Musikerin über die Vulva als Symbol: „Das schließt Transfrauen aus“

Auch ein Penis könne ein weibliches Genital sein, sagt FaulenzA. Ein Gespräch über Transweiblichkeiten und die Probleme mit dem Vulva-Kult.

Ein tropfender Liebesapfel

In ihrer Fotoarbeit „Lying Still“ beschäftigt sich Piontek mit weiblicher Identität Foto: Birthe Piontek

taz: FaulenzA, ob Vulvakunst oder Parolen wie „Vulva la Revolucion“ – in feministischen Kreisen gibt es einen Vulvakult. Was stört Sie daran?

FaulenzA: Ich finde diese Art Empowerment zwar einerseits wichtig, auf der anderen Seite finde ich es aber schwierig, wenn über körperliche Merkmale eine Gemeinschaft geschaffen wird. Wenn man sagt: „Wir Frauen haben eine Vulva, wir Frauen menstruieren“, ist ja schon klar, wer dazugehört und wer nicht. Viele Transfrauen, Interpersonen oder Transmännlichkeiten nicht.

Kann es nicht auch okay sein, wenn nicht alle dabei sind?

Na ja, die Verbindung von „Vulva gleich Frau“ oder „Menstruation gleich Frau“, die im Feminismus ziemlich stark ist, spricht Transfrauen ab, dass sie Frauen sind, weil sie einen anderen Körper haben.

Fehlt in der feministischen Szene die Akzeptanz für Geschlechter mit verschiedenen Körpern?

Ja, leider. Oft wird nicht gesehen, dass Transfrauen auch einen weiblichen Körper haben. Egal, ob sie Hormone nehmen oder nicht.

Wann ist ein Körper denn weiblich?

Das liegt allein an der Definition des Menschen. Manche Frauen definieren ihr Genital als Vulva, auch wenn die Gesellschaft sagt, es sei ein Penis. Andere Transfrauen definieren ihr Genital als Penis, aber auch dann ist der Penis ein weibliches Genital. Manche machen geschlechtsangleichende Operationen, wie ich auch. Die Neovulvas passen dann auch nicht unbedingt in die Norm.

Spätestens mit Judith Butler wird Geschlecht oft als etwas Soziales verstanden. Sind Menstruations- und Vulvahype ein Rückschritt zur Körperlichkeit?

Ich sehe, dass sich einerseits Leute Gedanken machen, wie Geschlecht gesellschaftlich konstruiert wird. Andererseits wird Körpern ein bestimmtes Verhalten zugeschrieben. Viele denken: „Penis gleich sexistisch“, dann gibt’s so Parolen wie „Schwanz ab – Sexismus militant bekämpfen“. Als ob eine Person, die einen Penis hat, sich dadurch aggressiver oder mackeriger verhalten würde. Das ist ja total Quatsch.

In Ihrem Buch schreiben Sie über Transmisogynie. Was heißt das?

Diskriminierung von Transweiblichkeiten.

Warum sagen Sie Transweiblichkeiten und nicht Transfrauen?

Ich versuche dadurch, ein breiteres Spektrum an Geschlechtern abzubilden. Manche verordnen sich weder als Mann noch als Frau, aber schon eher weiblich.

Viel Gefühl in der Vulva ist ein unnötiger Luxus für die Krankenkassen

Können Sie Transmisogynie noch genauer erklären?

Ich verstehe es als Zusammenwirken aus verschiedenen Diskriminierungsformen wie Transfeindlichkeit, Frauenhass, Ableismus, also Diskriminierung von Menschen, die behindert werden oder als verrückt gelten, und Klassismus, also Diskriminierung aufgrund von Armut oder sozialem Status.

Was hat Klassismus mit Transfeindlichkeit zu tun?

Transweiblichkeiten sind besonders häufig von Armut und Wohnungslosigkeit betroffen. Das führt dazu, dass sie besonders häufig unter ihrer beruflichen Qualifikation arbeiten. Das habe ich auch selbst gemerkt: Ich wollte in einer Kita arbeiten, habe aber überhaupt nichts bekommen, obwohl der Bedarf groß war. Da gibt’s viele Vorbehalte.

Trifft das nicht auch auf Transmänner zu?

Transmänner haben es oft leichter, weil sie häufiger als Cismänner durchgehen. Wenn Transmänner zum Beispiel Hormone nehmen, kriegen viele eine tiefe Stimme oder ’nen Bart.

30 Jahre alt, tritt unter dem Namen FaulenzA als Rapperin und Singer-Songwriterin auf und gibt Workshops zum Thema Transmisogynie. 2017 erschien ihr Buch „Support your Sisters not your Cisters“ bei Edition Assamblage.

Mit Cis bezeichnet man das Gegenteil von Trans …

Ja, es ist wichtig, ein Wort dafür zu haben. Sonst könnte man denken, es gebe nur „normal“ und „trans“, und „trans“ wäre dann unnormal.

Und inwiefern haben Transfrauen es schwerer als Transmänner?

Transfrauen sind auch deshalb benachteiligt, weil es in unserer patriarchalen Gesellschaft ohnehin für Frauen schwieriger ist, eine gute Arbeit zu bekommen.

Welche Rolle spielt Ableismus?

Weiblichkeit gilt ja sowieso schon als was Verrücktes. Dazu kommt, dass Trans als Krankheit gilt. Der Schlüssel ist F64-0, das fällt unter Persönlichkeitsstörungen. Die Gesellschaft nimmt das als verrückt wahr. Das führt zur praktischen Diskriminierung im Gesundheitssystem.

Zum Beispiel?

Wenn man Hormone nehmen will oder eine Operation braucht, muss man zum „Alltagstest“. Das heißt anderthalb Jahre Zwangstherapie.

Therapie ist doch häufig etwas Hilfreiches.

Aber im Rahmen dieser Zwangstherapie taugt das gar nichts. Du gehst zu irgendeiner Cisperson, die dann beurteilen soll, ob du trans genug bist. So kann Therapie doch gar nicht funktionieren, wenn du den Therapeuten von irgendwas überzeugen musst.

Wie war das bei Ihnen?

Mir wurden die intimsten Fragen gestellt, immer wieder. Ich musste sagen, wie meine Unterwäsche aussieht, musste mein Genital beschreiben, meine Brüste, von Diskriminierung in Kindheit und Jugend erzählen, von Sexualität. Da gab’s viele Sitzungen, nach denen ich am Boden zerstört war. Aber man darf es sich mit denen nicht verscherzen, man braucht das „Ja“. Man ist ausgeliefert. Bei einem wollte ich mir eine dicke Winterjacke anziehen, weil der so auf meinen Körper gestarrt und gefragt hat, wie ich nackt aussehe.

Zahlt die Krankenkasse für die Operation?

Nicht immer komplett. Ich musste 3.500 Euro zuzahlen, denn die bezahlen nur das Billigste.

Also kommt es drauf an, wie man sein Genital gerne hätte?

Ja. Ich war bei einem Arzt, der sich Mühe gibt, damit du noch viel Gefühl in der Vulva hast, Penetrationssex haben kannst, damit es sensibel ist und feucht werden kann. Das ist für die Kasse ein unnötiger Luxus. Dafür muss man selbst zahlen.

Welche Körperveränderungen haben Sie noch gemacht?

Letztes Jahr habe ich die Brustvergrößerung gemacht, dieses Jahr die zwei Operationen für die Neovulva und eine Gesichtsfeminisierung, da wurde die Stirn abgeflacht und die Augenbrauen wurden ein bisschen angehoben. Mir war klar, dass ich alles machen will, was es an Epilationen, Hormonen, Operationen gibt. Weil ich diesen cisweiblichen Körper, auf den ich so neidisch war, so gut es geht haben wollte. Was ich gerne noch machen würde, ist den Kehlkopf abzuflachen. Ansonsten mache ich gerade noch Stimmtraining.

In Ihrem Buch kritisieren Sie die queerfeministische Szene als teilweise transmisogyn. Wie zeigt sich das?

In der Szene dominiert ein männlicher Style. Weil viele die weibliche Rolle, die ihnen die Gesellschaft aufdrückt, verständlicherweise ablehnen und sich das aneignen, was als männlich gilt. Der Minirock ist uncool, die Jogginghose ist cool; rational sein ist cool, emotional sein ist uncool. Was als weiblich gilt, wird abgewertet, Lippenstift wird belächelt. Für viele Transfrauen ist das schwierig. Für mich sind alle als feminin geltenden Sachen sehr wichtig, um meine Weiblichkeit zu zeigen und zu feiern.

2018 wird ein Jahr, in dem der feministische Kampf wieder auf den Körper zurückgeworfen wird. Wir stecken mitten in einer neuen Abtreibungsdebatte: Antifeminist*innen versuchen mit dem Paragrafen 219a systematisch, die Arbeit von Ärzt*innen zu behindern, die Abtreibungen durchführen. In unserer Sonderausgabe zum Weltfrauentag blicken wir deshalb genauer auf die Situation dieser Mediziner*innen in Deutschland. Wir erkunden, wo sich die feministische Bewegung wieder mit anatomischen Fragen beschäftigen muss und wie das ohne Backlash möglich ist. In der taz geht es deshalb um Abtreibung, Genitalien und Sex – am 8. März auf elf Sonderseiten in der Zeitung und im Internet unter taz.de/Frauentag2018.

Sie haben das auch in Räumen für FLTIQ (Frauen, Lesben, Trans, Inter, Queers) erlebt.

Viele Cisfeministinnen haben keine Lust auf Transfrauen in Frauen- oder FLTIQ-Räumen. Sie denken, Transfrauen sind eigentlich Männer und Transmänner eigentlich Frauen. Sie sagen, es sei ihnen wichtig, mit Leuten abzuhängen, die die gleiche Sozialisation haben. Aber das ist Quatsch, weil ja auch Cisfrauen ganz unterschiedlich sozialisiert sind. Sie sagen, wir Transfrauen hätten eine männliche Sozialisation. Dahinter steht der Gedanke, dass Transfrauen vor ihrem Coming-out einfach glücklich als Cismann leben und eines Morgens aufwachen und entscheiden, dass sie eine Transfrau sind. Dass Transmädchen von klein auf gezwungen werden, so zu tun, als seien sie ein Junge, sehen Cisfeministinnen oft als Privileg und nicht als Gewalt, die Kindern angetan wird.

Wie äußert sich cisfeministische Transmisogynie konkret?

Wenn eine Cisfrau das Geschirr nicht spült, gilt sie als faul oder es ist sogar ein feministischer Verweigerungsakt. Bei Transfrauen ist das gleich mackerig und männlich. Wenn eine Cisfrau sich im Plenum selbstbewusst gibt, wird das als stark angesehen, bei einer Transfrau als mackerig und männlich. Transfrauen werden leider von vielen nicht in ihrer Geschlechtsidentität ernstgenommen, das wird einfach nicht verstanden.

Wie ist es als Transfrau in der Rapszene?

Es gibt zum Glück eine queerfeministische Rapszene, da gibt es coole Raperinnen, mit denen es sehr viel Spaß macht. Und dann gibt es die Rapwelt da draußen. Manchmal werde ich ausgelacht oder bekomme Hate-Kommentare im Internet. Trotzdem ist es mir wichtig, auch Menschen außerhalb der queerfeministischen Szene zu erreichen. Und das Positive überwiegt. Viele schreiben mir, dass sie sich durch meine Musik oder mein Buch bestärkt fühlen, sie selbst zu sein. Das gibt mir Kraft, weiterzumachen.

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Dieser Text ist Teil der Sonderausgabe zum feministischen Kampftag am 8. März 2024, in der wir uns mit den Themen Schönheit und Selbstbestimmung beschäftigen. Weitere Texte finden Sie hier in unserem Schwerpunkt Feministischer Kapmpftag.

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