Migrationspolitischer Streit in der CSU: Wenn Konservative sich streiten, freuen sich die Linken
Ja, man kann sich über die Fans von reiner Arbeitskräfte-Migration aufregen. Aber besser ist, sie als Bündnispartner gegen Abschottung zu gewinnen.
D ie Worte von Manfred Weber verraten eine gehörige Portion Zynismus: „Es ist auch unsere Aufgabe, den Leuten zu erklären, dass Deutschland Zuwanderung braucht, etwa in der Pflege.“ Der Fraktionsvorsitzende der christdemokratischen EVP-Fraktion im EU-Parlament spricht über Migrant*innen, als seien sie nichts als ein paar wirtschaftliche Zahlen. Wer nichts zum BIP beiträgt, ist demnach unerwünscht. Trotzdem lohnt es sich, hinzuhören. Denn das kühl-rationale Argument vom Wirtschaftsfaktor Migration deckt eine Bruchlinie innerhalb des konservativen Lagers auf.
Weber widerspricht mit seinen Aussagen direkt CSU-Chef Markus Söder, der vor einigen Tagen sagte, es brauche weniger Zuwanderung, was dann auch ein „anderes Stadtbild“ bedeute. Es ist nicht schwer zu erraten, welche Personen und welche Geschäfte Söder in den Städten nicht mehr haben will. Gegen dieses kaum verdeckte „Ausländer raus“ wirkt Weber geradezu liberal.
Beim Thema Migration sind die gesellschaftlichen Fronten nicht so eindeutig, wie gerade Linke denken. Auch in der CSU und anderen konservativen Parteien in Europa stehen die Populisten, die einen verkappten Ethno-Nationalismus vertreten, gegen wirtschaftsnahe Kräfte, die sich um Fachkräftemangel sorgen.

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Letztere sollten von den progressiven Kräften in der Migrationsfrage als zeitweilige strategische Verbündete erkannt werden. Und es ergibt Sinn, sich ihrer Argumentationsweise nicht komplett zu verschließen. Das heißt nicht, die zynische Kosten-Nutzen-Kalkulation inhaltlich zu übernehmen. Sondern anzuerkennen, dass sich mit Verweis auf die Wirtschaft diese Strömungen für progressive Migrationspolitik gewinnen lassen, die sonst mit der Forderung nach offenen Grenzen wenig anfangen können.
Zumal das Wirtschafts-Argument auch im Fall von Fluchtmigration greift: Wer erkennt, dass jährlich Hunderttausende Arbeitskräfte fehlen, sieht, wie absurd die gegenwärtige Abschottungspolitik ist. Und diese Einsicht zu verbreiten, ist bitter nötig, um die vielfältige Gesellschaft zu bewahren und Zuwanderungswege offenzuhalten.
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