Mord an junger Frau in Freiburg: Ein Verbrechen in diesen Zeiten
Eine Studentin wird in Freiburg vergewaltigt und umgebracht. Tatverdächtig ist ein 17-Jähriger. Doch die Geschichte geht weiter.
649 Mordfälle gab es im vergangenen Jahr in Deutschland. Für dieses Jahr gibt es noch keine Zahl. Aber klar ist: Jede der Taten war brutal, entsetzlich, überflüssig. Und eine weitere ereignete sich Mitte Oktober in Freiburg.
Eine 19-jährige Medizinstudentin wird nach einer Uni-Party auf dem Heimweg vergewaltigt und ermordet. Ihre Leiche wird am Ufer der Dreisam entdeckt. An diesem Wochenende gibt die Polizei bekannt: Ein Tatverdächtiger ist gefasst, ein 17-Jähriger. Ein Haar am Tatort soll ihn überführt haben und Videos aus einer Straßenbahn. Der Jugendliche schweigt.
Die Geschichte aber geht weiter. Denn der Festgenommene kam im November 2015 als unbegleiteter Flüchtling aus Afghanistan. Er lebte in Freiburg in einer Gastfamilie. Und: Das Opfer soll in der Flüchtlingshilfe aktiv gewesen sein. Ihre Familie rief auf der Trauerfeier zu Spenden für einen Studentenverein auf, der unter anderem auch Asylbewerbern hilft. Und all dies in der so beschaulichen Ökostadt, regiert von den Grünen.
„Grausam und schrecklich“ sei das Verbrechen, sagt Freiburgs Oberbürgermeister Dieter Salomon. Aber man dürfe „die Herkunft des Täters nicht für Pauschalurteile heranziehen, sondern den Einzelfall betrachten“. Es sind angemessene Worte. Und Selbstverständlichkeiten.
Es wütet ein Shitstorm
Doch längst tobt ein Teil dieses Landes. „Merkels Jahr der Schande mit neuem Tiefpunkt“, zürnt die AfD im Internet. Die Tat reihe sich ein in die Gewalt von Köln, Würzburg und Ansbach. Es wütet ein ganzer Shitstorm. Schuldig sei die Flüchtlingspolitik, heißt es. „Merkel hat Blut an den Händen.“
Die Rechten attackieren auch die Medien: Warum läuft der Mord nicht in der „Tagesschau“? Die antwortet: Der Verdächtige sei ein Jugendlicher, hier habe die Berichterstattung eine besondere Bedeutung. Auch gelte die Unschuldsvermutung. Vor allem aber: Der Fall habe „regionale Bedeutung“.
Das alles stimmt. Der Mord war eines von vielen schrecklichen Verbrechen. Er wird von allen Parteien verurteilt, auch von der afghanischen Community. Und er war einer von vielen Verbrechen, die Rechtspopulisten und Rechtsradikale für ihre Zwecke nutzen – gerade, wenn es um und gegen Flüchtlinge geht. Kein Stoff für die „Tagesschau“ also.
Und doch stimmt die Antwort eben auch nicht. Denn der Fall Freiburg taugt in dieser Konstellation und dieser Zeit eben auch dazu, die Stimmung abermals zu vergiften. Überregional.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku