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Nach Angriff auf Kinderklinik in KyjiwFassungslosigkeit und Wut

Das Entsetzen ist groß nach dem russischen Großangriff auf eine Kinderklinik in Kyjiw. Derweil haben die Behörden einen Tag der Trauer ausgerufen.

Trümmer und Trauer nach dem Angriff auf die Kinderklinik in Kyjiw am 7. Juli Foto: Madeleine Kelly/Zuma Press/imago

Kyjiw taz | Die Fahnen vor dem Bürgerbüro wehen auf Halbmast. Die ­Kyjiwer Behörden haben nach dem russischen Luftangriff am Montag auf die Stadt den Dienstag zum Trauertag erklärt. Wer weiterfahren will, in Richtung der bombardierten Kinderklinik Ochmadyt, muss viel Geduld an diesem heißen Sommertag mitbringen. Kilometerlang stauen sich die Fahrzeuge. Hermetisch hat die Polizei den Bereich vor der Klinik abgeriegelt. Vorbeifahren ist nur mit Sondererlaubnis möglich. Alle anderen Autos werden über eine Umleitung in die Stadtmitte geleitet.

Mehrere Dutzend Menschen harten geduldig vor dem Klinikgelände unter der prallen Sonne aus. Sie winken denen zu, die aus der Klinik herauskommen. Sie halten Getränke, Blumen oder Kinderspielzeug in der Hand. Sie sind einfach nur gekommen, weil sie nicht glauben konnten, was sie gehört hatten, weil sie fassungslos sind, dass sich das Ganze vor Ort noch schlimmer anfühlt als im Internet. Alles starrt gebannt auf den Eingang des Klinikgeländes. Doch das darf nur betreten, wer eine Erlaubnis hat.

Und wer bis zum Betreten des Klinikgeländes noch gehofft hat, vielleicht mit den Anblick von ein paar zersplitterten Fensterscheiben davonzukommen, wird erneut geschockt. Die Klinik ist ausgebombt. Verkohlt sind die Fassaden, ein Gebäude ist völlig zerstört, die Fenster klaffen wie schwarze Löcher. Emsig räumen Feuerwehrleute Schutt zur Seite, baggern einen kleinen Krater zu. Irgendwo steht ein mit Müll überdeckter Operationstisch. Daneben liegen einige Matratzen.

Als „schwarzen Tag für die Ukraine“ bezeichnet das Portal nv.ua den 8. Juli. Diese Angriffe auf die Ukraine seien die schwersten seit Jahresbeginn gewesen. Landesweit seien 40 Menschen ums Leben gekommen, 31 davon in Kyjiw, über 190 verletzt worden.

War der Beschuss der Klinik Vorsatz?

Das Kinderkrankenhaus, so Präsident Wolodymyr Selenskyj, sei mit einem Marschflugkörper des Typs X-101 angegriffen worden. Diese sehr treffsichere Waffe ist von der Flugabwehr kaum auszuschalten. Und so drängt sich der Verdacht auf, dass die Kinderklinik vorsätzlich beschossen wurde.

Auf Instagram hat auch Alla Pugatschowa, seit Sowjetzeiten Primadonna der russischen Rockmusik, ihre Abscheu vor dem Angriff auf die Kinderklinik geäußert. „Gott ist geduldig, aber alles hat seine Grenzen“, textet sie neben dem Bild einer Mutter, die ihr blutendes Kind in den Armen hält.

In der ukrainischen Geschäftswelt zeigt man sich solidarisch mit der Kinderklinik. Man habe alle Krankenwagen der Kinderklinik zur Verfügung gestellt – kostenlos, lässt die Privatklinik Dobrobut wissen. „Das neue Gebäude für Toxikologie und Dialyse wurde zerstört. Zum Zeitpunkt des Beschusses waren Operationen im Gange, und auch Ärzte wurden verletzt, natürlich steht Dobrobut in dieser Situation nicht abseits“, erklärt Dobrobut-Chef Vadym Shekman auf Facebook.

Zerstörter OP-Saal einer Kinderklinik in Kyjiw Foto: Evgeniy Maloletka/ap

Dreizehn kleine Patienten aus der Kinderklinik hat Dobrobut nach eigenen Angaben aufgenommen und steht bereit, weitere Opfer des Luftangriffs zu behandeln, so Shekman. Der Mobilfunkbetreiber Kyjiwstar, die Musikband Okean Elsy, das Einkaufszentrum Epizentr, das Ölunternehmen Ukrnafta und die Oligarchen Viktor und Olena Pintschuk wollen Millionen spenden.

Auch im ostukrainischen Krywyi Rih herrscht am Dienstag Trauer. Dort wurden elf Bewohner der Stadt am Montag bei einem russischen Angriff getötet, weitere 59 verletzt. Umgekehrt wurden im russischen Gebiet Belgorod am Montag nach amtlichen Angaben drei Menschen getötet und 19 verletzt.

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30 Kommentare

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  • Ein so skrupelloser Kriegsverbrecher wie Putin wird sich natürlich unbedingt an irgendwelche Friedensvereinbarungen halten !

    - Oder habe ich Sahra da etwa falsch vertanden ?



    🤮

  • Der neue britische Premierminister Keir Starmer deutete auf dem Natogipeltreffen an, dass die Ukraine von Großbritannien gelieferte Langstreckenraketen einsetzen könne, um militärische Ziele in Russland anzugreifen, berichtete AFP.

    Starmer sagte Reportern, dass die Entscheidung über den Einsatz der von Großbritannien gelieferten Storm Shadow-Raketen bei den ukrainischen Streitkräften liege.

    Die britische Militärhilfe diene „Verteidigungszwecken, aber die Ukraine muss entscheiden, wie sie diese zu diesen Verteidigungszwecken einsetzt“, erklärte Starmer.

    Das russische Militär schiesst die Raketen auf die ukrainische Zivilgesellschaft aus geschützten Räumen in Russland ab - geschützte Räume deswegen, weil Raketen aus westlichen Ländern -- mit Ausnahme der russischen Grenzregion in Belgorod - bislang nicht von der ukrainischen Armee auf das Staatsgebiet der ""Russischen Förderation"" geschossen werden dürfen

    Ukraine verteidigt sich momentan mit auf dem Rücken fest gebundenen Händen.

  • Das war alles absehbar. Die Täterstruktur und der trotzdem unzureichende Schutz sensibelster Struktur sind seit Jahren bekannt. Das macht krank vom Mitansehen und Miterleben müssen, da stimme ich den anderen zu.

  • Warum ist der Westen nicht in der Lage die Bestie Russland zu stoppen? Warum ist die USA nicht fähig, diesem Schlächter Putin endlich die Grenzen aufzuzeigen? Warum liefern wir nicht endlich mehr Waffen (das sage ich als Wehrdienstverweigerer) und klare Worte? Der Westen möchte keine Wohlstandsverluste riskieren und Biden ist leider zu "lieb" für diese harten Zeiten und zudem angenockt, so wie viele Demokratien. Wehret den Anfängen! Leider sind schon mitten drin.

    • @Giordano Bruno:

      "Warum ist der Westen nicht in der Lage die Bestie Russland zu stoppen?"



      Angst vor der Bestie. Ganz simpel.

  • Hier sind Leute wie „Alexander Schulz“ dann immer ganz still…

    • @Suryo:

      In keinster Weise! Auch hier versuche ich den "Bellizisten" nicht alleine das Feld zu überlassen.



      Ich habe übrigens schon öfter davor gewarnt, dass Putins Skrupelosigkeit und Bereitschaft zur Eskalation unterschätzt wird. Leider werden wir wohl in Zukunft noch mehr schockierende und bruttale Angriffe wie diesen erleben. Neben weiterer Verstärkung der Flugabwehr wird mittel- und langfristig nur ein diplomatischer Lösungsansatz helfen.

    • @Suryo:

      Aber nur in diesem Forum. Auf TP gibt es eine Balance zwischen "war eindeutig ukrainische Luftabwehrrakete" und "bewiesen ist gar nichts, kann auch Fake sein".

  • Nach zehn Jahren Krieg noch gestellt einzuschieben, ob das wohl "Vorsatz" sein könne, lässt einen sofort zweifeln, ob man nicht irgendwo falsch abgebogen ist. Oder die Uhren irgendwo rückwärts laufen könnten. Hoffe es liegt nicht einfach daran, dass der Krieg wirklich schon manchen etwas entgleitet. Eine abscheuliche, plumpe und letztlich wahrscheinlich einfach ziellose Vergeltungsaktion, Überreaktion, mithin ein Muster wir es jetzt hunderte Male gesehen haben. Ja, richtig, die Russen werden höchstwahrscheinlich nicht ganz aus Versehen gefeuert haben. Wieder einmal nicht. Und ja, sie hätten wohl auch mit einem getroffenen Kindergarten so gerade noch leben können. Die Ukraine nun ihrerseits schon wieder reagiert und so geht das eben "lustig" weiter. Ihr wolltet doch Containment.

  • Wo ist Wagenknecht? Sie schweigt sich aus. Ihr Untergeordneter de Masi muss sich erklären. Erinnert mich etwas an Syriens Klinikbombardements. Da schwieg Wagenknecht auch. Wie kann man so eine auch nur in Erwägung ziehen zu wählen-

    • @Ulrich Haussmann:

      Keine Sorge, Sie wird auch diese Opfer wieder nutzen, um Putins Kriegsziele durch Ihre Propaganda zu unterstützen.

    • @Ulrich Haussmann:

      Stalinisten bleiben Stalinisten

    • @Ulrich Haussmann:

      Frau Wagenknecht ist schon vor langer Zeit falsch abgebogen.



      Sie hat in jungen Jahren schon den Stalinismus verherrlicht und selbst in einer jüngst ausgestrahlten Reportage dazu gesagt, dass sie sowas nicht nochmal sagen würde, wenn sie gewusst hätte was das für ein Medienecho auslösen würde. Entschuldigt für ihre Aussage hat sie sich aber nicht. Nein, sie fand den Stalinismus an sich nicht per se schlecht.



      Es ist in ihrer DNA sich gegenüber russischen Verbrechen zurückzuhalten und gegen den Westen zu wettern.

  • Krieg ist eine Tragödie für Menschen, Kriegsverbrechen das ist kriminelle Unmenschlichkeit, aber ein Angriff auf ein Kinderkrankenhaus, für so etwas gibt es keine Worte, sondern nur entsetzlich angewidert und angeekelt sein von diesen kriminellen nicht menschlichen Abschaum! Die Ukraine mit allen Mitteln unterstützen was wir haben, besonders jetzt mit Taurus! Ich weiss um die Vorbehalte mit den Marschflugkörper Taurus, man kann Putin selbst wenn er in einem Bunker sitzt, ausschalten! Er soll voller Angst sich verkriechen und verstecken, den Hauch des Todes im Nacken jederzeit spüren, das wäre noch zu gut für Ihn.

    • @taz.manien:

      " Die Ukraine mit allen Mitteln unterstützen was wir haben, besonders jetzt mit Taurus! " wäre ein Signal. Das nicht zu tun, ist ein Signal. Für uns, die gequälten Zuschauer die Gewissheit , dass wir vegleichbares oder noch Schlimmeres noch öfter mitansehen müssen.

  • Wir müssen weiter die Verteidigung unterstützen. Das kostet Geld, aber wie Selenski schon sagte, sein Land bezahlt mit Blut.

    • @Ciro:

      Es ist aber nun mal nicht das Blut von Weidel, Chrupalla, Xi, Trump, dem kleinen Raketenmann, Modi, Lukaschenko und vielen anderen Querschlägern ohne humanitäre Charaktereigenschaften.

    • @Ciro:

      Leider scheint es so, als ob dieser Krieg noch viele Jahre dauert, es wird also sehr, sehr viel Geld kosten. Mal schauen wie lange die Solidarität noch anhält, bei einem immer weiter nach rechts rückenden Europa.

      • @Rudi Hamm:

        Mit einem Sieg Putins über die Ukraine und den Millionen von nachfolgenden Flüchtlingen in den Westen, wird Europa gerade erst nach rechts rücken.

      • @Rudi Hamm:

        Ein ukrainischer Kommandeur wurde kürzlich in einem anderen Artikel zitiert : "Wenn der Krieg noch 10 Jahre dauert gibt es uns nicht mehr." Es geht also nicht primär ums Geld , es geht auch nicht ums Blut allein (das könnte man transfundieren), sondern um die Auslöschung der Armee eines Landes, somit des Landes selbst , somit um einen Völkermord.

      • @Rudi Hamm:

        Er kostet nicht nur Geld - wenn man genauer hinschaut.

  • Hat Orban schon mal mit Putin darüber geredet? Das soll ja angeblich immer helfen und wesentlich sinnvoller sein, als die Marschflugkörper vor ihrem Einschlag mit Abwehrwaffen zu zerstören. Findet die Sahra auch.

  • Spätestens jetzt ist es an der Zeit, dass die Nato Putins "Rote Linien" at acta legt und der Ukraine volle Selbstbestimmung erteilt, welche Ziele sie wo angreift. Gerade die Mahner aus Deutschland sollten sich zukünftig in dieser Sache bedeckt halten.

    Stellvertretend ein Zitat von Kevin Kühnert, dem Mai 24, "Man stelle sich einfach nur vor, eine solche Waffe trifft aus Versehen eine zivile Infrastruktur (in Russland)".

    Scholz und Konsorten sollten bei ihren Argumenten gegen den Einsatz von westlichen Waffen auf russischen Territorium sich ständig vor Augen halten, dass es zu Russlands Strategie gehört auch zivile Einrichtungen gezielt zu beschiessen und zwar von Anfang an.

  • Es macht mich richtig fertig und traurig! Der Bandit aus dem Kreml, dürfte und sollte sich nie wieder sicher fühlen - egal wo er sich irgendwann mit seinem Reichtum verkriechen tut. Ich frage mich fast täglich, wieso er eigentlich immer noch als Präsident bezeichnet wird?! Und es ist übrigens ein internationaler Skandal, das RUS weiterhin im Sicherheitsrat mit einem Veto-Recht, defacto alles blockieren kann!

  • Putins Faschismus muss besiegt werden. Falls nicht, hieße das:



    1) Kapitulation vor der Aggression Putins mit Besatzung, Vertreibung, Diktatur, Mord und Totschlag für die ukrainische Bevölkerung und einen jahrelangen Partisaneenkampf.



    2) Millionen von ukrainischen Flüchtlingen mehr im Westen, was zur Destabilisierung der westlichen Demokratien bis hin zu rechtsextremen Regierungen führen würde



    3.) Zum o.g. Faschismusbegriff empfehle ich das Buch von Paul Mason: "Faschismus und wie man ihn stoppt".



    Es zeigt darin eine Unmenge an Definitionen auf und nicht nur eine: Diktatur, mystisch-völkisches Denken, Rassismus, Revisionismus/Imperialismus, Gewaltbereitschaft, Massenbewegung gehören im Allgemeinen dazu. Auf Putins System treffen all diese Begriffe zu.



    M.M. nach wehrt sich die Linke gegen den Begriff Faschismus in Bezug auf Russland, da sie sonst ganz andere Konsequenzen im Kampf gegen Putin ziehen müsste, nämlich eine konsequente Verteidigung der Ukraine in einem antifaschistischen Kampf.

    • @Rinaldo:

      Faschismus passt auch nicht so ganz. Das Problem ist eher die deutsche Friedensbewegung. Die haben das Dilemma, dass Antifaschismus notwendigerweise Pazifismus ausschließt, dadurch zu umgehen versucht, dass sie sagten, wir greifen theoretisch zur Waffe, wenn der NaziBenchmark (TM) erreicht ist. Der ist natürlich nie erreicht. Der russische Imperialismus ist aber allemal übel genug, um zur Waffe zu greifen. Das verlangt ja niemand von uns. Umso verachtenswerter das Herumgescholze.

      • @Kurt Kraus:

        Jenseits von Italien 1930er Jahre wird jeder Faschismus Begriff unscharf. Die Nazis sahen sich nicht als Faschisten und wurden auch nicht als solche von den Italienern gesehen. Putins System ist dem von Franco sehr ähnlich mit einem aggressiven Imperialismus nach außen. Pseudo-Klerikalfaschistische Kleptokratie nach innen.

      • @Kurt Kraus:

        Faschismus ist ja nicht deckungsgleich mit Holocaust und Weltkrieg.

        Der Begriff wurde ja durch Italien unter Mussolini geprägt. Die Latte liegt also durchaus in Reichweite für Putin.

        • @Chris McZott:

          Ich will mich gerade nicht auf diese fruchtlosen Proseminar-Diskussionen einlassen. Ob Putin bei der Gleichschaltung schon bei Mussolini angelangt ist, oder gerade noch nicht, tangiert mich äußerst peripher. Er hat angegriffen, er lässt morden und vergewaltigen. Das ist für mich Rechtfertigung genug, militärisch dagegen zu halten. Militär haben wir nicht, aber wir haben Geld und eine Rüstungsindustrie, also an die Arbeit.