piwik no script img

Medien-Affäre Fabian WolffFundiert spekuliert

Der Publizist Fabian Wolff hat gestanden, kein Jude zu sein. Nun wird über Fehler der Medien im Umgang mit diesem Fall diskutiert.

Wäre gern Jude gewesen: Fabian Wolff Foto: Marco Limberg/Jüdische Allgemeine

Wer die Debatte um den Publizisten Fabian Wolff verstehen möchte, muss bereit sein, sehr viel Text zu lesen. Denn wie das so mit Debatten im Feuilleton ist, kurz hält sich kaum jemand. Ausgangspunkt ist Wolffs Essay „Nur in Deutschland“, das er im Mai 2021 bei Zeit Online veröffentlichte. Auf 40.000 Zeichen beklagt er, dass es „Teil der deutschen Seele“ sei, „Israel zu lieben“, und es hierzulande nicht viel brauche, um des Antisemitismus beschuldigt zu werden, dazu solidarisiert er sich mit der Israel-Boykott-Bewegung BDS. Seine Sprecherposition macht Wolff schon im zweiten Absatz klar, wenn er schreibt: „Ich bin Jude in Deutschland.“

Spätestens jetzt, zwei Jahre und 70.000 Zeichen später, ist klar: Fabian Wolff ist kein Jude. Auch das kann man bei Zeit Online nachlesen, in seinem jüngsten, sehr langen Essay „Mein Leben als Sohn“. Darin schreibt Wolff: „Ich werde nicht aus der Position eines Juden in Deutschland sprechen, weil ich das nicht kann und weil ich das nicht bin.“ Sein Glaube, Jude zu sein, beruhe auf einer Art Missverständnis. Einer Aussage seiner Mutter, als er 18 Jahre alt gewesen ist. Eine Entschuldigung findet in den 70.000 Zeichen keinen Platz.

Während das Essay von 2021 eine Welle an Lobhudelei einerseits und Hass andererseits in sozialen und klassischen Medien hervorgerufen hat, muss man nun von einem Tsunami sprechen. Die Vorwürfe und Beurteilungen sind deutlich schärfer. Auch wenn es heute noch einige gibt, die Wolffs Essay als mutiges Meinungsstück feiern, dominiert doch die Haltung: Dieser Text hätte so niemals erscheinen dürfen.

Zwei Tage nach Erscheinen von Wolffs Essay schreibt Philipp Peyman Engel in der Jüdischen Allgemeinen: „In Journalistenkreisen war nicht die Frage, wann Fabian Wolffs Kostümjudentum auffliegen würde, sondern nur, wer es zuerst publik macht.“ Weiter schreibt Engel von einer „ausführlichen Recherche“, die schon 2021 einigen Journalist_innen zugespielt wurde, die zeigt, dass Wolff sich seine Biografie ausgedacht habe. Auch bei Twitter ist immer wieder von dieser Recherche, diesem „Dossier“ die Rede. Zudem wird von Journalist_innen und anderen Interessierten auf Ungereimtheiten in Wolffs Essay hingewiesen.

Hinweise auf Unstimmigkeiten in der Biografie

Ein häufiger Vorwurf lautet: Fabian Wolff habe sein erfundenes Jüdischsein genutzt, um aus dieser Sprecherposition heraus Stimmung gegen Israel und gegen Jüdinnen und Juden in Deutschland zu machen. Zeit Online habe hierbei als Dienstleister für seine Lügen und politischen Thesen hergehalten. Vergleiche mit dem notorischen Fälscher des Spiegels Claas Relotius, der 2018 für einen der größten Skandale der deutschen Medienbranche gesorgt hatte, werden gezogen. Schließlich haben deutsche Medien, wie Spiegel.de, Süddeutsche Zeitung, die Jüdische Allgemeine oder Zeit Online jahrelange gerne Wolffs Texte veröffentlicht. Wie sollten diese Medienhäuser nun mit seinen Texten umgehen?

Einen neuen Höhepunkt erreichte die Debatte mit einem Text der Autorin Mirna Funk in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). „Fabian Wolff hat über Jahre den Juden performt, den sich jeder Deutsche wünscht“, schreibt sie. Und führt danach weiter aus: „Die echten Juden nerven nämlich, weil sie sich weigern, jüdische Karikaturen für die Deutschen zu sein. Weil sie sich weigern, ­einen Schlussstrich unter die Geschichte zu ziehen.“

Es ist nicht diese Analyse, die für Wirbel sorgt, sondern ein anderer Aspekt. Funk zitiert aus dem besagten Dossier, das auch schon in der Jüdischen Allgemeinen erwähnt wird und auch der taz vorliegt. Es bestehe aus „zwei langen E-Mails mit Dokumenten, Screenshots, Audiodateien und allen notwendigen Informationen zu Fabian Wolffs Familienhistorie“ von Wolffs Ex-Freundin Helen R. Sie und Wolff sollen von Dezember 2016 bis Juni 2017 ein Paar gewesen sein, ihr seien seitdem immer wieder Widersprüche in Wolffs Biografie aufgefallen. Sie habe auch mit anderen darüber gesprochen, unter anderem einem Redakteur der Zeit. Funk, so schreibt sie, habe die Informationen im September 2021 an „Wortführer der jüdischen Community und an einige Redaktionen“ weitergeleitet.

Wenn so viele Menschen Hinweise darauf hatten, dass Wolff kein Jude ist, wieso hat keine Redaktion das öffentlich gemacht? Engel und Funk argumentieren mit dem Fall Sophie Marie Hingst: Die Bloggerin hatte 2019 Suizid begangen, nachdem der Spiegel aufgedeckt hatte, dass sie ihre jüdische Identität und Vorfahren erfunden hatte. Engel und Funk wollten verhindern, dass sich so etwas wiederhole.

Was wusste die Redaktion?

Heute fragt sich Funk, ob sie die falsche Person geschützt habe, denn Helen R. sei mittlerweile tot. An dieser Stelle setzt der FAZ-Text mehr auf Raunen als Recherche. Funk schreibt nicht, dass Wolff etwas mit dem Tod zu tun hat, doch sie führt die Vorwürfe seiner Ex-Freundin explizit aus – ohne Wolff damit zu konfrontieren – und vermutet selbst, dass Wolff „psychisch krank“ ist. Ihr Text führte in sozialen Medien zu Spekulationen über den Tod von Helen R., auf die hier nicht näher eingegangen werden soll.

Aber: Funks Text wirft noch einmal wichtige Fragen auf im Hinblick auf die Verantwortung von Zeit Online: Was wusste die Redaktion? Die reagierte am nächsten Tag mit einem Faktencheck auf ihrem Blog „Glashaus“. Zuvor hatten sie Wolffs Essays schon mit einem Hinweis versehen, dass sie mögliche Unwahrheiten in dem Text prüfen. Zusätzlich veröffentlichten sie einen Gastbeitrag von Meron Mendel, dem Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, der sich eine Stellungnahme inklusive Entschuldigung von der Redaktion an die Leser_innen wünscht.

Diese folgt dann auf dem „Glashaus“-Blog. Dort heißt es, Zeit Online bedaure es, Fabian Wolffs Essay 2021 veröffentlicht zu haben. Ihnen sei das Dossier von Helen R. nicht bekannt gewesen. Auch von dem privaten Kontakt zu einem Zeit-Redakteur wussten sie nichts. Wolffs Essays haben sie einem erneuten Faktencheck unterzogen, also Dokumente überprüft, mit Wolff und seinen Wegbegleiter_innen und Kritiker_innen gesprochen.

Auch E-Mails der verstorbenen Mutter sollen auf Authentizität überprüft worden sein. Wie die Überprüfung aussieht, wird nicht erläutert, dabei wäre diese Erläuterung interessant gewesen, schließlich lassen sich E-Mails leicht fälschen. Doch Zeit Online schreibt, die E-Mails sollen „klare Aussagen über ihre vorgebliche jüdische Identität“ enthalten, zwei ihr nahestehenden Personen versichern zusätzlich, dass die Mutter von einer jüdischen Identität gesprochen habe. Im Weiteren werden Wolffs Aussagen Stück für Stück kritisch abgeklopft.

Transparenz ist der richtige Umgang

Eine davon ist, dass er wiederholt behauptete, jüdisch aufgewachsen zu sein. In seinem jüngsten Text schrieb er aber, dass seine Mutter ihm erst als 18-Jährigen erklärt habe, er sei Jude. Diesen Widerspruch erklärt Wolff heute wie folgt: „In seiner Kindheit (habe es) ‚ein Reden­ über das Jüdischsein‘ gegeben. So sei beispielsweise Streit in der Berliner jüdischen Gemeinde Gesprächsthema gewesen. Seine Mutter habe das Wort „goyim“ hin und wieder benutzt.

Nachdem die Redaktion auf diesem Wege verschiedene Aussagen über Wolffs angeblich „jüdisch-kommunistische“ Familie, die Herkunft des Vaters und Wolffs Recherchen zur Genealogie überprüfte, kommt Zeit Online zu dem Schluss: „Wir können Fabian Wolff bisher nicht nachweisen, an anderer Stelle bewusst die Unwahrheit gesagt zu haben.“ Und fügen hinzu: „Unsere Recherchen zeigen allerdings, wie er die spärlichen, von seiner Mutter erfundenen Informationen zu seinem vermeintlichen Jüdischsein durch weitere ‚fundierte Spekulationen‘, wie er sie selbst bezeichnete, ergänzt hat. Diese ‚fundierten Spekulationen‘ sind von bewussten Täuschungen teilweise nur mit gutem Willen zu unterscheiden.“

Dass Zeit Online sich entschuldigt, die Texte einem erneuten Faktencheck unterzieht und das transparent macht, ist der richtige Umgang mit den Vorwürfen. Einige Fragen bleiben jedoch ungeklärt. Zum Beispiel wieso der Zeit-Redakteur den Verdacht, Wolff habe seine Biografie erfunden, nicht an Zeit Online weitergegeben hat. Dass Zeit Online 2021 nichts von dem „Dossier“ wusste, kann man ihnen nur bedingt vorwerfen. Wie ausführlich ein Faktencheck des Essays damals ausgesehen hat, bleibt fraglich.

Der Umgang mit Wolffs Essay offenbart auch ein strukturelles Problem mit Ich-Geschichten. Einerseits ist klar, dass persönliche Essays genauso journalistischen Standards entsprechen müssen wie ein klassischer Bericht. Andererseits ist ein grundsätzliches Vertrauen in die Autor_innen notwendig. Wenn etwa eine Autor_in mit Vorerkrankung über ihre Situation in der Coronapandemie schreibt, lassen sich die Redakteur_innen in der Regel auch keinen Nachweis für ihre Krankheiten geben. Man glaubt der kranken Person.

Wie wird es mit Wolff weitergehen?

Im Zusammenhang mit Wolffs Essay „Mein Leben als Sohn“ von 2023 sticht jedoch ein fragliches Detail heraus. Wolff hatte gegenüber Zeit Online zugegeben, dass seine Identität nicht die ist, die er lange gelebt hat. Die Redaktion wusste zudem, dass ein anderes Medium zu seiner Biografie recherchiert. Journalistisch sauber wäre zu diesem Zeitpunkt gewesen, Wolff nicht die Möglichkeit zu geben, ein 70.000 Zeichen langes Geschwafel zu veröffentlichen, sondern ein kritisches Interview mit ihm zu führen oder seine Biografie selbst zu recherchieren.

Wie die Medienbranche nun mit einem Autor umgeht, der in seinen Texten mit „fundierten Spekulationen“ arbeitet, unterscheidet sich. Die Süddeutsche Zeitung hat bislang als einzige alle seine Texte, auch klassische Kulturrezensionen, depubliziert. Zeit Online lässt seine Essays online stehen und versieht sie mit einem Hinweis, die zu den Faktenchecks führen. Deutschlandradio verfährt mit Wolffs Beiträgen ähnlich. Der Spiegel und die Jüdische Allgemeine sagen auf Anfrage der taz, dass sie die Texte erneut überprüfen und so lange mit einem Hinweis online stehen lassen. Der Tagesspiegel lässt eine Anfrage der taz bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet.

Als Claas Relotius aufflog, verschwand er danach als Autor aus der Medienwelt. Ob es Wolff ähnlich ergehen wird? Die Jüdische Allgemeine zumindest schließt eine künftige Zusammenarbeit mit Wolff kategorisch aus, der Spiegel sieht auch keinen Anlass für eine Wiederaufnahme. Andere Medien prüfen derzeit noch, ob sie künftig noch mit Fabian Wolff als Autor zusammenarbeiten wollen.

Der vielfach ausgezeichnete Relotius gab nach seinem Auffliegen seine Reporterpreise zurück. Er entschuldigte sich bei der Jury des Reporterforums, per SMS. Auf die Frage, warum Wolff sich nicht entschuldigt habe, antwortet dieser der taz: „Der Text ist die Abbitte, nicht als Selbstentschuldigung, sondern aus Selbstverantwortung.“

Eine Entschuldigung, sie fehlt also bis heute.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • "Ein häufiger Vorwurf lautet: Fabian Wolff habe sein erfundenes Jüdischsein genutzt, um aus dieser Sprecherposition heraus Stimmung gegen Israel und gegen Jüdinnen und Juden in Deutschland zu machen."

    Der Vorwurf ist berechtigt. Und damit offenbart die Causa Wolff nicht nur "ein strukturelles Problem mit Ich-Geschichten", sondern vor allem ein Problem der Standpunkttheorien. Weshalb sollte der Sprechort denn dazu legitimieren, Antisemitismus zu verharmlosen?



    Vor allem hat Wolff eine ganz bestimmte Funktion erfüllt. Warum waren denn weite Teile des linken Feuilletons ganz verliebt in einen, der immer wieder Stimmung gegen Jüdinnen und Juden in Deutschland und den Staat Israel gemacht hat? Das Problem ist nicht in erster Linie der Mangel an Transparenz, sondern der latente Antisemitismus.

  • Gute Zusammenfassung der "Affäre Wolff", allerdings ein kleiner Hinweis bzgl. des richtigen Gebrauchs des Wortes "Entschuldigung": eine Person kann sich nicht selbst entschuldigen, sprich: sie kann nicht selbst die Entschuldigung für das eigene Fehlverhalten akzeptieren, sondern lediglich um Entschuldigung bitten. Die Entschuldigung anzunehmen und damit Verzeihung zu gewähren, das ist Angelegenheit derjenigen, an die die Bitte gerichtet ist.

  • Danke, das fasst die ganze Sache sehr gut zusammen.

  • Haben wir alle aus der Causa Relotius nicht gelernt, dass guter Journalismus nicht in erster Linie im ich-bezogenen Meinungsstück im Feuilleton zu finden ist, sondern in der faktenbeladenen Aufklärung, bei der die Autor:innen hinter den Archivbänden verschwinden? Vielleicht sollten wir das dann endlich tun, zum Wohle unserer Demokratie!

    • @Zangler:

      Relotious hat politisch gefällige Märchen erzählt - Wolff hat eine rpivililgierte Sprecherposition eingenommen, um gegen Israel und für BDS usw. zu trommeln und in den "sozialen Medien" Leute teilweise extrem übel anzugehen.



      Für Relotius habe ich da gewisse Sympathien, bei Wolff sieht's anders aus.

      • @Wurstprofessor:

        Zwischen Relotius und Wolf gibt es doch kaum einen Unterschied.



        Beide haben als junge Journalisten Geschichten erfunden, von denen sie ausgehen könnten, daß sie Abnehmer finden. Das konnte nur funktionieren in einem Umfeld, in dem Haltung alles ist und Fakten ein Relikt aus vergangenen Zeiten sind.



        An diesem medialen Umfeld wird sich auch nichts ändern, deshalb werden auch in Zukunft solche Figuren auffliegen

  • '...hat gestanden keine Jude zu sein'. Und was genau war die Anklage?

    • @Tom Farmer:

      Das er fäschlich behauptet hat einer zu sein? Artikel nicht gelesen?

    • @Tom Farmer:

      Artikel nicht gelesen?