Menschliche Fäkalien als Dünger: Scheiße auf den Acker bringen
Die Firma Finizio darf als einzige in Deutschland menschlichen Kot auf Versuchsfeldern verarbeiten. Beim Scheiß-Kongress wird größer gedacht.
Florian Augustin greift eine Handvoll Erde. Er legt sie auf einen Blümchenteller und reicht ihn weiter. Der Mann neben ihm nimmt ein Klümpchen, zerreibt es mit den Fingerspitzen, schnuppert daran. Ungeduldig warten die umstehenden Leute, bis der Teller bei ihnen ankommt. Die Substanz hat eine krümelige Konsistenz und riecht nicht. Ein paar Monate zuvor war das noch menschlicher Kot.
Etwa 40 Leute sind im Frühling zum eintägigen Scheiß-Kongress nach Eberswalde in Brandenburg gekommen, eine Frau sogar aus Frankreich. Es sind Menschen, die Trocken-Trenn-Toiletten konstruieren, mit biologisch abbaubaren Windeln experimentieren oder zu dem Thema forschen. Der Höhepunkt des Tages ist der Besuch der Vererdungsanlage auf dem Gelände der örtlichen Kreiswerke.
Wie die funktioniert, erklärt Florian Augustin, 30 Jahre alt, ungebändigter schwarzer Haarschopf. Die von ihm vor drei Jahren gegründete Firma Finizio ist Teil des Forschungsprojekts „ZirkulierBAR“ und der bisher einzige Betrieb in Deutschland, der Fäkalien aufbereiten darf.
Augustin steht auf der betonierten Fläche, neben ihm einige graue Mülltonnen, in denen die Exkremente angeliefert werden. Für die Reinigung der Tonnen gibt es ein Spülbecken mit Bürsten darin, als ob es für riesige Biergläser konstruiert wurde. Die eigentliche Aufbereitungsanlage: eine große Box aus Metall.
Befüllt mit Scheiße und Stroh
„Der Container ist mit Edelstahl ausgekleidet und wird mit Scheiße und Stroh befüllt“, erklärt Florian Augustin. Erst hätten sie es mit Sägemehl als Einstreu versucht – aber damit seien die notwendigen Temperaturen für die Hygienisierung nicht zu erreichen, ein Prozess, bei dem Keime abgetötet und Reste von Medikamenten unschädlich gemacht werden. Eine Woche dauert diese erste Phase des Verrottungsprozesses, bei dem durch den Stoffwechsel der Mikroorganismen die Temperatur in dem Container auf bis zu 75 Grad ansteigt.
Danach kommt ein Kipper und lädt den Inhalt als langgestreckten, etwa 1,5 Meter hohen Hügel ab. Dann zeigt Augustin auf eine Maschine mit stacheliger Walze und grinst: „Wir nennen sie Tina Turner.“ Mit dem Gerät arbeiten er und seine Kolleg*innen Grünschnitt, tonige Erde, ein bisschen fertigen Kompost und Holzkohle in die Haufen ein und durchlüften sie regelmäßig. Nach sechs bis acht Wochen ist alles zu guter, fruchtbarer Erde geworden.
„Uns ist sehr bewusst, dass wir sowohl mit einem Wert- als auch Gefahrstoff arbeiten“, betont Augustin. Zusammen mit Expert*innen aus Wissenschaft und Praxis hat er ein technisches Regelwerk erarbeitet, das offiziell als DIN-Spezifikation anerkannt ist. „Wir haben deutlich strengere Anforderungen festgelegt, als sie für Klärschlamm, Gülle und Dünger gelten“, sagt der gelernte Forstwirt.
Unser Harn ist ein hervorragender Dünger – und kostenlos zu haben. Bei Pflanzen mit hohem Nährstoffbedarf wie Kohl, Kartoffeln, Tomaten, Kürbis und Rosen sollte er 1 zu 10 verdünnt auf den Boden gegossen werden. Bei weniger zehrenden Pflanzen ist ein Verhältnis 1 zu 20 günstiger. Weil Urin Salze enthält, die ganz junge Pflanzen und Salat nicht mögen, sollte man bei ihnen darauf verzichten. Kompost reichert durch eine regelmäßige Gießkanne mit Harnbeimischung Stickstoff, Phosphor und Kalium an und verrottet rascher. Hecken und Rasen freuen sich ebenfalls auf eine menschliche Düngergabe – nur nicht bei praller Sonne. Wenn Urin mit Wasser verdünnt und nicht lange gelagert wird, gibt es kein Geruchsproblem.
Permanente Untersuchungen belegen: Weder Krankheitserreger wie Salmonellen oder Kolibakterien noch Reste von Antibiotika, Antibabypillen oder Antidepressiva sind in der Erde nachweisbar. Verkaufen darf das Unternehmen den Boden bisher trotzdem nicht: Das deutsche Düngerecht lässt menschliche Exkremente als Ausgangsstoff nicht zu. So verschenkt Finizio das Substrat an Bauern, die im Rahmen des Forschungsprojekts eine Sondergenehmigung bekommen haben.
Neben der Pilotanlage steht ein Schild, auf dem die Zukunftsvision schon zu sehen ist: ein mehrstöckiges Riesenregal, in dem kontinuierlich Scheiße in gute Erde verwandelt wird. Von solchen Humus-Anlagen träumen auch die Tüftler, die Trocken-Trenn-Klos konstruieren. Toiletten also, die Urin und Kot getrennt auffangen, um Geruchsentwicklung zu unterbinden.
Der Kreislaufgedanke
Simon Spreter aus Rottweil in Baden-Württemberg ist einer von ihnen. Er hat ein Modell entwickelt, das wie ICE-Klos mit einem Vakuum funktioniert und mit dem aufgefangenen Urin die nächsten Toilettengänge spült. „Stinkt gar nicht“, bestätigt seine 14-jährige Tochter. Doch wohin mit den Inhalten?
Die Familie habe einen Garten. Spreter und die anderen Teilnehmenden des Scheiß-Kongresses aber möchten Lösungen finden, die auch in Großstädten funktionieren. Das Ziel: Die Stoffkreisläufe zwischen Lebensmittelproduktion auf dem Feld, Konsum und Ausscheiden sollen wieder geschlossen werden.
„Der Kreislaufgedanke ist auch das Herzstück von Finizio“, sagt Florian Augustin. Dafür steht der Name seines Unternehmens – die verschlungene Kombination aus Ende und Anfang auf Italienisch. Zugleich ist es dem Geschäftsführer wichtig, dass sich das Wissen rasch verbreiten kann und sein Unternehmen trotzdem wettbewerbsfähig bleibt.
Sein Geld verdient Finizio damit, Klos bei Großveranstaltungen aufzustellen und den Inhalt zu entsorgen. Zum Beispiel auf dem Musikfestival Immergut in Neustrelitz, wo Augustin und seine Kolleg*innen an einem Morgen im Mai die zusammenklappbaren Toilettenkabinen vom Anhänger gehoben und in einer langen Reihe aufgestellt haben.
Über ein paar Stufen erreicht man die Klos, untendrunter stehen die grauen Mülltonnen. Darin sammeln sich die Exkremente, auf die die Besucher*innen nach ihrem Geschäft ein bisschen kleingehäckseltes Stroh kippen. Mithilfe einer Drainage wird der Urin separiert und in einen großen Plastikquader gepumpt.
Urin und Kot enthalten große Mengen Phosphor und Stickstoff – beides Stoffe, die die Landwirtschaft unbedingt braucht. Doch im Düngemittelrecht sind sie als Ausgangsstoff für Dünger nicht zugelassen – anders als Klärschlamm, Gülle und Bioabfall.
Das Kreislaufwirtschaftsgesetz zielt darauf ab, dass Rohstoffe und Ressourcen vielfach genutzt werden: Recycling hat Vorrang vor thermischer Verwertung. Tatsächlich aber wird ein Großteil des Klärschlamms mit hohem Energieaufwand getrocknet und dann verbrannt. Damit gehen auch Stickstoff und Phosphor verloren.
Bisher beschäftigt sich ausschließlich das Abwasserrecht mit dem Thema Fäkalien. Im Abfallrecht fehlt dafür ein Abfallschlüssel, wie er für Schlachtabfälle, Gülle, den Inhalt von Biotonnen oder Klärschlamm existiert. Für diese Stoffe ist geregelt, wie sie schadlos gesammelt, behandelt und in den Boden eingebracht werden dürfen.
Vor allem Frauen scheinen sich hier für die Finizio-Variante gegenüber der klassischen Dixi-Kabine zu entscheiden. Eine junge Frau kommentiert Augustins Innovation: „Ich kenn die Toiletten schon von anderen Festivals und find sie super. Die sind immer sauber und riechen überhaupt nicht – anders als die Chemie-Klos.“
Dass ihre Hinterlassenschaft später kompostiert wird, gefällt ihr ebenfalls. Dann steigt sie die Stufen hoch und verschwindet hinter einem schwarzen Vorhang. 200 Kabinen besitzt Finizio. Damit ist das Unternehmen Marktführer für biologische Trockentoiletten auf Großveranstaltungen. Zum Vergleich: TOI TOI & DIXI vermietet weltweit 300.000 Plastikhütten der chemischen Variante.
Augustin hat ein bisschen Zeit, sich auf einem Klappstuhl niederzulassen. Oft arbeitet er 70 Stunden, sein Einkommen ist nicht üppig. Doch Scheiße ist sein Lebensthema. Als ihm im ersten Semester seines Forstwirtschaftsstudiums zufällig ein Buch über nachhaltige Sanitärsysteme und den Wert menschlicher Ausscheidungen in die Hände fiel, war er elektrisiert. „Mir ging ein Licht auf: Das ist ein großer Hebel, um uns wieder in die natürlichen Kreisläufe einzufügen.“
Seither lässt ihn das Thema nicht mehr los. Aktuell tüftelt er mit anderen an einer Porzellantoilette, die in mehrgeschossige Stadthäuser eingebaut werden soll. „Es ist so, als ob wir mit dem Tretboot auf den Atlantik hinausfahren“, sagt Augustin. Aber er sei optimistisch. „Irgendwann werden wir die politischen Rahmenbedingungen geändert kriegen. Wir sind ja viel jünger als die, die heute zu entscheiden haben.“
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