Nach Angriff auf Kinderklinik in Kyjiw: Fassungslosigkeit und Wut
Das Entsetzen ist groß nach dem russischen Großangriff auf eine Kinderklinik in Kyjiw. Derweil haben die Behörden einen Tag der Trauer ausgerufen.
Mehrere Dutzend Menschen harten geduldig vor dem Klinikgelände unter der prallen Sonne aus. Sie winken denen zu, die aus der Klinik herauskommen. Sie halten Getränke, Blumen oder Kinderspielzeug in der Hand. Sie sind einfach nur gekommen, weil sie nicht glauben konnten, was sie gehört hatten, weil sie fassungslos sind, dass sich das Ganze vor Ort noch schlimmer anfühlt als im Internet. Alles starrt gebannt auf den Eingang des Klinikgeländes. Doch das darf nur betreten, wer eine Erlaubnis hat.
Und wer bis zum Betreten des Klinikgeländes noch gehofft hat, vielleicht mit den Anblick von ein paar zersplitterten Fensterscheiben davonzukommen, wird erneut geschockt. Die Klinik ist ausgebombt. Verkohlt sind die Fassaden, ein Gebäude ist völlig zerstört, die Fenster klaffen wie schwarze Löcher. Emsig räumen Feuerwehrleute Schutt zur Seite, baggern einen kleinen Krater zu. Irgendwo steht ein mit Müll überdeckter Operationstisch. Daneben liegen einige Matratzen.
Als „schwarzen Tag für die Ukraine“ bezeichnet das Portal nv.ua den 8. Juli. Diese Angriffe auf die Ukraine seien die schwersten seit Jahresbeginn gewesen. Landesweit seien 40 Menschen ums Leben gekommen, 31 davon in Kyjiw, über 190 verletzt worden.
War der Beschuss der Klinik Vorsatz?
Das Kinderkrankenhaus, so Präsident Wolodymyr Selenskyj, sei mit einem Marschflugkörper des Typs X-101 angegriffen worden. Diese sehr treffsichere Waffe ist von der Flugabwehr kaum auszuschalten. Und so drängt sich der Verdacht auf, dass die Kinderklinik vorsätzlich beschossen wurde.
Auf Instagram hat auch Alla Pugatschowa, seit Sowjetzeiten Primadonna der russischen Rockmusik, ihre Abscheu vor dem Angriff auf die Kinderklinik geäußert. „Gott ist geduldig, aber alles hat seine Grenzen“, textet sie neben dem Bild einer Mutter, die ihr blutendes Kind in den Armen hält.
In der ukrainischen Geschäftswelt zeigt man sich solidarisch mit der Kinderklinik. Man habe alle Krankenwagen der Kinderklinik zur Verfügung gestellt – kostenlos, lässt die Privatklinik Dobrobut wissen. „Das neue Gebäude für Toxikologie und Dialyse wurde zerstört. Zum Zeitpunkt des Beschusses waren Operationen im Gange, und auch Ärzte wurden verletzt, natürlich steht Dobrobut in dieser Situation nicht abseits“, erklärt Dobrobut-Chef Vadym Shekman auf Facebook.
Dreizehn kleine Patienten aus der Kinderklinik hat Dobrobut nach eigenen Angaben aufgenommen und steht bereit, weitere Opfer des Luftangriffs zu behandeln, so Shekman. Der Mobilfunkbetreiber Kyjiwstar, die Musikband Okean Elsy, das Einkaufszentrum Epizentr, das Ölunternehmen Ukrnafta und die Oligarchen Viktor und Olena Pintschuk wollen Millionen spenden.
Auch im ostukrainischen Krywyi Rih herrscht am Dienstag Trauer. Dort wurden elf Bewohner der Stadt am Montag bei einem russischen Angriff getötet, weitere 59 verletzt. Umgekehrt wurden im russischen Gebiet Belgorod am Montag nach amtlichen Angaben drei Menschen getötet und 19 verletzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels