#MeToo in deutscher Rapszene: Kollektives Schweigen gebrochen
Die Influencerin Nika Irani beschuldigt den Rapper Samra der Vergewaltigung – er streitet ab. Doch endlich ist eine Debatte in der Szene entstanden.
„Ich habe über 20 Mal nein gesagt“, erzählt Influencerin Nika Irani bei Instagram vergangene Woche. Versehen mit einer Triggerwarnung erzählt sie ihren Follower:innen ausführlich, wie der Rapper Samra sie vergewaltigt haben soll. Im Juni vergangenen Jahres soll er sie im Schlafzimmer seines Tonstudios in Brandenburg gewürgt, aufs Bett geworfen, ihre Unterhose zerfetzt und sie schließlich vergewaltigt haben. Laut eigener Aussagen hat sie den Fall nicht zur Anzeige gebracht. Sie erwarte demnach auch keine Verurteilung, sondern eine Entschuldigung des Rappers. Ihr Instagram-Profil ist mittlerweile gelöscht.
Nach einigen Tagen Stille hat sich nun der Beschuldigte, der bürgerlich Hussein Akkouche heißt, ebenfalls bei Instagram zu Wort gemeldet. Dort schreibt er: „Ich habe niemanden vergewaltigt, weder die Person, die mich dessen beschuldigt, noch andere Menschen!“ Weiter kündigt er an, den Sachverhalt die Staatsanwaltschaft klären zu lassen und sich von nun an nicht mehr öffentlich zu dem Thema zu äußern.
Kurz darauf veröffentlicht er jedoch Videos, in denen er aggressiv herumschreit und Irani, ohne ihren Namen zu nennen, als Lügnerin bezeichnet sowie „die Presse“ und „diese ganze Universal“ beschimpft. Bislang erschienen Samras überaus erfolgreiche Alben bei Urban Records, einem Tochterlabel von Universal. Am Freitag kündigte Universal an, „die Zusammenarbeit mit dem betreffenden Künstler bis zur Klärung der Vorwürfe ruhen zu lassen“.
Die #MeToo-Bewegung, die im Oktober 2017 in Gang gesetzt wurde, ist in Deutschland ohnehin vergleichsweise klein geblieben. Wurden Strukturen diskutiert, ging es meist um die Schauspielbranche, in der Rap-Szene dagegen herrschte bislang vor allem kollektives Schweigen. Einzelne Vorwürfe wurden erhoben, doch eine grundsätzliche Debatte über die herrschenden Machtstrukturen und Frauenhass in der Szene blieben aus – bis jetzt. Nika Iranis Postings setzten eine Debatte in Gang, die weit über die Beschuldigungen gegen Samra hinausgehen.
Große Solidarität
Seit Ende vergangene Woche beteiligen sich vermutlich tausende in Sozialen Medien an der Diskussion über Sexismus und Gewalt, Verharmlosungen und Gaslighting in der Szene. Viele teilen ihre persönlichen Erfahrungen, die sie mit sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch erlebt haben. Der Instagram-Account „deutschrapmetoo“ möchte Betroffene sexualisierter Gewalt aus der Szene miteinander vernetzen, mittlerweile folgen ihm gut 16.000 Follower:innen.
Viele in der Szene bekannte Personen äußerten sich zu den Vorwürfen und zeigten sich solidarisch mit den Betroffenen. Die Rapperin und Sprachwissenschaftlerin Lady Bitch Ray schrieb bei Twitter: „#deutschrapmetoo ist schon lange überfällig. Sexuelle Übergriffe, Machtmissbrauch oder kursierende Vergewaltigungsvorwürfe wurden lang genug unter den Tisch gekehrt, von Plattenlabels & Rappern durch Schweigen mitgetragen oder Opfer durch teure Anwälte strategisch mundtot gemacht.“
Die Musik-Journalistin Visa Vie wies in ihrem Statement bei Instagram auch auf die Verantwortung der gesamten Branche hin: „Die meisten Betroffenen (inklusive mir) schweigen […] auch, weil das Umfeld die Täter nicht nur schützt, sondern den (Macht)Missbrauch sogar aktiv unterstützt (junge Frauen oder Minderjährige werden nach Konzerten ausgesucht, abgefüllt, in Hotelzimmer gebracht, danach weggeschickt..)!“
Die Rapperin Shirin David kritisierte bei Instagram den Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Branche und teilte ihren über fünf Millionen Follwer:innen mit, dass sie nun Konsequenzen aus den Vorwürfen gegen Samra ziehen wird. In einem ihrer neuen Songs erwähnt sie den beschuldigten Rapper „in einem positiven Zusammenhang“. Diese Stelle möchte sie nun rausnehmen und kündigte an, dass sich dadurch die Veröffentlichung ihrer Single um eine Woche verschiebe.
Viel Hass
Das sind nur drei Beispiele von Frauen, die sich nach den Vorwürfen solidarisch zeigten und an der Debatte um Frauenfeindlichkeit und gewaltverherrlichende Strukturen teilnahmen. Die Solidarität ist groß. Doch wie immer sind es nicht die einzigen Reaktionen, die auf Vorwürfe sexualisierter Gewalt folgen. Welchen Vorwürfen und Hass Irani, aber auch David, nach der Veröffentlichung ausgesetzt sind, erklärt auch, warum in der Hiphop-Szene so lange über Missbrauch geschwiegen wurde.
Denn zehntausende Fans stellen sich in Sozialen Medien hinter Samra. Sie diskutieren Iranis Kleidung, erotische Fotos von ihr, ihren Drogenkonsum. Sie fragen, warum sie so lange geschwiegen hat und stellen infrage, warum sie keine Anzeige erstattet hat. Dabei werden Vergewaltigungen generell nur selten zur Anzeige gebracht, da sie für die Betroffenen traumatisierende Verfahren mit sich bringen und nur in den seltensten Fällen zur Verurteilung führen. All die Vorwürfe, die Samras Fans gegen Irani erheben, sind klassische Fälle von Victim Blaming. Sie versuchen der Betroffenen die Schuld zu geben und den Beschuldigten aus eben dieser zu befreien.
Zudem konnten die Betroffenen bislang nur wenig auf die Aufmerksamkeit und Recherche von Medien vertrauen. Denn Verdachtsberichterstattung ist ein journalistisch aufwendiges und schwieriges Feld – und gerade in der Rapszene tun sich viele Medien schwer damit.
Das liegt vermutlich auch daran, dass Journalist:innen der auflagenstarken Medien sich nur bedingt in der Rapszene auskennen. Zudem sind Rapper in der Vergangenheit massiv gegen kritische Berichterstattung über sie vorgegangen. Und dezidierte Rapmedien scheuen Berichterstattung über Missbrauchsvorwürfe regelmäßig. Das mag an finanziellen Ressourcen liegen, aber auch daran, dass viele meist enge Kontakte mit den Künstler:innen haben und diese nicht aufs Spiel setzen möchten.
Das kritisierte auch David in ihrer Instagram-Story. Sie warf „Hiphop-Plattformen“ vor, jetzt zu schweigen, obwohl sie sonst zu jedem „irrelevanten Thema“ einen Text veröffentlichen. Seit ihrem Statement wird David nun von einigen die Glaubwürdigkeit abgesprochen, zudem erzählt sie, dass ihr Management seit ihrem Statement „Drohnachrichten und Anrufe von einer bekannten Großfamilie“ bekomme.
Es wird also gezielt versucht, Rapperinnen, die nun laut werden, mundtot zu machen. Victim-Blaming, gezieltes Weggucken und Gaslighting: All diese Strategien sind nicht explizit der Rapszene vorbehalten, doch sie werden hier besonders begünstigt, da Frauenhass in der Szene noch immer erschreckend gut als Marketingstrategie funktioniert.
Diese verhärteten Strukturen müssen nun aufgebrochen werden. Dass Betroffene jetzt den Mut zeigen, ihre Erfahrungen teilen und Missstände aufzeigen, ist ein erster Schritt dahin. Sich mit diesen Menschen solidarisch zu zeigen und sie versuchen, vor Bedrohungen zu schützen, ist ein Muss.
Reflexhafte Zuschreibungen und Vereinfachungen wie „war ja klar, dass dieser oder jener Rapper ein Vergewaltiger ist“ oder rassistische Stereotype helfen dabei keinem – sondern machen das Problem nur größer. Stattdessen sollten nun all die Großen der Szene, und damit sind nicht nur die erfolgreichen Rapper, sondern auch die Booking-Agenturen, Managements, Labels und Veranstalter:innen gemeint, ihrer Verantwortung nachkommen. Auch wenn das erste Schweigen gebrochen ist – in dieser Ecke bleibt es bislang noch ziemlich ruhig.
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