München entlässt Orchesterleiter: Der Dirigent, den ich rief
Chefdirigent der Münchner Philharmoniker und gleichzeitig Putinfreund? Geht nicht, findet Münchens OB und schickt Waleri Gergijew in die Tundra.
„München trennt sich von Chefdirigent Valery Gergiev“, ließ Oberbürgermeister Dieter Reiter am Dienstag vermelden. „Es wird damit ab sofort keine weiteren Konzerte der Münchner Philharmoniker unter seiner Leitung geben.“ Gergijew habe sich trotz der Aufforderung, sich „eindeutig und unmissverständlich von dem brutalen Angriffskrieg zu distanzieren“, den Putin gegen die Ukraine und auch gegen Münchens Partnerstadt Kiew führe, nicht geäußert. Ein solches Signal wäre für eine weitere Zusammenarbeit unabdingbar gewesen.
Zuvor hatte bereits das Schweizer Verbier-Festival Gergijew als Musikdirektor gefeuert, das Lucerne Festival ihn ausgeladen. Andere Konzert- und Opernhäuser wie die Mailänder Scala, das Festspielhaus in Baden-Baden oder die Elbphilharmonie sollen ebenfalls Ultimaten gestellt oder mit einer Absage von Konzerten gedroht haben.
Sogar seine Künstleragentur hat den Dirigenten jetzt rausgeschmissen: „Vor dem Hintergrund des verbrecherischen Krieges, den das russische Regime gegen die demokratische und unabhängige Nation der Ukraine und gegen die gesamte offene Europäische Gesellschaft führt, ist es uns unmöglich und unlieb geworden, die Interessen von Maestro Gergijew zu vertreten“, so Agenturchef Marcus Felsner.
„Die Kultur darf nicht zum Spielball von politischen Auseinandersetzungen werden“, sagte zwar der Vorstand des Münchner Orchesters, Daniel Froschauer, doch so einfach ist die Sache offensichtlich nicht. Zwangsläufig stellt sich die Frage: Wie politisch darf, muss, kann ein Künstler sein? Und darf sie oder er sich wie eine Privatperson einer politischen Positionierung entziehen? Zumal wenn dies in der Vergangenheit nicht immer der Fall war?
Im Westen stets gern gesehen
Der 1953 in Moskau geborene Gergijew war nun in der Tat nicht der Dirigent, für den es nur seine Musik gab und der sich von allen politischen Sphären fern hielt. Er gab sich stets als russischer Patriot, ergriff 2008 im Konflikt zwischen Russland und Georgien für Putins Vorgehen Partei und gab im besetzten Südossetien ein „Siegeskonzert“. Man erinnert sich auch an das Jahr 2013, als Gergijew gegenüber einer niederländischen Zeitung Russlands homosexuellenfeindliche Gesetze verteidigt haben soll – auch wenn der Dirigent später behauptete, falsch zitiert worden zu sein.
Wenig später unterstützte er in einem offenen Brief russischer Kulturschaffender die Annexion der Krim. Und auch die russische Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien fand seine Zustimmung: Als russische und syrische Truppen gemeinsam die Stadt Palmyra erobert hatten, gab er auch dort im Amphitheater ein Konzert. Alles in allem also ist Gergijew, zumindest politisch gesehen, ein höchst unangenehmer Zeitgenosse.
Nur ist all dies bislang nicht unbekannt gewesen. Gestört hat es freilich wenige, Konsequenzen hatte es nicht. Böse könnte man sagen: Wen interessiert schon, mit wem der Mann Wodka säuft, wenn er seinem Orchester einen solchen Tschaikowsky entlockt? Gergijew war in den Konzertsälen des Westens stets gern gesehen – und gehört. In München sowieso.
Nun hat die vielbeschworene „Zeitenwende“ also auch Gergijew erfasst, der seit 2015 Chefdirigent in München ist. Er gilt als bestbezahlter Angestellter der Stadt, obgleich es nur ein Nebenjob für ihn ist: In St. Petersburg ist er weiterhin Chef des Mariinski-Theaters. Aktuelle Äußerungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine sind aus Gergijews Mund zwar bislang nicht bekannt, aber das genügte nun nicht mehr. Reiter hatte dem Dirigenten am Freitag ein Ultimatum gestellt: Wenn er sich nicht von Putins Krieg distanziere, werde er fliegen. Das Ultimatum, so der Oberbürgermeister der bayerischen Landeshauptstadt, laufe in der Nacht zum Dienstag, Punkt Mitternacht, ab.
Eine öffentliche Gesinnungsprüfung quasi. Wie überzeugend ein Anti-Putin-Statement von Gergijews Seite freilich gewesen wäre, so er es denn abgegeben hätte, mag man lieber dahin gestellt lassen. Er hat es nicht getan, er hat sich eben nicht geändert. Das kann und muss er sich vorwerfen lassen. Im Umkehrschluss heißt es aber auch, dass er schon damals, als er 2015 seinen Job in München antrat, derselbe war wie heute. Und das wiederum kann und muss sich – ja, wer muss sich das vorwerfen lassen?
Operndiva Netrebko will nicht „ihr Vaterland beschimpfen“
Entschieden hatte sich, schon im Januar 2013, das Orchester selbst für Gergijew, bestätigt wurde die Berufung vom Stadtrat. Proteste? Gab es, doch folgten darauf lediglich eine verunglückte Pressekonferenz und ein Gespräch mit dem Kulturreferenten. „Ich bin ein viel beschäftigter Künstler“, redete sich der Dirigent damals raus, „ich gehöre nicht zur Duma, ich gehöre nicht zur Regierung.“ Der Stadt schien die Erklärung zu genügen. Man hörte gern hin, wenn Gergijew die Hände hob – einen Taktstock benutzt er nie – und genauso gern weg, wenn es um seine politischen Freunde ging.
Und jetzt? Fordern Politiker klare Kante von Künstlern gegen Putin, wie die Süddeutsche Zeitung schreibt, „selbst wenn sie selbst bisher nicht dafür bekannt waren“. Auch andere Künstler bringt ihre Nähe zum Putin-Regime in Erklärungsnöte: So verurteilten die Operndiva Anna Netrebko und ihr Mann, der aserbaidschanische Tenor Yusif Eyvazov, den Krieg, ohne explizit den Kriegstreiber zu benennen: „Ich bin eine Russin und liebe mein Land, aber ich habe viele Freunde in der Ukraine, und der Schmerz und das Leid brechen mir das Herz“, schrieb die auch in Wien lebende Sängerin auf Instagram. „Ich möchte, dass dieser Krieg aufhört und die Menschen in Frieden leben können.“ Trotzdem gab die Bayerische Staatsoper am Dienstag bekannt, dass sie Engagements von Netrebko abgesagt habe.
Im vergangenen Jahr feierte die Sopranistin ihren 50. Geburtstag mit einem vierstündigen Konzert im Kreml. Putin wohnte der Gala zwar nicht bei, ließ dort jedoch seine Glückwünsche verlesen. Netrebko und Eyvazov wandten sich jetzt dagegen, „Künstler oder irgendeine öffentliche Person zu zwingen, ihre politischen Ansichten öffentlich zu machen und ihr Vaterland zu beschimpfen“.
Nicht allen bereitet dies hierzulande so wenig Probleme wie Kirill Petrenko, dem Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker. Der aus dem sibirischen Omsk stammende Petrenko ließ es an Deutlichkeit nicht missen: „Der heimtückische und völkerrechtswidrige Angriff Putins auf die Ukraine ist ein Messer in den Rücken der ganzen friedlichen Welt“, schrieb der Orchesterleiter in einer Mitteilung. „Es ist auch ein Angriff auf die Kunst, die bekanntlich über alle Grenzen hinaus verbindet.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP