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Heil und Schulze in GhanaPläne für gesteuerte Arbeitsmigration

Der Arbeitsminister und die Entwicklungsministerin sprechen in Ghana über Hilfen für Auswanderungswillige. Sie wollen dem Fachkräftemangel entgegenwirken.

Arbeitsminister Hubertus Heil bei einer Pressekonferenz in Accra, Ghana, am 20. Februar

Accra/Berlin dpa | Hubertus Heil schwitzt. Fast 6.000 Kilometer sind der Bundesarbeitsminister und seine Kabinettskollegin Svenja Schulze von Berlin nach Ghana geflogen. In der schwülen Februarluft des westafrikanischen Landes verkünden der Arbeits- und die Entwicklungsministerin nichts Geringeres als einen „Paradigmenwechsel in der deutschen Migrationspolitik“. So nennt die Bundesregierung ihren Versuch, Zuwanderung so zu steuern, dass alle Beteiligten etwas davon haben.

Heil und Schulze wollen bei dem sensiblen Thema erfolgreicher sein, als es die Große Koalition in der Vergangenheit war. Der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) etwa war 2019 nach Mexiko geflogen, um Pflegekräften den Weg nach Deutschland zu erleichtern. Inzwischen hat die deutsche Fachkräftelücke in immer mehr Branchen bedrohliche Ausmaße angenommen. Die Ampel-Regierung will den Mangel unbedingt verkleinern – ohne dass Herkunftsländer einen schmerzlichen Aderlass erleiden.

Schulze hofft auf Win-win-win-Situation

In Ghanas Hauptstadt Accra sprechen die beiden SPD-Politiker am Montagabend darüber länger mit der ghanaischen Sozialministerin und dem Ressortchef für Industrie. Feuchte Luft um die 30 Grad Celsius macht den Besuchern aus Deutschland zu schaffen, die in Westafrika ansonsten vor allem gegen Menschenrechtsverletzungen bei globalen Lieferketten eintreten wollen. Doch Heil und Schulze lassen sich von den hohen Temperaturen nicht abhalten. Sie wollen hier auch hoffnungsvolle Botschaften zur Migration setzen. „Es geht darum, dass beide Staaten in ihrer Volkswirtschaft davon profitieren können“, sagt Heil. „Deswegen ist es gut, miteinander zu arbeiten und eine Win-win-win-Situation zu schaffen“, meint Schulze.

Der „Paradigmenwechsel“, von dem die Regierung spricht, ist schon seit Längerem geplant. Bereits im November bot die Ampel gleich vier Kabinettsmitglieder auf, um für das neue Fachkräfte-Einwanderungsgesetz zu werben. Damals wurden Eckpunkte beschlossen. Seit Montag nun sammelt die Regierung Stellungnahmen der Bundesländer und der Wirtschaft- und Sozialverbände zu dem geplanten Gesetz ein. Doch worin soll der grundlegende Wechsel bestehen? Sollen nun Fachkräfte um jeden Preis angelockt werden?

Heil will faire Migration

Heil und Schulze geben in Accra den Startschuss für eine Neuausrichtung eines bereits bestehenden ghanaisch-deutschen Migrationsberatungszentrums. Die Einrichtung, direkt neben Ghanas Arbeitsministerium gelegen, soll Interessierte informieren: Welche Wege führen nach Deutschland – aber auch in andere EU-Länder? Was müssen auswanderungswillige Ghanaer machen, die es erst mal in anderen afrikanischen Ländern versuchen wollen? Zudem soll das Zentrum – wie bisher schon – aus Deutschland zurückkehrenden Ghanaern helfen, daheim wieder Fuß zu fassen. So verspricht Deutschland unter anderem Unterstützung bei einer Existenzgründung.

„Wenn hier der Eindruck entsteht, als würden wir diesem Land kluge Fachkräfte abziehen, dann wäre das ein falscher“, sagt Heil. Denn in Ghana mit seinen knapp 34 Millionen Einwohnern gibt es laut dem deutschen Minister einen Überschuss an gut ausgebildeten Menschen, die daheim keine Arbeit finden. Laut Prognosen wächst Ghanas Bevölkerung in den nächsten zehn Jahren um weitere knapp 7 Millionen Einwohner. „Deshalb ist es wichtig, dass wir in mehrerlei Richtungen dafür sorgen, dass das faire Migration ist.“

Schulze sagt: „Das ist hier ein sehr junges Land mit einer sehr jungen Bevölkerung.“ Tatsächlich sind rund 56 Prozent der Menschen unter 25 Jahre. „Wir sind eine immer ältere werdende Gesellschaft“, setzt Schulze dagegen, „wir brauchen Fachkräfte.

„Mörderische Wege durch Sahara vermeiden“

Viele junge Ghanaer wollen wohl lieber heute als morgen nach Europa. Das Land ist stabil und auch als Reiseland recht sicher, ganz anders als etwa der von terroristische Entwicklungen heimgesuchte nördliche Nachbar Burkina Faso. Doch das Land ächzt unter einer Inflation von über 50 Prozent. Die Wirtschaft ist angeschlagen. Armutsmigration will Deutschland aber nicht anziehen. „Es geht auch darum, mörderische Wege durch die Sahara zu vermeiden“, sagt Heil mit Blick auf illegale Fluchtbewegungen. Mit dem Fachkräfte-Einwanderungsgesetz sollen Einreisewillige zum Beispiel nach Berufserfahrung oder Deutschlandbezug ausgewählt werden.

Das Entwicklungsministerium steckt allein in Ghana in den nächsten drei Jahren rund 10 Millionen Euro in Qualifizierung und berufliche Bildung. Ghanas Sozialministerin Lariba Abudu lobt denn auch die „starken bilateralen Beziehungen“ zu Deutschland. 150 Millionen fließen aus dem Hause Schulze insgesamt in solche Migrationsprojekte in Länder Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und Mittel- und Osteuropas. Weitere Zentren wie in Ghanas Hauptstadt Accra sind in Marokko, Tunesien, Ägypten, Jordanien, Nigeria, Irak, Pakistan und Indonesien geplant.

Beispiel Pflegekräfte

Als mahnendes Beispiel, wie es nicht laufen sollte, führt man bei der Ampel den Bereich der Pflegerinnen und Pfleger an. Bereits 2020 lockerte die damalige Große Koalition die Regeln zur Fachkräftezuwanderung ein Stück weit. Auf tausende neue Kräfte hatte man gehofft. Doch die Pflegekräfte, die etwa aus Indien, Indonesien oder Jordanien kamen, konnte man im vergangenen Jahr an einer Hand abzählen. Insgesamt konnten 2022 unterm Strich 656 ausländische Pflegekräfte durch die Bundesagentur für Arbeit nach Deutschland vermittelt werden. Allein 255 angeworbene Fachkräfte stammten 2022 demnach von den Philippinen.

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5 Kommentare

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  • In Deutschland gibt es ein Reservoir von 2,5 Mio. Arbeitslosen, und trotzdem bettelt man förmlich weltweit um Arbeitsmigration. Wozu soll ich da noch potentielle Pflegekräfte aus Afrika oder Ärzte aus Mittel- und Südamerika nach Deutschland locken ?

    Das grundsätzliche Problem des Ärztemangels und das Pflegethema lässt sich national lösen. Die Zuführung von Arbeitskräften aus dem Ausland bewirkt nur das man eine dauerhafte Lösung aufschiebt, nichts weiter.

  • Die Politik erzählt also mal wieder das Märchen vom Fachkräftemangel. Besonders die SPD möchte den naiven Bürgern dieses Märchen weiterhin erzählen und holt jetzt sogar schon Menschen aus anderen Ländern, damit man bei uns weiterhin die Löhne niedrig halten kann, denn wie schon Gerhard Schröder (SPD) 2005 vor dem World Economic Forum sagte: "Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt".

    Und weshalb Krankenschwestern und Pfleger in Deutschland fehlen, sollte eigentlich bekannt sein. Die beiden Zauberworte, um Pflegekräfte aus dem Zylinder zu ziehen, heißen bessere 'Arbeitsbedingungen' und höhere 'Löhne'. Das geht natürlich nicht, denn dann könnten ja die smarten BWL-Typen, die schon sämtliche Krankenhäuser und ähnliche Einrichtungen mit dem "spitzen Bleistift" leiten, nicht mehr mit dem dicken Portemonnaie in der Gesäßtasche herumlaufen. "Mit der Privatisierung des Gesundheitswesens stieg der wirtschaftliche Druck auch in kommunalgeführten Krankenhäusern. Die jungen Leute werden nach der Einarbeitung auf Station inzwischen völlig verheizt" [NDR - Mai 2021]. Und in den anderen "Handwerksberufen" sieht es doch nicht besser aus, denn dort sind die Arbeitsbedingungen und Löhne auch miserabel.

    "Dass Wirtschaftsverbände immer wieder lauthals über den Fachkräftemangel klagen, sei Teil einer Strategie, die man „Rentseeking“ nenne. Demnach wägen Unternehmer ab, ob sie effizienter durch eigene Leistung oder Hilfen des Staates weiterkommen. „Scheint es einfacher und billiger, in den zuständigen Ministerien Helferreflexe auszulösen, als einen Mangel an Fachkräften im eigenen Betrieb mit neuen Ideen zu bewältigen“ schickt man seine Verbandsvertreter nach Berlin. [WELT, 29.08.2018] - Schau mal einer an, das stand doch tatsächlich in der Springerpresse WELT und nicht, wie man zunächst vermuten könnte, in einer "linken" Zeitung.

  • Warum denn in die Ferne schweifen? Spanien hat eine Arbeitslosenquote von fast 30% bei Jugendlichen.



    Das sind hunderttausende.

  • Hauptsache denen kann jemand erklären, wie es sein kann, dass auch in D Farbige unter ungeklärten Umständen im Polizeigewahrsam zu Tode kommen.

    Oder dass Farbige in D von der Polizei signifikant öfter kontrolliert werden als nicht farbige.

  • Sichere Migrationswege sind der richtige Weg.