Mögliche Kandidaten für Grünen-Vorsitz: Zwei Linke und die Superreala

Vier Grüne werden als Nach­fol­ge­r:in­nen für Lang und Nouripour gehandelt. Tarek Al-Wazir will nicht. Und die anderen?

Franziska Brantner (Grüne)

Franziska Brantner (Grüne) bei der 187. Bundestagssitzung am 25. September 2024 Foto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Habeck und Brantner, verbunden durch ein Kabel

Bestens verdrahtet: Franziska Brantner und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck Foto: Kay Nietfeld/dpa

Felix Banaszak am Rendnerpult im Bundestag

Felix Banaszak am Rendnerpult im Bundestag Foto: imago

Andreas Audretsch als Redner im Bundestag

Andreas Audretsch bei der Generaldebatte um den Haushalt 2025 im Bundestag Foto: Philip Dulian/dpa

STUTTGART/BOCHUM/BERLIN taz | Nach dem angekündigten Rücktritt der Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour fallen immer wieder vier Namen von möglichen Nach­fol­ge­kan­di­da­t:in­nen. Im Rennen sein sollen demnach Franziska Brantner, parlamentarische Staatssekretärin im Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz; der einstige NRW-Landesvorsitzende Felix Banaszak, der Berliner Bundestagsabgeordneten Andreas Audretsch; und der einstige hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir.

Al-Wazir jedoch sagte der taz, dass er nicht Bundesvorsitzender werden wolle: „Das ist nichts, worüber ich nachdenke.“

Aber wer sind die anderen drei?

Franziska Brantner: Superreala mit internationaler Erfahrung

Es war der 5. Februar 2020. Wenige Stunden vorher hatte sich FDP-Mann Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten von Thüringen Wählen lassen. Da knöpfte sich Franziska Brantner Wolfgang Kubicki (FDP) bei einem Empfang im Bundestag vor laufenden Kameras vor: „Wenn mein Ministerpräsident von der AfD gewählt worden wäre, dann würde ich mich zugrunde schämen, da würde ich heulen“, wetterte die Grüne, Kubicki konnte nur Floskeln entgegenhalten.

Es ist ein eher untypischer Auftritt für Franziska Brantner, heute 45, Südwestgrüne vom Realoflügel, die sonst fast immer kontrolliert und rational, aber durchaus energisch auftritt. Dabei zeigt der Ausbruch von damals: Brantner kann auch emotional. Das könnte ihr helfen, auch das Herz ihrer Grünen Partei zu erreichen, falls wahr wird, was das politische Berlin gerade tuschelt: dass sie eine von zwei grünen Parteivorsitzenden werden könnte.

2022 liebäugelte Brantner schon einmal mit dem Amt, ließ dann aber der parteilinken Baden-Württembergerin Ricarda Lang den Vortritt und ging als parlamentarische Staatssekretärin in das Wirtschaftsministerium von Robert Habeck. Dort gilt sie als Aktivposten, die das unbedingte Vertrauen des Ministers hat.

Sie nutzt ihre internationale Erfahrung als frühere EU-Abgeordnete, um Ceta, das Handelsabkommen mit Kanada, zu retten und weltweit für die Deutschland Rohstoffe zu sichern. Gleichzeitig kann sie auch kundige Fragen bei Start-ups zu Informationssicherheit oder Quantencomputern stellen und das in gleich drei Sprachen. Französisch und Englisch perfektionierte sie im Studium in Paris und New York. Spanisch lernte sie dagegen, als ihr kurz vor der Promotion alles zu viel wurde und sie ein paar Monate zum Tangotanzen nach Buenos Aires in Argentinien ging, wie sie erzählt.

Brantner ist bei den Grünen bundesweit und kommunal gut vernetzt. Auf dem letzten Bundesparteitag zog sie im Hintergrund die Fäden, damit ein pragmatischer Parteitagsbeschluss zur Flüchtlingspolitik möglich wurde. Als Superreala lässt sie keinen Zweifel dran, dass sie für klare Restriktionen an der Grenze ist und ihre Partei endlich mit dem Ideal der offenen Grenzen für nahezu alle brechen muss – und ist damit voll auf der Linie eines anderen Realos: Ministerpräsident Winfried Kretschmann.

Bis 2013 war Brantner mit Boris Palmer liiert, die beiden haben zusammen eine Tochter im Teenageralter. Deshalb hat sie sich bisher aller Kommentare zu Palmers Streit mit der eigenen Partei enthalten. Inzwischen hat der bisweilen aufsässige Tübinger Oberbürgermeister die Partei verlassen. Auch das könnte Brantner die Entscheidung für eine Kandidatur erleichtern.

Felix Banaszak: ein Parteilinker aus NRW

Als ein möglicher Kandidat der Parteilinken für den grünen Bundesparteivorsitz wird Felix Banaszak gehandelt. Denn der Duisburger Bundestagsabgeordnete hat das erreicht, wonach sich die Grünen gerade am meisten sehnen: Erfolg.

Zusammen mit der heutigen stellvertretenden NRW-Ministerpräsidentin Mona Neubaur führte Banaszak die Grünen 2018 als Co-Landeschef. Gemeinsam fuhren die beiden mit 18,2 Prozent das beste Landtagswahlergebnis ein, das die Grünen an Rhein und Ruhr jemals erreicht haben.

Zuvor hatte der heute 34-Jährige bereits eine lange Parteikarriere hingelegt: 2009, im Jahr seines Abiturs, wurde er Grünen-Mitglied. Schon während seines mit einem Bachelor abgeschlossenen Studiums von Sozial- und Kulturanthropologie und Poli­tikwis­senschaft in Berlin arbeitete Banaszak für den späteren Berliner Justizsenator Dirk Behrendt. 2011 wurde er Beisitzer, 2012 politischer Geschäftsführer der Grünen Jugend – und 2013 dann deren Bundesvorsitzender.

Nach seiner Rückkehr nach NRW leitete er das Büro der Europaabgeordneten Terry Reintke und Sven Giegold, wurde 2016 Sprecher des grünen Kreisverbands seiner Heimatstadt Duisburg. Zwar scheiterte er bei der Bundestagswahl 2017. Doch 2018 wählten die NRW-Grünen ihn zu ihrem Landeschef – Banaszak blieb dies bis 2022.

Bereits 2021 war dem verheirateten Vater einer Tochter über Platz 6 der Landesliste der Sprung ins Bundesparlament gelungen. Banaszak, der „in Duisburg und Berlin“ lebt, ist damit auf allen Ebenen der Partei bestens vernetzt. In der grünen Bundestagsfraktion betreut der Rennradfahrer, dessen Unterlippenpiercing in den vergangenen Jahren verloren ging und der immer öfter Jackett statt T-Shirt trägt, die Themen Industriepolitik und Energiewirtschaft – und kämpft deshalb leidenschaftlich für die Umstellung der Duisburger Stahlwerke von Thyssenkrupp auf klimaneutralen Wasserstoff.

Doch Banaszak denkt längst auch strategisch über die Grundlagen eines grünen Erfolgs bei den nächsten Bundestagswahlen nach. Wie Vizekanzler Robert Habeck, dessen Wirtschaftsministerium er für seine Fraktion im Bundestagshaushaltsausschuss betreut, empfiehlt er seiner Partei, in die „Merkel-Lücke“ zu stoßen, die CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz mit seinem Rechtsruck für Wäh­le­r:in­nen der Union gerissen habe.

Merz wirke wie „wie die fleischgewordene Bonner Republik“, stehe für „die Konzepte der 1990er Jahre“, schrieb Banaszak erst in der vergangenen Woche in seinem Newsletter, den er mehrmals im Monat an Par­tei­freun­d:in­nen und Jour­na­lis­t:in­nen verschickt.

Die Bundesrepublik brauche keine Verengung aller „Herausforderungen unserer Zeit auf ein Thema – die Migration“, analysierte der Parteilinke darin. Das Land müsse vielmehr „darüber sprechen, wie es in Zeiten grundlegender geopolitischer und geostrategischer Verschiebungen wirtschaftliche Resilienz schaffen und sich außen- wie sicherheitspolitisch robust aufstellen“ könne.

Nötig sei außerdem eine „ökologisch ambitioniertere“, aber „sozial gerecht und ökonomisch pragmatisch ausgestaltete“ Klimapolitik, wirb Banaszak – und macht seinen im Umfragetief steckenden Par­tei­freun­d:in­nen mit Blick auf die im kommenden Jahr anstehende Bundestagswahl Mut: „Zu all diesen Fragen sind Friedrich Merz und seine Union weitgehend blank“, findet er – und wenn das so bleibe, „können und sollten wir die Leerstelle füllen, die die Nach-Merkel-Union lässt“.

Andreas Audretsch: ein Linker aus Neukölln

Im Gespräch für den Vorsitz ist laut Spiegel auch der Berliner Grünen-Abgeordnete und Vize-Fraktionschef Andreas Audretsch. Er wird ebenfalls dem linken Parteiflügel zugerechnet.

Audretsch ist wie Banaszak erst 34 Jahre alt. Und er stammt wie Franziska Brantner aus Baden-Württemberg. In Stuttgart geboren, zog er schon als Student nach eine Zwischenstation in Münster nach Berlin – genauer gesagt in den Stadtteil Neukölln, wo er sich seit 2011 im Kreisverband der Grünen engagierte.

Er arbeitet zunächst als Hörfunkjournalist, dann als Sprecher für verschiedene Bundesministerien und das Bundespräsidialamt.

Bei der Bundestagswahl 2021 kam er als Wahlkreiskandidat in Neukölln zwar nur auf Platz 2, zog aber über die Landesliste ins Parlament ein. Dort vertritt er seine Partei vor allem im Ausschuss für Arbeit und Soziales. Seit 2022 ist er einer der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden.

Er engagiert sich vor allem für mehr Klimaschutz, etwa durch den Ausbau der Solarindustrie, oder soziale Gerechtigkeit, zum Beispiel durch die Kindergrundsicherung.

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