Nach Rückzug der Parteispitze: Und jetzt die Nachfolge-Tombola
Die Linke steht vor mehreren Dilemmata: Wer ist bekannt genug für die Nachfolge, aber dennoch frisch? Wer kann Realpolitik und Idealismus versöhnen?
Das ist eine recht sportliche Ankündigung für eine Partei im Existenzkampf, von der nicht wenige glauben, dass es sie 2027 gar nicht mehr geben wird. Einerseits. Andererseits verbirgt sich dahinter auch das tiefgreifende Problem, das die Linke hat: Sie schiebt unumgängliche Grundsatzdiskussionen hinaus, um so nach dem Abgang von Sahra Wagenknecht und ihrem Anhang die nächste, möglicherweise finale Zerreißprobe zu verhindern.
Wie schwer sich die Partei tut, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, zeigte sich bei der Vorstandssitzung am vergangenen Wochenende. Nach außen hin demonstrierte das Führungsgremium Geschlossenheit. Der Leitantrag für den Bundesparteitag im Oktober in Halle wurde ohne Gegenstimmen beschlossen. Möglich wurde das jedoch nur aufgrund von Formelkompromissen – was insbesondere für die sogenannte Friedensfrage gilt, konkret den Umgang der Linken mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine.
Den russischen Überfall zu verurteilen, da ist sich die Partei noch weitgehend einig. Aber wie weit und ob es überhaupt eine Unterstützung für das angegriffene Land geben soll, ist an der Basis auch nach dem Abgang des Wagenknecht-Lagers hoch umstritten. Um niemanden zu verschrecken, drückt man sich daher lieber selbst um die Feststellung kaum bestreitbarer Tatsachen. „Die westliche Unterstützung für die Ukraine hat verhindert, dass der russische Angriff schnell erfolgreich war und die Ukraine ihre Souveränität verloren hat“, ist so ein Satz, der auf der Parteivorstandstagung keine Mehrheit fand, um in den Leitantrag aufgenommen zu werden.
Häufig genannt wird Jan van Aken
Überschattet werden die inhaltlichen Probleme gegenwärtig jedoch von den personellen. Auch wenn der Zeitpunkt ihrer Rückzugsankündigung einige überrascht hat, stand eigentlich bereits seit der dramatisch verlorenen Europawahl im Juni fest, dass die Tage der bisherigen Parteivorsitzenden gezählt sind. Am Sonntag haben es Wissler und Schirdewan nun offiziell gemacht, dass sie nicht mehr antreten werden. Wer wird ihnen nachfolgen?
Etliche Namen schwirren derzeit durch die Flure des traditionsreichen Karl-Liebknecht-Hauses, das schon einst Parteizentrale der KPD war. Häufig genannt wird der ehemalige Bundestagsabgeordnete Jan van Aken, der derzeit für die parteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung tätig ist. Ex-Parteichef Bernd Riexinger hat sich sogar schon öffentlich für ihn ausgesprochen. Der eloquente 63-jährige Hamburger strahle „den Habitus aus, den es braucht, um die Linke wieder nach vorn zu bringen“, sagte Riexinger dem Spiegel. Zudem bringe er „reichlich Erfahrung und politisches Gespür mit, was wir jetzt benötigen“.
Wie es heißt, soll van Aken, der von 2012 bis 2014 bereits stellvertretender Parteivorsitzender war, nicht abgeneigt sein. Er dürfte sich in Kürze zu seinen Ambitionen äußern. Allerdings gibt es auch Widerstände gegen ihn. Als er sich 2021 aus dem Bundesvorstand zurückzog, verband van Aken das mit einer scharfen internen Kritik an der Linken-Bundestagsfraktion und deren damaliger Führung Dietmar Bartsch und der mittlerweile zum BSW abgewanderten Amira Mohamed Ali.
Durch das Bündnis des Bartsch-Lagers mit Sahra Wagenknecht und ihrem Anhang hätte sich in der Fraktion eine „Beutegemeinschaft“ gebildet, die die Linke in den Abgrund treibe, analysierte er scharfsinnig wie weitsichtig. Entsprechend gilt van Aken nicht gerade als der Wunschkandidat des als sehr nachtragend geltenden Ex-Fraktionschefs Bartsch, der nach wie vor kräftig versucht, hinter den Kulissen die Strippen zu ziehen.
Ein Faible wird Bartsch hingegen für eine andere potenzielle Kandidatin nachgesagt: die Publizistin Ines Schwerdtner, die wie van Aken derzeit bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung beschäftigt ist. Gebürtig im sächsischen Zwickau und aufgewachsen in Hamburg, gilt die heute 35-jährige Ex-Chefredakteurin des linken Politmagazins Jacobin sowohl als Hoffnungsträgerin von Teilen der ostdeutschen Reformer:innen als auch der westdeutschen Traditionslinken in der Linkspartei.
Bei der vergangenen Europawahl brachte ihr das den Platz 5 auf der Linkenliste ein, der indes nicht zum Einzug ins Parlament reichte. Ihrem Ehrgeiz würde der Griff nach dem Parteivorsitz sicherlich entsprechen. Erst vor einem Jahr in die Linke eingetreten, bestehen jedoch bei Erfahreneren ernste Bedenken, ob sie diese Funktion auch ausfüllen könnte. Außerinstitutionelle und außerparlamentarische Erfahrungen würden dafür nicht reichen, heißt es. Auch sie hat sich bisher noch nicht zu ihren Absichten geäußert.
Ein Duo Ines Schwerdtner und Jan van Aken würde der klassischen Linken-Doppelquote entsprechen, also Frau-Mann und Ost-West. Auch weil es einige Zweifel gibt, ob die beiden politisch miteinander harmonieren würden, ist es aber keineswegs ausgemacht, dass es so kommt. In der Tombola sind noch zahlreiche andere Namen.
Da sind zum Beispiel die Gruppenvorsitzenden im Bundestag, Heidi Reichinnek und Sören Pellmann, die vor zwei Jahren vergeblich gegen die beiden derzeitigen Vorsitzenden Wissler und Schirdewan kandidiert hatten. Wobei Reichinnek bereits im April bei einem Pressegespräch ausgeschlossen hat, noch mal antreten zu wollen. Pellmann hält sich hingegen bislang bedeckt, allerdings macht er schon als Gruppenvorsitzender nicht die allerbeste Figur.
Je nach Flügel- oder Strömungszugehörigkeit werden als mögliche Kandidatinnen zudem die Bundestagsabgeordneten Martina Renner und Clara Bünger oder die sachsen-anhaltische Fraktionsvorsitzende Eva von Angern und Mecklenburg-Vorpommerns Vizeministerpräsidentin Simone Oldenburg genannt.
Manche würden sich auch den ehemaligen Berliner Kultursenator Klaus Lederer an der Spitze wünschen, der gerade mit seinem neuen Buch „Mit Links die Welt retten“ auf Lesetour ist. In der Generation derjenigen, die noch nicht das Rentenalter erreicht haben, dürfte der 50-jährige Rechtsanwalt wohl das prominenteste Gesicht der Linken sein. Aber in den weniger realpolitisch orientierten Kreisen in der Partei gibt es heftige Aversionen gegen ihn. Daher erscheint ein Antritt äußerst unwahrscheinlich.
Als politisches Talent gilt der frühere Gewerkschaftssekretär Sebastian Walter. Der 34-jährige Eberswalder ist Landesvorsitzender der Linken in Brandenburg. Alleine schon, weil er als Spitzenkandidat seine Partei bei der Landtagswahl am 22. September überhaupt erst mal wieder ins Potsdamer Parlament führen muss, dürfte eine Kandidatur für den Parteivorsitz aber nicht infrage kommen. Schafft sie den Wiedereinzug nicht, hat sich das Thema ohnehin erledigt.
Bis zum 8. September sollen Interessierte ihre Bereitschaft zur Kandidatur erklären, um sich anschließend auf Regionalkonferenzen der Parteibasis zu stellen. Für alle, die sich gerade in Brandenburg, Sachsen oder Thüringen in führenden Positionen im Überlebenswahlkampf befinden, ist dieser Zeitplan mehr als ungünstig. Das gilt auch beispielsweise für den Chef der Thüringer Staatskanzlei Benjamin Hoff oder Nochlandwirtschaftsministerin Susanna Karawanskij.
Allerdings sind auch noch auf dem Bundesparteitag, der vom 18. Oktober 2024 bis zum 20. Oktober 2024 in Halle stattfinden wird, Spontankandidaturen möglich. Hinter den Kulissen wird jedenfalls bereits intensiv um ein mögliches Personaltableau gerungen, dem zugetraut werden könnte, die Linke vor dem Untergang zu bewahren. Dabei geht es nicht nur um den Vorsitz. Auch andere aus der bisherigen Führung werden auf dem Parteitag in Halle ihren Abschied nehmen, beispielsweise Bundesgeschäftsführerin Katina Schubert und wohl auch Schatzmeister Harald Wolf.
Die Partei steht also vor einem weitgehend kompletten personellen Neuanfang. Auch größere Überraschungen sind da noch möglich. Zumal der Ausgang der drei ostdeutschen Landtagswahlen zuvor ohnehin noch einmal für eine Dynamik in die eine oder andere Richtung sorgen dürfte.
So erscheint es denn auch nicht undenkbar, dass es auf dem Parteitag zum großen Knall kommt. Dann dürfte es auch mit dem Parteiprogrammprozess bis 2027 schwierig werden. „Wenn man immer sagt, wir sind die Partei der Solidarität, dann muss man halt auch nach innen solidarisch miteinander umgehen“, sagte Janine Wissler am Montag. Ob das inzwischen alle in der Partei begriffen haben, erscheint fraglich.
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