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Migrationspolitischer Streit in der CSUWenn Konservative sich streiten, freuen sich die Linken

Frederik Eikmanns

Kommentar von

Frederik Eikmanns

Ja, man kann sich über die Fans von reiner Arbeitskräfte-Migration aufregen. Aber besser ist, sie als Bündnispartner gegen Abschottung zu gewinnen.

Manfred Weber (CSU) ist Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europaparlament Foto: Michael Kappeler/dpa

D ie Worte von Manfred Weber verraten eine gehörige Portion Zynismus: „Es ist auch unsere Aufgabe, den Leuten zu erklären, dass Deutschland Zuwanderung braucht, etwa in der Pflege.“ Der Fraktionsvorsitzende der christdemokratischen EVP-Fraktion im EU-Parlament spricht über Migrant*innen, als seien sie nichts als ein paar wirtschaftliche Zahlen. Wer nichts zum BIP beiträgt, ist demnach unerwünscht. Trotzdem lohnt es sich, hinzuhören. Denn das kühl-rationale Argument vom Wirtschaftsfaktor Migration deckt eine Bruchlinie innerhalb des konservativen Lagers auf.

Weber widerspricht mit seinen Aussagen direkt CSU-Chef Markus Söder, der vor einigen Tagen sagte, es brauche weniger Zuwanderung, was dann auch ein „anderes Stadtbild“ bedeute. Es ist nicht schwer zu erraten, welche Personen und welche Geschäfte Söder in den Städten nicht mehr haben will. Gegen dieses kaum verdeckte „Ausländer raus“ wirkt Weber geradezu liberal.

Beim Thema Migration sind die gesellschaftlichen Fronten nicht so eindeutig, wie gerade Linke denken. Auch in der CSU und anderen konservativen Parteien in Europa stehen die Populisten, die einen verkappten Ethno-Nationalismus vertreten, gegen wirtschaftsnahe Kräfte, die sich um Fachkräftemangel sorgen.

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Letztere sollten von den progressiven Kräften in der Migrationsfrage als zeitweilige strategische Verbündete erkannt werden. Und es ergibt Sinn, sich ihrer Argumentationsweise nicht komplett zu verschließen. Das heißt nicht, die zynische Kosten-Nutzen-Kalkulation inhaltlich zu übernehmen. Sondern anzuerkennen, dass sich mit Verweis auf die Wirtschaft diese Strömungen für progressive Migrationspolitik gewinnen lassen, die sonst mit der Forderung nach offenen Grenzen wenig anfangen können.

Zumal das Wirtschafts-Argument auch im Fall von Fluchtmigration greift: Wer erkennt, dass jährlich Hunderttausende Arbeitskräfte fehlen, sieht, wie absurd die gegenwärtige Abschottungspolitik ist. Und diese Einsicht zu verbreiten, ist bitter nötig, um die vielfältige Gesellschaft zu bewahren und Zuwanderungswege offenzuhalten.

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Frederik Eikmanns
Fachredakteur Inland
schreibt über alles, was im weitesten Sinn mit Migration zu tun hat.
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10 Kommentare

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  • Wenn mit Migration Arbeitsplätze besetzt werden sollen Bedarf es einer zielgerichteten Migration. Das hat dann nichts mit Flucht zu tun, sondern eher mit akribischer Auswahl. Was nützt Migration im grossen Stil, wenn die Anforderungen nicht erbracht werden können?

  • Mit diesen zynischen Kosten-Nutzen Argumenten argumentiert die linke Seite doch aber selbst schon seit vielen Jahren? Habe seit einigen Jahren keine andere Kommunikationsstrategie mehr erlebt als "Wir brauchen doch aber dringend Fachkräfte". Rein ethisch hat doch schon lange keiner mehr versucht zu argumentieren.



    Jeder der mit der Verwertbarkeit argumentiert, sollte aber einkalkulieren, was dann zwangsläufig im Krisenfall der Wirtschaft passieren wird. Sollten wir je eine größere strukturelle Arbeitslosigkeit bekommen, fliegt uns die derzeitige Gesellschaftsstruktur aber so dermaßen um die Ohren. Ob eine wenig homogene Gesellschaft im Krisenfall überhaupt resilient ist, wage ich vorsichtig zu bezweifeln. Laut Wissenschaft hängt die Resilienz einer Gesellschaft in so einer Situation von der wirtschaftlichen Stärke der betroffenen Organisationen ab. Eine großflächige Deindustralisierung der alten Länder im Stile der 90er im Osten wäre mal eine interessante Feldstudie zu dem Thema. Ob dann die heile multikulturelle Welt weiter bestehen wird, wage ich vorsichtig zu bezweifeln. Es braucht aber jedenfalls keine Kristallkugel um zu verstehen wer der Sündenbock im Krisenfall sein wird.

  • In einigen Berufen werden qualifizierte Fachkräfte gebraucht. Ohne abgeschlossene Ausbildung sieht es allerdings miserabel aus:

    Handlesblatt: "Fast drei Millionen junge Menschen ohne Ausbildung"



    www.handelsblatt.c...ung/100126416.html

    SPIEGEL: "Bund, Ländern und Kommunen fehlt knapp eine Billion Euro. Die Infrastruktur in Deutschland ist dramatisch unterfinanziert, ergibt eine neue Analyse. Die größte Not herrscht in den Kommunen. Daran dürfte auch das geplante 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen wenig ändern.



    www.spiegel.de/wir...-8307-f1a6b061ec16

    SPIEGEL: "Kommunen melden Rekorddefizit wegen hoher Sozialausgaben"



    www.spiegel.de/wir...-875c-9f40d82c3934

    Rekordschulden auch beim Bund. Schulden kosten jährlich zig Milliarden Zinsen. Die Inflation steigt. Schulden müssen zurückgezahlt werden.

  • Was soll an einer "Kosten-Nutzen"-Rechnung bitte zynisch sein, wenn man die Sozialsysteme erhalten will? Solche Artikel bzw. Haltungen sind der beste Treibstoff für die AfD - das Geld aus den Sozialkassen großzügig verteilen, ohne diejenigen zu fragen, die einzahlen bzw. eigentlich über deren mehrheitlich klaren Willen hinweg.

  • "Weber widerspricht mit seinen Aussagen direkt CSU-Chef Markus Söder, der vor einigen Tagen sagte, es brauche weniger Zuwanderung, was dann auch ein „anderes Stadtbild“ bedeute. " Beinhaltet diese rassistische Aussage nicht auch eine antisemitische Haltung? Auch 1933 wurde ein anderes Stadtbild gefordert.

  • Ich empfehle als zusätzliche Info den Artikel unter folgendem Link:



    www.wissenschaft.d...rafischen-wandels/



    Wer den gelesen hat und immer noch gegen Migration ist, hat nichts kapiert. Wir leben in einer zunehmend überalterten Gesellschaft, die ohne Zuwachs nicht mehr funktionieren wird.

    • @Il_Leopardo:

      Diese Prognose ist bekannt, nur Ihre Schlussfolgerung ist falsch. Die zunehmende Überalterung der Gesellschaft sollte als Chance begriffen werden um das dringend notwendige Degrowth einzuleiten. Anstatt also ständig die Bevölkerung mit Zuwanderung aufzufüllen ist es geboten sich ernsthafte Gedanken zu machen wie wir langfristig auch mit 60 Mio Einwohnern unseren Sozialstaat und unseren Wohlstand erhalten.

  • 3 Millionen Arbeitslose gibt es zur Zeit in Deutschland. Tendenz steigend, weil die Betriebe mehr Stellen streichen als an anderer Stelle (in Zukunftsbranchen) neue zu schaffen. Wie passt das mit der Botschaft zusammen, "dass jährlich Hunderttausende Arbeitskräfte fehlen"? Wollen wir nicht erst mal diese 3 Millionen in Beschäftigung bringen, bevor wir noch mehr Menschen ins Land holen?

    • @Winnetaz:

      Es geht hier um Qualifikation und Qualifizierbarkeit. Wenn es so einfach wäre, wäre das längst erledigt worden. Arbeitslose gibt es nicht erst seit gestern.

      Es geht halt nicht nur mit der Peitsche, auch wenn die CxU das suggeriert. Jemanden in einen Job zwingen, auf den der null Bock hat, oder einfach nicht dafür geeignet ist, bringt halt auch niemandem was.

      Zudem es ab einem gewissen Alter und/oder wenn man länger aus dem Job ist, es grundsätzlich schwierig ist was zu finden. Einer neuen Ausbildung mit 30/40 steht häufig entgegen, dass tariflich mehr bezahlt werden müsste und die Arbeitgeber ggf. lieber länger was von dem Ausgebildeten haben wollen. Ausnahme mag aktuell die IT sein, da fehlt es ja an allen Ecken und Enden.

      Problem ist auch, dass Weiterbildungsmaßnahmen etc. der Arbeitsagentur häufig wenig bringen, die Leute da aber dennoch hingeschickt werden, weil sie nicht als Arbeitslose zählen, während sie in der Weiterbildungsmaßnahme sind. So wird seit Jahrzehnten die Statistik geschönt.

      Zudem es natürlich auch einen Überlapp zwischen Arbeitslosen und Migranten gibt, wobei der nicht so groß ist, wie die CxU gerne behauptet.

    • @Winnetaz:

      Die Arbeit muss eben auch zur Qualifikation passen. Wer einen Sanitär-Fachmann oder Elektriker braucht, kann ggf. sehr lange warten und einige Betriebe machen dicht, weil sie keine jüngeren Mitarbeiter bzw. Nachfolger für den Chef finden.

      Restaurants streichen die Öffnungszeiten zusammen oder haben einen zusätzlichen Ruhetag -

      lässt sich sicher auf andere Branchen erweitern.

      Wenn in Unternehmen bestimmte Stellen nicht besetzt werden können, die aber essentiell sind, dann entsteht ggf. sogar neue Arbeitslosigkeit, weil der ganze Betrieb dadurch weniger Aufträge annehmen kann.