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„NSU 2.0“-DrohschreibenWeitere Politikerinnen betroffen

Nach der Hessin Janine Wissler erhielten zwei weitere Linke-Abgeordnete in Berlin Drohbriefe. Wieder enthalten sie Daten, die nicht öffentlich sind.

Nicht allein betroffen: Janine Wissler im hessischen Landtag mit Innenminister Peter Beuth Foto: Andreas Arnold/dpa

Berlin/Frankfurt am Main taz | Die aktuelle „NSU 2.0“-Drohschreibenserie weitet sich aus. Nach der hessischen Linken-Fraktionschefin Janine Wissler erhielten nach taz-Informationen zuletzt auch die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner und die Linken-Fraktionschefin im Berliner Abgeordnetenhaus Anne Helm Drohschreiben desselben Absenders. Auch darin waren persönliche, öffentlich nicht bekannte Informationen erhalten.

Wissler hatte bereits Mitte Februar ein erstes Schreiben erhalten, das mit „NSU 2.0“ unterzeichnet war. Darin sind Nazi-Parolen und Drohungen enthalten. Der Absender benannte auch persönliche Kontaktdaten der Linken-Politikerin. Wissler wandte sich darauf an die Polizei, die feststellte, dass ihre Daten kurz zuvor von einem Polizeicomputer in Wiesbaden abgerufen wurden.

Ein Beamter wurde ausfindig gemacht, bestreitet laut Spiegel-Informationen allerdings die Datenabfrage. Demnach hätten andere Polizisten über seinen Account die Suche getätigt. Der befragte Beamte wird in den Ermittlungen nur als „Zeuge“ geführt. Eine Durchsuchung seines privaten Computers soll es nicht gegeben haben.

Auch die Linken-Politikerinnen Renner und Helm betroffen

Bereits eine Woche nach dem ersten Schreiben im Februar hatte Wissler ein zweites bekommen. Zwei weitere „NSU 2.0“-Drohmails folgten vor wenigen Tagen. Diese gingen nun parallel auch an weitere Absender, darunter Martina Renner und Anne Helm. Alle drei Linken-Politikerinnen werden in den Schreiben persönlich adressiert und ihnen ein „Todesurteil“ ausgesprochen. Dazu werden auch persönliche, öffentlich unbekannte Daten aufgeführt.

Die drei Politikerinnen sind allesamt bekannt für ihr Engagement gegen Rechtsextremismus. Wissler und Helm äußern sich aktuell nicht zu den Bedrohungen. Renner machte den Ermittlern schwere Vorwürfe. „Das LKA Hessen hat bei der Aufklärung der Drohserie bisher komplett versagt“, sagte sie der taz. „Es ist ein schweres Versäumnis von Innenminister Beuth, sich erst jetzt um die Morddrohungen gegen engagierte Frauen zu kümmern.“

Auch Helm sagte: „Das Vertrauen in die hessischen Behörden ist nachhaltig zerstört. Deshalb sollte die Bundesanwaltschaft das Verfahren an sich ziehen.“ Die Inhalte der Drohschreiben zeigten zudem, dass der oder die Täter Zugang zu Quellen von sensiblen Daten und Verbindungen nach Berlin hätten.

Das LKA Hessen äußerte sich vorerst nicht zu dem Vorgang. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main lehnte eine Stellungnahme aufgrund der laufenden Ermittlungen ab. Auffällig: In den aktuellen „NSU 2.0“-Drohschreiben wird wiederholt Bezug auf Berichte zu Ermittlungsmaßnahmen gegen Polizisten im Rahmen der Drohserie genommen. Von den Absendern werden diese Ermittlungen immer wieder kritisiert.

Innenminister schließt rechtes Polizeinetzwerk nicht mehr aus

Schon seit August 2018 hatte die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız, die im Münchner NSU-Prozess Opferfamilien vertrat, wiederholt Drohschreiben eines „NSU 2.0“ erhalten. Auch diese erhielten persönliche Daten, etwa von ihren Familienmitgliedern. Zuvor waren Daten von Başay-Yıldız auf einem Frankfurter Polizeicomputer abgerufen worden. Der Absender ist bis heute nicht ermittelt, die Schreiben wurden offenbar aus dem Darknet versandt.

Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) zeigte sich am Donnerstagnachmittag erbost, dass er im Fall Janine Wissler vom LKA Hessen erst am Mittwoch über die Datenabfrage von einem Polizeicomputer im Februar informiert wurde. Dies sei angesichts der Bedeutung des Vorgangs „völlig inakzeptabel“. Er habe weiter keine Belege für ein rechtes Netzwerk in der hessischen Polizei, erklärte Beuth. Die erneute Datenabfrage aber „nährt den Verdacht“ eines solchen. Die hessische Polizei dürfe nun nichts unversucht lassen, „diesen Verdacht zu entkräften“.

Beuth will nun einen Sonderermittler einsetzen, der die Ermittlungen zu den Drohmails federführend übernehmen und direkt an den Landespolizeipräsidenten berichten soll. Auch soll künftig jeder Polizist bei Datenabfragen in den polizeilichen Systemen einen dienstlichen Grund dokumentieren müssen.

Basay-Yildiz kritisierte am Freitag Beuth und zeigte sich „verwundert“ über die Erklärung des Innenministers. Anders als die hessische LKA-Chefin Sabine Thurau habe sich dieser „nie bei mir und meiner Familie gemeldet“. Thurau habe dagegen den persönlichen Kontakt gesucht und ihr Kind, das weiter massiv bedroht werde, seit nun anderthalb Jahren geschützt, so die Anwältin. „Sie hat nicht die Öffentlichkeit wie der Innenminister oder andere politische Akteure gesucht, die leere Versprechungen ausgesprochen und sich nie wieder gemeldet haben, sondern tatsächlich etwas getan.“

Anders als Martina Rennner und Anne Helm kritisiert Basay-Yildiz das Landeskriminalamt nicht. Trotz aller struktureller Probleme habe die Arbeit von Thurau und des LKAs Vertrauen in die Polizei geschaffen, sagte die Anwältin. Dies sollte nun „nicht aus politischen Gründen von Herrn Beuth torpediert werden“.

Politik ist alarmiert

Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Seehofer nannte die Bedrohungen von Wissler „vollkommen inakzeptabel“. Der Vorfall müsse „rücksichtslos aufgeklärt“ werden. Linken-Parteichef Bernd Riexinger warf den Behörden derweil vor, Politikerinnen seiner Partei nicht ausreichend zu schützen. „Ich bin schockiert darüber, dass meinen Kolleginnen in der Vergangenheit zu keinem Zeitpunkt Polizeischutz angeboten wurde“, sagte er der Rheinischen Post.

Grünen-Chefin Annalena Baerbock forderte, dass unabhängige Wissenschaftler verfassungsfeindliche Tendenzen bei den Sicherheitsbehörden untersuchen. Es gehe nicht um einen Generalverdacht, die allermeisten Mitarbeiter seien „ohne jede Frage verfassungstreu“, sagte Baerbock der Deutschen Presse-Agentur. Aber wenn es immer wieder rechtsextreme Vorfälle in den Sicherheitsbehörden gebe, die Zugang zu Waffen und sensiblen Daten hätten, müssten diese Umtriebe aufgedeckt, analysiert und konsequent geahndet werden.

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8 Kommentare

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  • @Innenminister Beuth: Treten Sie zurück.

  • Ja wenn die kleinen Behörden und Ressortleiter anfangen den Staat zu organisieren, der ihrer Meinung nach von vaterlandslosen Gesellen an die Wand gefahren wird, lässt Weimar grüssen. Und die meisten rufen zurück: Neeeein! Das ist übetrieben.



    Ist aber das Wesen der Übernahme. Sich selbst zunächst als übertrieben wahrnehmen zu lassen.

    Es gibt eine Parallelität zwischen der parlamentarisch gewordenen Behauptung autoritär-völkischer Agenda und der weit verbreiteten Haltung einer Polizei, die sich beide allenthalben bei exekutiver Ausübung behindert sehen.



    Weshalb in Polizeikreisen die Verwendung und Weitergabe von Daten an jene "die wirklich was tun" als relativ selbstverständlich angesehen wird.

    Auf dem Ticket bekommt man auch mal einen Einmarsch in ein Haus wie die Rigaer Strasse in Berlin. Und weiht gleichzeitig den angeblichen Hausverwalter eines gerichtlich festgestellt unbekannten Eigentümers in die Polizeimassnahme ein. Der sich daraufhin juristisch gesehen unter Polizeischutz als Einbrecher betätigen kann.

    Es ist festzustellen, dass diese Kreise solches ganz offen legitimiert haben wollen. Darüber ist zu reden.



    Zu befürchten ist, dass dem SPD-geführten Innensenat Berlins auch noch nicht wirklich klar ist, wie gross ihr Problem mit einer Gegenregierung aus der Exekutive ist.



    Am Ende tritt die Polizeipräsidentin in der Causa Antidiskriminierungsgesetz quasi als Oppositionsführerin auf.



    Statt sich der Gesetzeslage zu fügen, die eben da verabschiedet wurde, wo unsere Gesetze verabschiedet werden: Nicht auf einer Polizeiwache.

    Wenn wir darüber nicht eines Tages wirklich in Panik geraten wollen, ist jetzt Arbeit angesagt. Geht nur mit grossem Wurf und nicht mit "Beauftragten"-Gefummel. Und haben nicht 10 Jahre Zeit. Die Briten haben eine unabhängige Ermittlungs-und Beschwerdebehörde. Expertise eines demokratischen Rechtsstaats ist also vorhanden.

    Nicht mal im Verdacht Sozialdemokratin zu sein:



    Madeleine Albright. "Faschismus - eine Warnung"

  • Die Polizei kann es nicht gewesen sein, weil das ungesetzlich wäre und die Polizei nichts ungesetzlichen niemals nicht macht. Hat der Herr Innenminister doch gerade erst bestätigt. Viel schlimmer als eine Nazi Blase in Polizeikreisen, wäre doch wenn die Werbeplakate beschädigen würden, dass wäre ermittlungswürdig.

  • Auch Minisperpräsident Bouffier und Innenminister Beuth haben diese Woche Drohungen per Mail erhalten, ebenfalls unterschrieben mit "NSU 2.0". Und plötzlich wird ein rechtes Netzwerk innerhalb der hessischen Polizei nicht mehr ausgeschlossen.

  • 0G
    00842 (Profil gelöscht)

    Keine Beschlagnahmung der privaten Computer, des Handys und der Datenträger? Keine Hausdurchsuchung? So viel Nachsicht ist unfassbar. Lernt man dieses Ermittlungs-1x1 nicht schon während der Polizeiausbildung? Das wissen ja selbst Fernsehkommissare besser. Wie bitte? Es ging ja bloß um Mordandrohungen gegen Politikerinnen? Ach, so. Na, dann...



    Der Ruf nach einer unabhängigen Kontrolle der Sicherheitsbehörden wird immer lauter.

  • Da steht ein Computer aufm Flur? und jeder darf da irgendwie dran rummachen?. Wenn die "Entschuldigung" (...bestreitet laut Spiegel-Informationen... die Datenabfrage. Demnach hätten andere Polizisten über seinen Account die Suche getätigt) des Bamten stimmt, dann wäre das allein ein schweres Dienstvergehen. Der kann doch nicht irgendwelche "Kollegen" an seinen PC lassen. IN der "Wirtschaft", jedenfalls da, wo ein bisschen Datenbewusstsein herrscht, wäre das minimum eine schwere Abmahneung, eventuell ein Kündigungsgrund!! M.a.W. :Hier ist doch schon der erste Täter! Alles zeigt: Hier ist bereits der erste Zipfel des Netzwerks. Wenn man erst machen wollte, Herr hessischer Innenminister: Sofortige Suspendierung, Festnahme!

  • "Ein Beamter wurde ausfindig gemacht, bestreitet laut Spiegel-Informationen allerdings die Datenabfrage. Demnach hätten andere Polizisten über seinen Account die Suche getätigt. Der befragte Beamte wird in den Ermittlungen nur als „Zeuge“ geführt. Eine Durchsuchung seines privaten Computers soll es nicht gegeben haben."

    Um Himmels Willen...

    • @Bajramaj:

      Einfach größtmöglicher Dilettantismus - Absicht ?



      Rücksichtslose Aufklärung sieht anders aus.