Medien und ihr Publikum: Leser*innen-Beschimpfung

Kritik gehört zum Geschäft, klar. Warum aber dürfen nur Leserinnen und Leser schimpfen? Also wird heute einmal zurückgegeben.

Sprechblase in Neonschrift

Kritik erweist sich nicht selten als inhaltsleere Sprechblase Foto: imago

Autorinnen und Autoren müssen es sich gefallen lassen, für ihre Arbeit von Leserinnen und Lesern beleidigt, geschmäht und denunziert zu werden, mit Kritik und Debatte hat das meistens nicht mehr viel zu tun. Ist nun mal so, Empfindlichkeit gehört nicht zum Berufsbild. Aber es ist doch nur fair, dass man auch mal zurückschimpft, oder?

Oh ihr verschnarchten Hysteriker, ihr neunmalklugen Besserwisser, ihr postcalvinistischen, neospießigen, nicht so geheimen Agenten der Gedankenpolizei, ihr arroganten Besitzer der reinen Wahrheit, die ihr mit nicht weniger als Delegitamation und Abo-Kündigungen droht, wenn jemand nicht genau das schreibt, was ihr schon immer gewusst habt. Ihr glaubt, ihr könnt Autorinnen und Autoren nach Herzenslust beschimpfen und müsst dabei vor keiner persönlichen Beleidigung zurückschrecken, denn die dürfen ja nicht zurückschimpfen und -beleidigen, weil sie eure Deppen und Sklaven sind, an denen ihr eure Neurosen und Minderwertigkeitskomplexe ausleben könnt.

So mies bezahlt, wie die sind, sollen sie ja nicht aufmucken gegen die Kundschaft, die haben will, was sie verlangt. Dorthin denken, wo wir nicht schon unseren Sprach- und Sprechregler aufgestellt haben, ist ebenso verboten wie jede Form der Kritik, die auf uns selber zurückfallen könnte: Das verbittet ihr euch so energisch, dass man eure verbale Diarrhö kaum noch von den rechten Trollen und neoliberalen Hipstern unterscheiden kann, die sich in euren Foren herumtreiben. In diesen Foren, wo man stets den Eindruck hat, als stimme etwas prinzipiell mit der Beziehung zwischen einem Medium und seinen Adressaten nicht. Ihr muffigen Zerstörer der Aufklärungslust.

Wie Vattern, der sich einen Fernsehapparat anschaffte, damit er was hat, worüber er sich aufregen kann

Ihr Analphabeten, Astrologen, artenreiche Angeber! Ihr weitgereisten Flugschämer, besserverdienenden Alltagshelden, die für jede ökologische und soziale Selbstverständlichkeit einen Moral­orden haben wollt und die ihr, wenn es gerade nicht über einen Autor oder eine Autorin herzuziehen gilt, übereinander herfallt, als sei die Zeitungs- und Magazinlektüre eigentlich nur als Trigger für Empörung und Denunziation im Leserforum gedacht. Wie Vattern, der sich einen Fernsehapparat anschaffte, damit er was hat, worüber er sich aufregen kann. Was habt ihr aus einer urdemokratischen Idee der offenen Debatten gemacht?

Homöopathen der Diskurse …

Wie gekonnt habt ihr verhindert, dass Leserinnen und Leser und Autoren und Autorinnen eine gemeinsame, widerständige, kritische und kreative Kultur erzeugen, eine Basis der demokratischen Zivilgesellschaft vielleicht. Ihr, die ihr Obstruktionismus mit Streitlust verwechselt und Zensurenverteilen (Thema verfehlt! Setzen, Sechs!) mit Dialog. Ihr, die ihr eure politische Ungenauigkeit hinter moralischer Gewissheit verstecken wollt, die keinen Gedanken weiterdenken, sondern immer nur zurückschrauben könnt aufs behagliche Maß in euren geschmackvoll gentrifizierten Kiezen.

Ihr Homöopathen der Diskurse, Bücherschrankbesitzer, ihr Schwerst­-Realisten, die ihr am liebsten hättet, dass alles so bleibt, wie es ist, nur ohne Nazis und ohne Klimakatastrophe! Ihr aufgeblasenen Kenn-ichs, Weiß-ichs, War-ich-schons! Ihr eifernden Narzissten, die eines sicher wissen, nämlich dass sie alles besser könnten, wenn man sie nur lassen würde.

Ihr Espresso-Schlürfer, Zum-Vietnamesen-Geher, An-der-eigenen-politischen-Biografie-Schummler, selbstgerechte Glaubensgemeinde, die nicht müde wird, zu diffamieren und denunzieren, bis sie genau den Journalismus hat, den sie verdient. Keine Ketzereien, keine dialektischen Experimente, keine Formenvielfalt. Ihr Halbexperten, Hasenfüße, Hanfgesichter, Hallelujahs! Ihr Protagonisten der Schwarmverblödung. Ihr, die ihr lieber zehnmal über Donald Trump lacht als einmal über euch selbst! Ihr Gesunden! Ihr Guten! Ihr Gastgeber!

Ihr Gastro-Gonzos! Ihr Wikipedia-Zitierer, die den Rest der Debattierer als Wikipedia-Zitierer verunglimpfen. Ihr prinzipiell ungenau Lesende, ihr nie Zuhörende, ihr von aller Nichtüberdeutlichkeit Überforderte, ihr rhetorischen Sicherheitsfanatiker, ihr, die ihr eure Diskurse reinhalten wollt wie die Nazis ihre nationalen Zonen, ihr, die ihr vor jedem Satz Reißaus nehmen müsst, der damit droht, euch zu entlarven.

Ihr Horrorclowns der Kommentarfunktionen …

Ihr Deppen, Dödel, Doofis, Dunkelmänner und -frauen; ihr Pfeifen, Pfosten und Pflaumen; ihr Korrekturleser, Kolporteure und Kommanditisten; ihr Hetzer und Heiligsprecher; ihr müde Manövriermasse der Mittelschicht; ihr verdrucksten Zornnickel und hypersensiblen Neidhammel, ihr Meister der normierten Niedertracht; ihr Horrorclowns der Kommentarfunktionen; ihr Empörungsonanisten; ihr bräsigen Sonntagsschüler der Postdemokratie; ihr Fahrradfahrer des Kapitalismus; ihr Garanten der Altklugheit; ihr wichtigtuerischen Wischiwaschis! Ihr, die ihr eine Zeitung ersehnt, die euch Gürtel und Hosenträger zugleich ist; ihr, denen man nichts erzählen kann, weil ihr schon immer die Feuerwehr ruft, wenn ein Lagerfeuer entzündet wird.

Ihr Kulturfuzzis, Kunstkonsumenten, Kenner und Liebhaber, die schon immer das Neueste gehört haben, wenn es nur das Alte ist. Ihr Wächter und Kontrolleure, ihr Aufpasser und Pädagogen, ihr Fundamentalisten des kleinbürgerlichen Realismus; ihr abgeklärten Nachtwächter des Wissens und der Fantasie; ihr nimmermüden Normierer mit dem bedingten Reflex, keinen Austausch unterschiedlicher Positionen in einen fruchtbaren Streit und gemeinsame Diskurs-Arbeit ausarten zu lassen, sondern jede Abweichung als irrsinnig, bösartig und wahrscheinlich aus niederen Motiven getätigt und von äußeren Kräften gesteuert zu denunzieren; ihr, die ihr noch jeden Ausreißer wieder einfangt, ihr Damen und Herren der Dispositionen; ihr Konstrukteure des alternativen Biedermeier, nach Zuspruch und Bestätigung gierend, ohne Neugier, ohne Fantasie, ohne Wagnis.

Ihr heulenden Höllenhunde. Ihr, die ihr euch gegenseitig nach allen Kräften am freien Denken und am utopischen Geist zu hindern versucht …

… ihr seid jetzt wieder dran.

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