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Medien und Christchurch-AttentatDer Hass auf Muslime hat Struktur

In vielen Medien fehlte es nach dem Attentat von Christchurch am Bewusstsein dafür, dass sie selbst Teil des Problems sind.

Viele Medien sagen inzwischen, dass der Täter in Christchurch kein psychisch gestörter Einzeltäter war Foto: ap

„We are one.“ – „Wir sind eins.“ Diesen Satz hat die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern infolge der Anschläge auf zwei Moscheen in Christchurch zu einer Art offiziellem Credo erhoben. Sie benennt die Anschläge ganz selbstverständlich als das, was sie sind: ein Angriff auf die freie, pluralistische Gesellschaft insgesamt. Denn der rechte Terror fängt bei den Muslimen nur an, er wird bei ihnen nicht aufhören.

Ardern ist für ihre klare Haltung zu recht viel gelobt worden, auch in Deutschland. Denn sie entlarvte die perfide Logik des Attentäters, er habe sich für islamistischen Terror „rächen“ wollen, als rassistischen Unsinn. Anders sah es bei einigen deutschen Medien aus. Der Täter habe Rache für die Toten vom Breitscheidplatz nehmen wollen, titelte etwa die Berliner BZ. Dass das nur Sinn ergibt, wenn man glaubt, alle Muslime befänden sich in einem Krieg mit dem Westen, fiel der Redaktion zunächst offenbar nicht auf.

Immerhin: Viele große Medien sagen inzwischen deutlich, dass der Täter kein psychisch gestörter Einzeltäter war. Der Spiegel widmete globalen rechten Netzwerken eine Titelgeschichte (kostenpflichtiger Link), auch die ZEIT, die Süddeutsche Zeitung und andere berichteten darüber. Es ist gut, dass es eine neue mediale Wachsamkeit gegenüber rechten Strukturen gibt. Aber es reicht nicht, nur die gewalttätigen Extreme in den Blick zu nehmen. Eine ehrliche Analyse müsste auch die Diskurse anschauen, die das Feindbild Islam insgesamt nähren. Und wir Journalisten müssten dabei auch selbstkritisch die eigene Arbeit in den Blick nehmen.

Im australischen Fernsehen fragte kurz nach dem Anschlag die ABC-Talkshow „The Drum“, welche Rolle Politik und Medien beim Erstarken eines weißen Rassismus gespielt haben. Eine derart selbstkritische Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle sucht man in Deutschland vergeblich. Um es gleich zu sagen: Nein, rechter Terror lässt sich nicht mit einseitiger Berichterstattung erklären. Aber redaktionelle Medien sind mitverantwortlich dafür, dass in den letzten Jahren ein Klima des Misstrauens und der Ablehnung gegenüber Muslimen gewachsen ist.

Eine Gruppe in Mithaftung

Im schlimmsten Fall führe diese Haltung zu Hass und Gewalt, sagt Kai Hafez, Professor für Kommunikation an der Universität Erfurt. „Gewaltsame Übergriffe nehmen mit dem Grad der medialen Thematisierung negativer Fremdbilder zu. Das kollektive Echo wirkt als eine Art Nährboden für Übergriffe.“

Dass über Muslime nur selten Gutes berichtet wird, ist seit Jahren belegt. Etwa 60 bis 80 Prozent der Beiträge in den überregionalen Medien widmen sich dem Islam im Kontext von Themen wie Radikalisierung und Kriminalität. Selbst wenn jeder einzelne dieser Beiträge faktisch richtig wäre, setzt sich so allmählich der Eindruck fest, dass Muslime grundlegend anders sind. Kritiker entgegen darauf gerne, Muslime seien für ihren schlechten Ruf selbst verantwortlich.

„Gewalt nimmt mit dem Grad der medialen Thematisierung negativer Fremdbilder zu“

Kai Hafez, Medienwissenschaftler

Angesichts von islamistischem Terror sei es kaum verwunderlich, wenn Medien vor allem Negatives berichten. Dabei schätzt der Verfassungsschutz in Deutschland nicht einmal ein Prozent der Muslime als Gefährder ein. Auch die pauschale Behauptung Muslime seien integrationsunfähig, haben Wissenschaftler längst widerlegt. Natürlich darf man Muslime kritisieren. Doch wer so pauschal argumentiert, nimmt eine ganze Gruppe in Mithaftung für die Taten einer Minderheit.

Der Attentäter von Christchurch bezeichnete Muslime und andere Minderheiten als „Invasoren“, die einen Völkermord an den Weißen planten. Sein Manifest basiert auf der rechten Verschwörungstheorie eines „Bevölkerungsaustauschs“, laut der weiße Europäer durch muslimische Einwanderer ersetzt werden sollen. Das alles findet sich so in keinem redaktionellen Medium. Doch die Radikalisierung des Täters basiert auf einem „Feindbild, das um jeden Preis bekämpft werden muss“, schreibt Sascha Lobo in einer kenntnisreichen Analyse auf Spiegel Online. Es ist dieses „Wir gegen die Gefühl“, das auch traditionelle Medien lange, bewusst oder unbewusst, bedient haben.

Medien als Verstärker

Redaktionelle Medien wirken zudem wie eine Art Verstärker: Sie transportieren Ideen von den rechten Rändern in die Mitte der Gesellschaft, sobald es genügend Menschen gibt, die diese äußern. Mandenke nur an die Debatten darüber, ob der Islam zu Deutschland gehört, Muslime integrationsunwillig sind oder muslimische Zuwanderung per se eine Bedrohung darstellt. Natürlich: Journalisten können nicht jede Debatte ignorieren. Aber ab und zu sollte das möglich sein – zum Beispiel dann, wenn AfD, Pegida und Co. angesichts von knapp sechs Prozent Muslimen im Land von „Islamisierung“ sprechen.

Denn wir wissen aus der Framing-Forschung, dass sich das Gehirn das Fragezeichen am Ende von Sätzen wie „Wird Deutschland islamisiert?“ oder „Ist der Islam gefährlich?“ nicht merkt. Was hängen bleibt, ist eine Feststellung.

Es ist daher kein Wunder, dass sich die Empathie mit den Opfern von Christchurch in Deutschland bislang in Grenzen hält. Die Stimmung in vielen Kommentarspalten lässt sich mit „selbst schuld“ ganz gut wiedergeben. Doch wer so argumentiert, hat Muslime längst qua Glaubenszugehörigkeit für mitschuldig am Terror erklärt. In letzter Konsequenz gibt man sie damit zum Abschuss frei.

Um zu verhindern, dass Anschläge wie der in Christchurch auch bei uns passieren, bräuchte es eine breite Debatte über Islamfeindlichkeit in allen großen Institutionen. Leider sind wir davon weit entfernt. Einigen Politikern fällt es schon schwer, das Motiv des Täters als das zu benennen, was es ist: antimuslimischer Rassismus. Viele Journalisten haben das getan. Es wird Zeit, dass sie auch nach den strukturellen Ursachen dieses Rassismus fragen – und dabei die eigene Arbeit nicht aussparen.

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