Netanjahus Verzögerung der Justizreform: Machtvolle Zivilgesellschaft

Nach Massenprotesten hat Israels Ministerpräsident Netanjahu seine geplante Justizreform verschoben. Das zeigt, dass die Demokratie noch funktioniert.

Demonstranten tragen Masken und schwenken israelische Fahnen

Demonstration gegen die Pläne der Regierung von Premierminister Netanjahu in Tel Aviv Foto: Oded Balilty/ap

Ausgerechnet Israel zeigt der Welt, wie Demokratie funktioniert. Seit Wochen warnen die KritikerInnen vor einer Schwächung der Justiz, einer Staatskrise, vor dem Ende der Gewaltenteilung und dem Ende der Demokratie. Massen­proteste, Streiks und nicht zuletzt demonstratives Unbehagen der westlichen Verbündeten zwingen die Regierung zur Kapitulation.

Zwar ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, von lediglich einer Verzögerungstaktik ist die Rede. Und doch zeigt sich schon heute, dass Regierungschef Benjamin Netanjahu und seine in Teilen rechtsextremen Koalitionspartner, wie sich der Wortlaut in deutschen Medien ganz recht zunehmend durchsetzt, mit ihren für Israels Demokratie fatalen Plänen nicht durchkommen werden. Nicht ob, sondern nur noch wann, ist die Frage, wird Netanjahu, dem Engvertraute und kritische Beobachter eine rasant schwindende Zurechnungsfähigkeit nachsagen, die weiße Flagge hissen.

Besonders bitter für ihn ist es, auf internationaler Bühne so heftig gescholten zu werden. Netanjahu fängt sich heftigste Rügen ein. Sogar in Washington will ihn aktuell niemand in Empfang nehmen. Das Gegenteil war vermutlich sein Plan, als er Mitte März die Reise nach Berlin antrat. Ihm dort den Besuch komplett auszuschlagen, ging nicht.

Innenpolitisch brachte der Rausschmiss von Verteidigungsminister Joav Gallant, der aus Sorge um Israels Sicherheit dazu aufrief, von der geplanten Justizreform abzulassen, das Fass zum Überlaufen. Für Netanjahu war dieser „Verrat“ Grund genug, ihn umgehend zu entlassen. In der Bevölkerung kam das nicht gut an. Mit dem Rausschmiss des konservativen Verteidigungsministers wuchs der Kreis der Unwilligen dramatisch an. Dem Likud, der Partei Netanjahus, bricht die Basis weg. Die Hoffnung richtet sich jetzt auf die PolitikerInnen, die im Auftrag des Likud in der Knesset, dem Parlament Israels, sitzen. Wie lange noch werden sie ihrem Chef die Treue halten?

Große Mehrheit, die nicht auf Demokratie verzichten wollen

Der Generalstreik, auch am Ben-Gurion-Flughafen, steht für die große Mehrheit der israelischen BürgerInnen, die nicht gewillt sind, auf Demokratie zu verzichten. Und sie zeigt, welche Macht die Zivilgesellschaft hat. „Dies ist nicht Iran“, heißt es auf Protestschildern in Tel Aviv und Jerusalem.

Die GegnerInnen der Justizreformen lassen die blau-weißen Flaggen wehen. Es sind PatriotInnen, die sich in weiten Teilen mit der Besatzung längst abgefunden haben, sie möglicherweise gar begrüßen. Und das obschon die Besatzung zentraler Grund für die aktuelle Krise ist. Sie mögen BesatzerInnen sein und bleiben doch der Demokratie treu. Widersprüchlich? Vielleicht. Politische Haltungen sind eben nicht immer logisch.

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1961 in Berlin geboren und seit 2021 Co-Leiterin der Meinungsredaktion. Von 1999 bis 2019 taz-Nahostkorrespondentin in Israel und Palästina.

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