Nach der Terrorwarnung in Deutschland: Die Nervosität bleibt
Die Sicherheitsbehörden bemühen sich nach der Absage des Fußballspiels um Normalität. Alarmiert sind sie dennoch.
Es soll nach etwas Normalität klingen. Aber nichts ist normal. Abends zuvor wurde das Fußballfreundschaftsspiel Deutschland gegen Niederlande in Hannover abgesagt – 91 Minuten vor Anpfiff, wegen einer Anschlagswarnung. Damit rückt vier Tage nach den verheerenden Paris-Attentaten die Terrorbedrohung auch an Deutschland heran, ganz konkret.
Schon seit den Anschlägen von Freitagnacht haben die Sicherheitsbehörden rund um die Uhr Hinweise auf mögliche Bezüge der Terroristen nach Deutschland oder Nachahmertaten hierzulande gesichtet. Die Informationen laufen im Terrorabwehrzentrum in Berlin-Treptow zusammen, in dem alle Behörden vertreten sind. Es ein nervöser Ausnahmebetrieb, der dort derzeit herrscht.
Ein erster Hinweis auf die Gefährdung des Länderspiels erreichte die Sicherheitsbehörden offenbar früh. Bereits am Dienstagmittag wurden laut Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) er und seine Kollegen informiert, dass ein ausländischer Geheimdienst, offenbar der französische, vor einem Anschlag auf ein Sportereignis in Deutschland warne.
BKA-Chef Holger Münch
Gegen Abend kommen neue Hinweise dazu, diesmal aus „Quellen des Bundes“, diesmal „sehr konkret“, wie es heißt. Alle Sicherheitschefs halten die Quelle für vertrauenswürdig. Dann empfehlen sie Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), das Spiel abzusagen. Der stimmt zu.
Kaum Details
Über Details wird auch am Mittwoch geschwiegen. Medien spekulieren über Hinweise auf eine Gruppe um einen polizeibekannten Nordafrikaner, über einen irakischen Schläfer aus dem Weserbergland. Es sei von Sprengmitteln, Sprengstoffgürteln, automatischen Waffen und Sprengsätzen die Rede gewesen. Hannovers Polizeichef Volker Kluwe gibt nur so viel bekannt: Der Hinweisgeber habe von einem Sprengstoffanschlag im Stadion gesprochen.
Am Dienstag verkünden Polizisten per Megafon die Spielabsage. Die bereits eingetroffenen Zuschauer verlassen ruhig das noch ziemlich leere Stadion. Wenige Minuten später stehen rund herum Hunderte Mannschaftswagen, PolizistInnen mit Maschinenpistolen versperren den Weg. „Hier kommen Sie nicht durch, tut mir leid“, sagt eine Beamtin immer wieder. Martialisch ist die Stimmung, ja gespenstisch: Am Straßenrand telefonieren Menschen, versichern Familie und Freunden, dass es ihnen gutgeht.
Noch am Abend treten de Maizière und der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius vor die Presse. Auch das Innenministerium ist stark gesichert. Nur in Zweiergruppen werden die JournalistInnen eingelassen, danach intensiv durchsucht. Doch der Ausnahmezustand steht in seltsamem Kontrast zu dem, was die Minister inhaltlich sagen. „Hinweise“ auf die „Gefährdung des heutigen Fußballspiels haben sich so verdichtet, dass die Sicherheitsbehörden des Bundes aus Gründen des Schutzes der Bevölkerung dringend empfohlen haben, dieses Länderspiel abzusagen“, referiert de Maizière in bestem Beamtendeutsch.
Die Gefährungslage
Allein: Worin die „Gefährdungslage“ konkret besteht, was die Sicherheitsbehörden genau befürchten, wollen beide Minister nicht sagen. „Ein Teil der Antwort“ würde „die Bevölkerung verunsichern“, sagt de Maizière. Außerdem könnten Hinweisgeber „beeinflusst“ werden und in Zukunft schweigen. Er bitte „die deutsche Öffentlichkeit“ deshalb „um einen Vertrauensvorschuss“.
Die Bitte gilt noch tags darauf. Pistorius gibt nur bekannt, dass keine Bomben gefunden wurden. Eine Polizeisprecherin berichtet aber von einer „gut gemachten“ Sprengstoffattrappe im Fernzug nach Oldenburg. Die Polizei suche weiter nach Verdächtigen.
Die Informationspolitik findet nicht nur Zustimmung. Der Grünen-Innenexperte Konstantin von Notz kritisiert, der Innenminister müsse in einer solchen Situation klare Aussagen machen, „anstatt mit maximal unkonkreter Bedrohungsrhetorik für zusätzliche Unsicherheit zu sorgen“. Aus dem Umfeld des Innenministers wird eingeräumt: Der Satz, die Bevölkerung nicht verunsichern zu wollen, sei „unglücklich“ gewesen. Er würde so nicht noch einmal fallen, sollte aber den Ernst der Bedrohung unterstreichen.
Die Hinweise auf den Quellenschutz aber wiederholen die Sicherheitschefs am Mittwoch unisono. Tatsächlich sind seit den Paris-Anschlägen alle Informanten in der islamistischen Szene darauf angesetzt, ihre Kontaktpersonen auf Wissen über die Paris-Attentate oder hiesige Anschlagspläne abzuklopfen. Über die Zahl der V-Leute ist nichts bekannt. Wohl aber, wie viele islamistische „Gefährder“ die Behörden jetzt im Blick haben: exakt 426 Personen. Als Gefährder wird eingestuft, wer zu „erheblichen politischen Straftaten“ bereit scheint – eine vage Definition. Bei allen prüfen die Beamten nun, wo sie sich aufhalten, was sie derzeit vorhaben. Einige werden direkt angesprochen. Das Signal lautet: Wir haben euch im Blick.
250 Syrienrückkehrer
Beunruhigt sind die Behörden vor allem über die inzwischen rund 250 Syrienrückkehrer. Einige von ihnen sind desillusioniert, einige aber auch kampferprobt – und nun vernetzt mit anderen europäischen aus Syrien Ausgereisten. Deshalb halten es die Sicherheitsbehörden für möglich, dass flüchtige Attentäter oder Hintermänner der Paris-Anschläge auch in Deutschland untertauchen könnten.
Bereits wenige Stunden vor der Spielabsage in Hannover hatten Einsatzkräfte in Alsdorf in NRW sieben Verdächtige verhaftet. Sie vermuteten einen flüchtigen Paris-Attentäter darunter. Es war ein Fehlalarm: Laut Polizei gab es keinen Paris-Bezug, die Festgenommen wurden freigelassen. Der Fall aber zeigt, wie nervös die Behörden derzeit sind. Lieber einmal zu früh reagiert, als zu spät.
Die Lage erinnert an die Situation nach dem Attentat gegen die Zeitschrift Charlie Hebdo im Januar in Paris. Auch damals wurde nur kurz darauf ein Pegida-Aufzug in Dresden wegen der Gefahr eines Anschlags abgesagt. Später folgten die Absage einer Karnevalsfeier in Braunschweig und ein Großeinsatz in Bremen. In keinem Fall bestätigte sich der Verdacht.
Diesmal aber, betont BKA-Chef Münch in Mainz, war die Absage „unvermeidbar“. Der Hinweis sei „ernst zu nehmend“ gewesen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bedankt sich bei den Sicherheitskräften: Die Entscheidung sei im Sinne der Sicherheit der Menschen gefallen.
Dabei sollte das Länderspiel ein Symbol werden, vier Tage nach dem Anschlägen mit 129 Toten und dem versuchten Angriff auf das Stade de France in Paris: Wie lassen uns nicht einschüchtern, auch von Terroristen nicht. Am Mittwoch wird versucht, diese Botschaft wieder aufzunehmen.
Der DFB kündigt an, den Bundesliga-Spieltag am Wochenende stattfinden zu lassen. Auch die Sicherheitschefs in Mainz sind sich einig, dass künftig Großveranstaltungen weiter möglich seien. Sein müssen. „Wir werden unsere Lebensweise nicht ändern“, verkündet Innenminister de Maizière am Abend in Mainz.
Die Nervosität aber bleibt. Und sie erfasst auch die politische Debatte. Es ist Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der einen Einsatz der Bundeswehr bei Terroranschlägen ins Spiel bringt – bislang ist nur die Polizei für die innere Sicherheit zuständig. De Maizière widerspricht: „Dafür sehe ich in der jetzigen Lage keinen Bedarf.“ Dafür drängt der Innenminister, dass künftig Fluggastdaten in Europa gespeichert und mit Fahndungslisten abgeglichen werden. Am Freitag sollen darüber die EU-Innenminister in Brüssel beraten. Die Debatte über Verschärfung von Sicherheitsmaßnahmen, sie hat nach Paris nun auch Berlin erreicht.
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