Neue Ideen gegen Rechtsextremismus: Zu lange den Falschen zugehört
Die Regierung will etwas tun gegen den Hass. Das ist gut, aus Worten werden irgendwann Taten. Die Frage ist bloß: Warum erst jetzt?
B evor man sich den Ideen der Bundesregierung gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität widmet, sollte man ein großes Fragezeichen in den Raum stellen: Warum erst jetzt? Warum verpflichtet die Regierung erst jetzt Facebook und Co. dazu, Morddrohungen den Ermittlungsbehörden zu melden? Diese Maßnahme, angeschoben nach dem furchtbaren Mordanschlag in Halle, ist natürlich völlig richtig. Sie sollte allerdings eine Selbstverständlichkeit sein. Und sie kommt viel zu spät.
Es ist ganz einfach: Aus Worten werden Taten, nicht sofort, aber irgendwann. Die Verrohung der Sprache, das Verschieben der roten Linie, sie bewirken etwas. Seit Jahren nimmt die Hetze im Netz zu, die Flut unflätiger Beleidigungen, die Gewaltandrohungen. Sie schaffen einen Diskursraum, in dem sich Rechtsextreme geschützt und akzeptiert fühlen. Konservative und Neue Rechte klagen ja gerne, dass man heutzutage nicht mehr alles sagen dürfe, was man denke. Das Gegenteil ist der Fall: Zu viel Menschenverachtendes wird gedacht, zu viel wird gesagt – und manchmal eben auch getan.
In Halle hat eine Holztür verhindert, dass es zu einem Massaker an Juden und Jüdinnen in Deutschland kam. Die Regierung will nun, als eine Konsequenz, stärker gegen Hasskriminalität vorgehen, also etwa die Aufforderung zu Straftaten oder ihre Verharmlosung strenger ahnden. Gut und sinnvoll, keine Frage. Aber hätte man diesen Gedanken nicht schon früher haben können? Es gab die Morde des NSU, die Sprengstoffanschläge der Gruppe Freital und den Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Die Bundesregierung hat zu lange die Augen davor verschlossen, dass es tödlichen Rechtsterrorismus gibt. Und sie hat den Zusammenhang von Sprache und Gewalt ignoriert. Es ist schön, dass sie nun endlich das Waffenrecht verschärfen, den Verfassungsschutz stärker gegen Rechtsextremismus ausrichten und KommunalpolitikerInnen besser schützen will. Aber statt der Brutalität von rechts früh die ganze Härte des Rechtsstaates entgegenzusetzen, hat sich die Große Koalition damit beschäftigt, auf vermeintliche Ängste der AfD-WählerInnen einzugehen.
Horst Seehofer, der heute als Kämpfer gegen rechts auftritt, hätte im Sommer 2018 wegen eines nicht existenten Problems in der Flüchtlingspolitik beinahe die Regierung platzen lassen. Dieser Fokus ist fatal. Die Wahlergebnisse in Brandenburg, Sachsen und Thüringen bieten Anlass genug, endlich die Sorgen derjenigen ernst zu nehmen, die von Rechtsextremen bedroht werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten