Merz’ Gipfelwoche: Wer bin ich?
Trump-Flüsterer, europäische Führungskraft, steigende Umfragewerte zuhause: Für Bundeskanzler Friedrich Merz scheint alles zu klappen. Aber das stimmt nicht.

E s läuft gut für Bundeskanzler Friedrich Merz. Seine Umfragewerte steigen, der erste Nato-Gipfel in Den Haag endete mit einer Einigung auf historisch höchste Verteidigungsausgaben, und auf dem EU-Gipfel in Brüssel hat er sich „ausgesprochen wohlgefühlt“. Transatlantiker, Europäer, Bundeskanzler – das scheint zu passen. Doch der Eindruck täuscht.
Auf dem Nato-Gipfel wurde Merz mit offenen Armen empfangen. Bereits das von der Ampel angestoßene Sondervermögen Bundeswehr, mit dem Deutschland 100 Milliarden investieren will, begeistert die Nato-Partner. Dass Deutschland unter seiner neuen Regierung erhöhte Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse ausklammern will, löst erst recht Freude aus.
Vor Ort mauserte sich Merz zum kleinen Star des Gipfels. Zu verdanken hat er das auch Finanzminister Lars Klingbeil, der kurz vor Den Haag die deutsche Haushaltsplanung bis 2029 vorstellte. 152,8 Milliarden Euro sollen 2029 in die Verteidigung fließen, ganz zufällig sind es 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Streber Deutschland will die neue Nato-Zielmarke für klassische Militärausgaben sechs Jahre früher erreichen als vereinbart. Der US-Botschafter bei der Nato lobte Deutschlands Führungsrolle bei der europäischen Aufrüstung – Musik in Merz’ Ohren.
Der Kanzler betont zwar, dass die Aufrüstung eine Reaktion auf die Bedrohung durch Russland sei. Doch klar ist: Ohne die Forderungen von US-Präsident Donald Trump wäre das neue 5-Prozent-Ziel in Europa nie Thema geworden. Der Gipfel zeigte auch, wie groß die Abhängigkeit von den USA bleibt. Weder Merz noch ein anderer europäischer Staatschef konnte Trump auf Augenhöhe begegnen.
Für Trump kritisiert Merz selbst von der Leyen
Ein Zeichen dafür ist auch die Nato-Abschlusserklärung, in der die Ukraine im Gegensatz zum Vorjahr kaum eine Rolle spielt – besonders bitter für Merz, der vor dem Gipfel in einer Regierungserklärung noch betonte, die Ukraine „kraftvoll“ unterstützen zu wollen.
Auch auf der Brüsseler Bühne gelang Merz seine Inszenierung als Führungskraft in Europa nur bedingt. Die EU sendet momentan nur Signale der Verzweiflung: Ein neues Sanktionspaket scheiterte, wie zuvor erwartet, an der Slowakei. Um sich von Altkanzler Olaf Scholz abzugrenzen, nahm Merz an einem Frühstück der Hardliner teil, die eine schärfere Migrationspolitik fordern, einer Runde also, die man besser meiden sollte.
Merz nutzte den Gipfel auch, um EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen für ihre Strategie in den Verhandlungen mit den USA zu kritisieren. Er fordert schnelle Handelslösungen, die besonders der deutschen Wirtschaft Entlastungen bringen würden. Die EU-Kommission setzt hingegen auf ein umfassenderes Abkommen, das Zölle beiderseits abschaffen soll. Dabei ist von der Leyen auf einer Linie mit Frankreich, was zu Spannungen führen könnte.
Merz muss bald klären, welche Interessen er vertreten will. Transatlantiker, Europäer und Bundeskanzler zugleich, das passt derzeit doch nicht so gut zusammen.
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