Nahles und AKK: Bedenke das Ende
Mit den Krisen der Parteivorsitzenden von CDU und SPD bewegt sich das Land auf einen weiteren Sommer des Streits zu. Am Ende könnten Neuwahlen stehen.
Am Ende dieser bewegten Woche stehen zwei Frauen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Schon wird im politischen Berlin geraunt, die beiden seien so gut wie weg. Erledigt. Die eine, die Sozialdemokratin Andrea Nahles, hat ohne Not sich und ihren Posten als Fraktionschefin im Bundestag zur Abstimmung freigegeben. Am kommenden Dienstag werden die Abgeordneten entscheiden, ob Nahles sie weiter führen soll.
Die andere, die Christdemokratin Annegret Kramp-Karrenbauer, geht schwer angeschlagen in eine Klausur des CDU-Bundesvorstands. Am Sonntag und Montag will man miteinander über die Ergebnisse der Europawahl sprechen. Die waren in Deutschland bekanntlich nicht gut ausgefallen, die Union hat 6,4 Prozentpunkte der Stimmen verloren und kam mit unter 30 Prozent ins Ziel. Es war die erste Wahl, die Kramp-Karrenbauer und ihr Generalsekretär Paul Ziemiak zu verantworten haben.
Die Analyse der Vorsitzenden am zurückliegenden Montag endete bekanntlich in einem kommunikativen Desaster. Irritierend ungeordnet brachen aus Kramp-Karrenbauer Gedanken und Emotionen heraus. Ein Tiefpunkt war ihre Grundannahme, die CDU habe nicht wegen ihrer Politik verloren, sondern wegen der Kritik eines YouTubers und des verdrucksten Umgangs damit. Man wünschte sich augenblicklich Angela Merkel zurück in die Parteizentrale, die ihr Amt mit der häufig kritisierten Patina der Unangreifbarkeit versehen hatte: Niveau-Limbo war mit der Uckermärkerin nicht zu machen.
Seit sechs Monaten führt nun Kramp-Karrenbauer die CDU. Und seltsam, nachdem die Saarländerin zu Beginn vieles richtig gemacht hatte, droht ihr diese rasch erworbene Stärke nun wieder zwischen den Fingern zu zerrinnen. Mit ihren dezidiert den konservativen Parteiflügel streichelnden Positionen – etwa zur Flüchtlingspolitik, zum Klima oder zu Genderthemen – verliert sie zusehends jene Getreuen in der CDU, die anpacken, statt zu meckern. In Politiker-Rankings steht die Vorsitzende weit hinter ihrer Vorgängerin Angela Merkel.
Die Jungs fassen neuen Mut
Erschwerend hinzu kommt Kramp-Karrenbauers Hang, ihr politisches Handeln wortreich zu erklären und dabei jede Menge Interpretationsspielraum zu schaffen. Wer wie sie auf der Pressekonferenz am vergangenen Montag anstehende Reformen als „keine einfache Operation“ ankündigt, inklusive „Veränderungen nicht nur an ein, zwei Stellen oder personell“, versetzt die eigenen Leute in Aufruhr. Das Selbstbewusstsein des Dickschiffs CDU zu beschädigen bleibt nicht ungestraft.
Auch deshalb wird die Klausurtagung des Bundesvorstandes an diesem Wochenende unter noch genauerer Beobachtung stehen. Für den Montagmittag hat Annegret Kramp-Karrenbauers Pressestelle deshalb wieder zu einem Statement eingeladen. Wird sich die Vorsitzende erneut im Wortgestrüpp verlieren? Es könnte helfen, sich zuvor noch einmal vor Augen zu halten, was Angela Merkel gerade vor Studierenden in Harvard gesagt hat. Man solle, so die Kanzlerin, nicht immer „ersten Impulsen folgen, sondern zwischendurch einen Moment innehalten, schweigen, nachdenken, Pause machen“.
Merkels Auftritt wirkte in Emotionalität und Präsenz wie eine Abschiedstournee. Aber so, wie es aktuell aussieht, wird sie entweder ihrer Wunschnachfolgerin fürs Kanzlerinnenamt noch etwas mehr Zeit geben müssen. Oder sie hat ihre Nachfolge demnächst gar nicht mehr selbst in der Hand.
Die Jungs in CDU und CSU fassen gerade neuen Mut. Am Dienstag nach Annegret Kramp-Karrenbauers peinlicher Pressekonferenz twitterte der beim Hamburger Parteitag unterlegene Friedrich Merz, die Parteiführung habe die „strategische und kulturelle Kontrolle“ über das Thema Umwelt verloren. Auch der Merkel-Getreue Armin Laschet stichelte gegen Kramp-Karrenbauer: „Wir können über vieles diskutieren, aber nicht über Pressefreiheit.“
Überall Heckenschützen
Selbst ihr Gewogene wiegen besorgt die Köpfe. Entweder „AKK“ steht diese Krise jetzt eisern durch, so wie Merkel es stets gehalten hat, ordnet ihre Agenda und regelt das Chaos in der Parteizentrale. Oder die CDU lässt sie noch bis nach den Landtagswahlen im Osten gewähren, bürdet ihr dann die erwartbar miesen Ergebnisse auf und bringt derweil für eine mögliche Neuwahl im Bund einen Nachfolger in Position. Schneller Personalwechsel – das wäre dann allerdings SPD-Niveau.
Auch deren Vorsitzende Andrea Nahles hat viel falsch gemacht in den letzten Monaten. Das nimmt nicht Wunder. Schon bevor sie 2017 erst Fraktionsvorsitzende und 2018 gerade so Parteichefin wurde, war ihre SPD in einem beklagenswerten Zustand. Wahl um Wahl war verloren worden, während die Abgeordneten im Bund und in den Landesparlamenten so verzweifelt wie vergeblich gegen das Negativimage ihrer eigenen Partei ankämpften und trotzdem gravierende Fehler machten.
Erinnert sei etwa an den Spitzenkandidaten der Brandenburger SPD zur Europawahl, der sich mit blumigen Versprechungen und einer manipulierten Biographie am Landesvorsitzenden und dessen Wunschkandidatin vorbeimogeln konnte. Oder an Sigmar Gabriel, der sich dank eines gut dotierten Autorenvertrags medial über die Fehler seiner ehemaligen Generalsekretärin auslassen kann. Gerade erst schrieb er im Tagesspiegel, „alles und alle“ gehörten in der SPD „auf den Prüfstand“. Das Chaos bei den SozialdemokratInnen nutzen CDU und CSU derweil, um deren umwelt- und sozialpolitische Gesetzesvorhaben zu boykottieren.
All dies, die Heckenschützen aus den eigenen Reihen, das Machtgehabe und Machotum, wird jetzt, im Moment von Nahles’ Schwäche, gern übersehen. Aber auch sie selbst macht gerade einen machttaktischen Fehler nach dem anderen. Gerade noch gelang es ihr knapp vor der Europawahl, einen Putsch gegen sich an der Fraktionsspitze zu unterbinden. Ausgerechnet der Wahlverlierer Martin Schulz soll sich berufen gefühlt haben. Doch gleich nachdem die GenossInnen im Parteivorstand nach hitziger Debatte verabredet hatten, jede weitere Personaldebatte zu unterbinden, verkündete Andrea Nahles am selben Abend im Fernsehen, die für September anstehende Wahl zum Fraktionsvorsitz auf den 4. Juni vorziehen zu wollen. Seitdem stehen ihre Chancen für eine Wiederwahl schlechter als zuvor.
18 Jahre Merkel, 10 SPD-Vorsitzende
Ihre machttaktische Rochade könnte auch diese Parteivorsitzende ihr Amt kosten. Denn die GenossInnen sind richtig sauer. Es ist ja auch einfacher, die Verantwortung bei der Führung abzuladen – wozu hat man die schließlich gewählt. Eine außerordentliche Fraktionssitzung Mitte dieser Woche verlief ergebnislos, man fand keinen Frieden miteinander. Nahles’ Schachzug hat sich damit als erfolglos erwiesen.
Selbst wenn die Abgeordneten sie am Dienstag kommender Woche erneut zu ihrer Fraktionsvorsitzenden wählen sollten, wäre damit kaum etwas gewonnen. Der tiefe Riss liegt ganz offen zutage. Gut möglich, dass Nahles im Fall einer Niederlage nicht nur das Amt in der Fraktion, sondern auch den Parteivorsitz verlöre. In den 18 Jahren von Angela Merkels CDU-Vorsitz haben sich die SozialdemokratInnen zehn Vorsitzende geleistet. Eine Nummer elf fiele wohl kaum noch ins Gewicht.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
All diese Vorgänge, die Streitigkeiten und Intrigen, der Machtverlust der einstigen Volksparteien und die Blockade der Regierungsarbeiten, lassen Böses für die kommenden Wochen erahnen. Vor einem Jahr war es die CSU, die ihre Schwesterpartei öffentlich bekämpft hatte. Der Sommer 2019 beginnt mit heftigen Streitigkeiten in CDU und SPD. Im September und Oktober wird in Ostdeutschland gewählt, es muss mit einem politischen Denkzettel für die Große Koalition gerechnet werden. Und dann wäre da noch die im Koalitionsvertrag verbriefte „Bestandsaufnahme“ zur Mitte der Legislatur. Ein Aufstand der SPD-Basis gegen die eigene Führung ist nicht ausgeschlossen. Doch auch ohne Rebellion wird es zusehends wahrscheinlicher, dass der kommende Herbst diese Regierung hinwegfegen könnte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut