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Nach Volksentscheid in BerlinEnteignen als Chance

Einer Neuauflage von Rot-Grün-Rot in Berlin steht kaum mehr etwas im Weg. Aber der Umgang mit dem Volksentscheid wird Streitthema bleiben.

Enteignen ist nichts für Franziska Giffey: Verziertes Plakat aus dem Wahlkampf Foto: Imago

Berlin taz | Es ist kurz nach Mitternacht, als die Einigung per Pressemitteilung bekannt gemacht wird: Die neue Landesregierung aus SPD, Grünen und Linken respektiere das Ergebnis des erfolgreichen Enteignen-Volksentscheids, heißt es in dem Schreiben, und sie werde „verantwortungsvoll damit umgehen“. Wie genau, das muss eine Expertenkommission klären. Jene soll „Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen“ prüfen, wie der Wille der Ber­li­ne­r*in­nen umgesetzt werden kann.

Die Formulierungen gehen kaum über die Sätze des vor den Koalitionsverhandlungen verabschiedeten Sondierungspapiers hinaus. Dennoch sind sie immens wichtig: Nach dieser Einigung dürfte einer erneuten Zusammenarbeit von SPD, Grünen und Linken inhaltlich nicht mehr viel im Weg stehen.

Bis Freitag sollen in weiteren Verhandlungen, unter anderem zu den Themenbereichen Innenpolitik, Bildung und Finanzen, die restlichen Seiten des Koalitionsvertrags erarbeitet werden. Am 21. Dezember könnte Franziska Giffey, frühere SPD-Familienministerin und Spitzenkandidatin in Berlin, als neue Regierende Bürgermeisterin vom Abgeordnetenhaus gewählt werden.

Eine Neuauflage von Rot-Grün-Rot war lange nur eine Option von dreien. Im Wahlkampf hatte Giffey vor allem in Fragen der Verkehrs- wie der Wohnungspolitik deutlich konservativere Positionen vertreten als Grüne und Linke, aber auch als die SPD in Berlin bisher. Die einstige Bundesministerin hätte erklärtermaßen lieber mit Grünen und FDP eine Ampel gebildet. Doch das lehnten die Grünen ab.

Die Expertenrunde werde beauftragt, nicht das Ob, sondern das Wie zu prüfen, sagte Linken-Landeschefin Katina Schubert

Zudem hatten die Ber­li­ne­r*in­nen in der Abstimmung über den Volksentscheid deutlich gemacht, dass sie angesichts der dramatischen Lage auf dem Wohnungsmarkt und dem Aus für den Mietendeckel eine radikale Mietenpolitik mittragen würden. 57,6 Prozent stimmten dafür, die Wohnungsbestände großer Immobilienunternehmen zu vergesellschaften. Das Grundgesetz sieht diese Möglichkeit in Artikel 15 zwar vor; genutzt wurde er bisher aber noch nie. Allerdings stand kein Gesetz zur Abstimmung, sondern lediglich der Appell an den Senat, ein solches Gesetz zu erlassen.

Giffey hatte sich im Wahlkampf klar dagegen ausgesprochen; die Grünen sahen Enteignungen eher als Mittel zum Zweck. Lediglich die Linke stellte sich voll dahinter – und stand deswegen in den Verhandlungen unter Druck: Welche Ziele und Aufgaben sollte die vom neuen Senat einzusetzende Expertenkommission haben? Und wer sitzt darin?

Viel Spielraum für Interpretationen

Die Expertenrunde werde beauftragt, „nicht das Ob, sondern das Wie“ zu prüfen, betonte Linken-Landeschefin Katina Schubert in der Nacht auf Dienstag auf taz-Nachfrage. Bei der Frage der Besetzung haben sich die Ver­hand­le­r*in­nen Montagnacht indes um eine klare Position gedrückt: Der nächste Senat soll darüber in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit entscheiden; die Initiative, die den Volksentscheid auf den Weg gebracht hat, werde daran beteiligt. Das lässt viel Spielraum für Interpretationen und dürfte noch für Ärger zwischen SPD, Linken und Grünen sorgen.

Die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen warf der SPD am Dienstag vor, die Umsetzung des Volksentscheids zu blockieren. Und die Mitglieder der Linkspartei müssen in einer Urabstimmung den Koalitionsvertrag billigen. Es ist keineswegs sicher, dass ihnen der Kompromiss ausreicht. Das Thema ist also noch lange nicht abgeräumt. Und bis ein entsprechendes Gesetz in Kraft treten kann, dürften locker fünf Jahre vergehen.

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