und Lehrenden“ zu stellen. Sie grenzt den Antrag auch gegen restriktivere Vorschläge ab. „Wer immer nur schärfere Gesetze fordert und Asyl- und Migrationsrechte einschränken will, instrumentalisiert die Aufmerksamkeit für den Antisemitismus zu anderen Zwecken.“

Nikolas Lelle von der Amadeo-Antonio-Stiftung sagt: „Den Impuls finde ich richtig.“ Die Lage an den deutschen Schulen und Unis sei „desaströs“: Ju­den*­Jü­din­nen seien Angriffen und Diskriminierung ausgesetzt, genauso wie diejnigen, die sich gegen Antisemitismus einsetzen. Allerdings: Die Forderung nach mehr Koordination zwischen Universitäten und Sicherheitsbehörden bereite ihm ebenfalls „Unbehagen“, so Lelle. „Aber ich versteh, woher die Forderung kommt.“

Anstieg von Antisemitismus

Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ist die Zahl antisemitischer Vorfälle auch in Deutschland dramatisch angestiegen. Auch an den Universitäten gab es immer wieder Angriffe. So verletzte etwa Anfang 2024 ein Student in Berlin einen jüdischen Kommilitonen schwer. Jüdische Studierende berichteten schon zuvor von einem Klima der Angst und Einschüchterung.

Bei propalästinensischen Protesten, die es an vielen Unis gab, tauchten Hamas-Symbole auf, teils skandierten die Demonstrierenden antisemitische Parolen. An manchen Orten gingen die Unileitungen gegen die Protestveranstaltungen vor und ließen sie räumen, andernorts durften die De­mons­tran­t*in­nen gewähren.

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14 Kommentare

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  • Wenn die Resolution dazu dient Kritik an israelischen Nationalismus, Landraub, Vertreibung, willfährige Gerichtsbarkeit, Rechtsextreme in der Regierung und Kriegsverbrechen unterzubuttern, dann werden Netanjahus Freunde nicht nur in den USA Wahlen gewinnen

  • Frau Rürup, das sollte man immerhin wissen, ist hier leider keine neutrale Beobachterin.



    Sie gehörte bereits zu den Initiatorinnen der BDS verharmlosenden "Initiative GG 5.3 Weltoffenheit". Offene Briefe diesen Jahres, die sich gegen Antisemitismus an Hochschulen oder gegen den Boykott isralischer Akademiker aussprachen, mochte sie allerdings nicht unterzeichnen.



    So viel zu Frau Rürups Sorge um die akademische Freiheit, die sie offenbar nur in einer Richtung gefährdet sieht.

  • Im Artikel wird festgestellt „Schließlich findet sich im Entwurf auch erneut eine Bekräftigung der IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus. Die ist umstritten, weil sie Antisemitismus sehr weit fasst. Kritiker*innen bemängeln, so werde auch eigentlich legitime Kritik an Israels Politik zu Antisemitismus erklärt.“

    Ich habe mal bei der IHRA-Definition nachgeschaut, auf der Webseite holocaustremembran...ion-antisemitismus.



    Dort wird wie folgt ausgeführt:



    „Um die IHRA bei ihrer Arbeit zu leiten, können die folgenden Beispiele zur Veranschaulichung dienen:



    Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten. ALLERDINGS KANN KRITIK AN ISRAEL, DIE MIT DER AN ANDEREN LÄNDERN VERGLEICHBAR IST, NICHT ALS ANTISEMITISCH BETRACHTET WERDEN.“

    Die zentrale Passage habe ich mal in Großbuchstaben hervorgehoben.

    Könnte es sein, dass die Kritiker*innen diese Veranschaulichung nicht gelesen haben?

    • @Gesunder Menschenverstand:

      Ich befürchte, nur diejenigen, die die Aussagen der Kritiker*innen wiederholen haben IHRA nicht gelesen.

      Bei vielen Kritiker*innen gehe ich inzwischen davon aus, dass sie sie kennen, aber wissen, dass einige ihrer Haltungen nicht davon gedeckt ist, weil sie eben antisemitisch sind. Oder dass sie antisemitische Freunde*Freundinnen haben.

  • Damit löst man das Problem nicht es wird wenn überhaupt nur aus dem öffentlichen Raum gedrängt aber das Problem bleibt.

  • "Der Ansatz, Judenhass vor allem durch Repression zu bekämpfen, sei falsch."

    In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten wurde Judenhass meiner Meinung nach eher nachgiebig und großzügig begegnet. Was daraus erwuchs, sehen wir jetzt; nicht nur in Deutschland.



    Insofern bin ich dafür, jetzt repressive Maßnahmen anzuwenden. Schlimmer als gegenwärtig kann es kaum noch werden.

    Des Weiteren plädiere ich dafür, soviele jüdische Menschen als möglich in Deutschland als Flüchtlinge oder Migranten aufzunehmen, da auch dies einen gewissen Schutz gegenüber anderen Minderheiten bedeutet.

  • Ohne den real existierenden Antisemitismus auch an Universitäten in Abrede stellen zu wollen möchte ich doch darauf hinweisen, dass Berlin hinsichtlich antisemitischer Vorfälle und Straftaten trauriger Spitzenreiter ist. Das verstellt vielleicht manchem den Blick darauf, dass anderswo durchaus noch friedlicher Diskurs möglich ist.



    Ich besuche derzeit eine Ringvorlesung des Forums für deutsch-jüdische Studien zum Thema Nahost-Konflikt an der Uni meiner Stadt, und oh Wunder! Keine Hassparolen an den Wänden, keine Transparente vor oder in der Uni, kein Streifenwagen vor der Tür oder Absperrungen nötig. Stattdessen: Störungsfreie Vorlesung und zivile Umgangsformen in der anschließenden Diskussion.



    Auch das ist Realität in Deutschland.

  • Tja, die Leutchen fighten vehement ihren Hass gegen Juden auch ausdrücken zu dürfen.

    Der "freie Diskurs" sieht dann in der Regel so aus:

    »From the River . . . « und so'n Zeugs. Nur möglich, wenn der jüdische Staat ausgelöscht wird.

    »Yallah, yallah, Intifada«. Bei Intifadas werden gern viele Juden getötet. Oder auch: »There is only one solution: Intifada, revolution!«. Revolution, na super, da kommen doch auch unsere vermehrt "israelbezogenen und links-antiimperialistischen Antisemiten" zum Zuge. Diejenigen, die gegen die imperialistischen Mullahs, die über ihre Proxys Hamas, Hisbolla, Huthi & Co. den Krieg gegen Israel erst losgetreten haben, ihren Mund bisher noch nicht aufgekriegt haben.

    Na ja, wenn mal sich einmal so richtig auf Antisemitismus fixiert hat, möchte man auch nicht mehr so gern davon lassen. Gehört halt zum Ego gewisser Leute, ihrer Identität. Die brauchen das.

    Nun, dann macht man halt weiter wie bisher an den Unis: Juden bedrohen, angreifen, Wände beschmieren, am liebsten mit dem auf den Kopf gestellten roten Dreieck, mit dem die Nazis politische Häftlinge in KZs gekennzeichnet haben.

    Rürup hat Recht: "Es stehen alle Signale auf Repression".

  • "Es sei „Konsens, dass wissenschaftliche Exzellenz und Antisemitismus einander ausschließen“."



    Was für ein gefährlicher Trugschluss.



    Natürlich können Antisemiten exzellente Wissenschaffende (?) sein. Auch Rassisten, Extremisten jeglicher Art etc.



    Und je "exzellenter" die sind, desto gefährlicher.



    Das zu negieren lässt diese Gefahr unsichtbar werden.

    • @Desdur Nahe:

      " Natürlich können Antisemiten exzellente Wissenschaffende (?) sein. Auch Rassisten, Extremisten jeglicher Art etc."

      Das ist aber nicht was gesagt worden ist. Exzellenz und Antisemitismus schließen einander aus, da die Systeme nicht stabil bleiben, Nachwuchs ausschließen und statt tragende Lösungen zu suchen und Widersprüche zu finden und zu integrieren, Verschwörungstheorien und Affekte über gute Theoriebildung und inklusive Netzwerke stellen.

      Was ich sage ist auch nicht was gesagt worden ist, aber es ist Aufgabe von dir zu sehen wo rote Fäden sind, die Argumente tragfähig machen.

  • Und wieder mal wird das an sich Selbstverständliche beschlossen und wieder gibt es auch daran Kritik.

    "„Hochschulen sind offene Orte der Wissenschaft und des freien und kritischen Diskurses.“

    Das ist hehr und wünschenswert. Leider zeichnet sich der hier gemeinte Personenkreis eher dadurch aus, Andersdenkende am Sprechen zu hindern, sie zu bedrohen, anzugreifen und zu verletzen,



    Büroräume zu verwüsten, Symbole von Terrororganisationen an die Wand zu schmieren und Uni-Angestellte in Angst und Schrecken versetzen.

    Ihre Vorstellung von Freiheit der Wissenschaft bedeutet, israelische Forschende und Lehrende aus dem Diskurs auszuschließen.

    Sie verwenden Nazi-Methoden, begreifen sich als links und haben nichts begriffen.

    Und ein Teil der Professoren macht sich zu nützlichen Idioten dieser Verblendeten.

  • > eventuell wäre es dann nicht einmal mehr möglich, Wissenschaftler wie meinen engen Kollegen Gadi Algazi von der Uni Tel Aviv einzuladen …

    Weder Ta’ayuush¹ noch zu Gadi Algazi² finde ich Hinweise, dass sie nach der IHRA-Definition³ antisemitisch sind.

    ¹ de.wikipedia.org/wiki/Ta%27ayush



    ² de.wikipedia.org/wiki/Gadi_Algazi



    ³ holocaustremembran...ion-antisemitismus

    Gibt es zu der Aussage andere Belege oder ist das im dunkeln Munkeln?

  • Bitte mal die Überschrift korrigieren. Es gibt keinen Judenhass im Bildungssystem!



    Es gibt vielleicht einige Menschen im System die sowas denken. Das ist aber nicht im "System" angelegt.



    So ist es bloßes Framing ohne konkretes Ziel.