Mangel an Lehrkräften: Quereinstieg ist keine Lösung
Der Lehr:innenmangel trifft besonders Sachsen-Anhalt. Das Land sollte sich schnellstens bemühen, für Lehrkräfte attraktiv zu werden.
Stundenpläne werden gekürzt, Klassen vergrößert, Fächer und Förderangebote gestrichen, Schüler:innen von Laien unterrichtet und ständig früher nach Hause geschickt, weil Lehrer:innen fehlen – das ist nicht der Plot für einen dystopischen Roman über den Niedergang der Bildungsrepublik Deutschland, nein, das ist die Realität in zahlreichen deutschen Schulen.
Der Lehr:innenmangel in Deutschland hat ein dramatisches Ausmaß angenommen. Nach Angaben des Deutschen Lehrerverbandes fehlen bundesweit 40.000 Lehrkräfte. Die Unterrichtsversorgung habe sich in allen Bundesländern verschlechtert, sagte Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger zu Beginn dieses Schuljahres.
Wie eine taz-Umfrage unter allen 16 Bildungsministerien zeigt, trifft der Mangel an Lehrer:innen Ostdeutschland deutlich härter als den Westen. Besonders dramatisch ist die Situation in Sachsen-Anhalt. Hier ist die Unterrichtsversorgung laut Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) so schlecht wie noch nie in der Geschichte des Bundeslandes. Wegen des Personalmangels konnte zu Beginn des Schuljahres nur 92 Prozent des Unterrichts stattfinden – in 267 Schulen lag die Unterrichtsversorgung sogar unterhalb von 90 Prozent. Für eine Versorgung von 100 Prozent fehlen rund 850 Lehrer:innen.
Wie das Bildungsministerium Sachsen-Anhalts auf Anfrage mitteilte, seien Grundschulen und Förder-Sekundarschulen besonders vom Lehrkräftemangel betroffen. In manchen Regionen könnten Grundschulen eine Öffnungszeit von fünfeinhalb Stunden nicht mehr gewährleisten. Viele Schulen im Land wären ohne Seiteneinsteiger:innen nicht mehr arbeitsfähig – diese machen laut Ministerium ein Drittel aller Neueinstellungen aus.
Vielschichtige Gründe
Die Gründe für den wachsenden Lehrkräftemangel in Deutschland sind vielschichtig. Zum einen gibt es immer mehr Schüler:innen – was daran liegt, dass die Geburtenzahlen seit Jahren steigen und zahlreiche Kinder und Jugendliche aus der Ukraine und anderen Ländern zuwandern. Die Kultusministerkonferenz (KMK) rechnet damit, dass es 2035 eine Million mehr Schüler:innen geben wird als heute.
Außerdem gehen zur Zeit mehr Lehrer:innen in den Ruhestand, als neue eingestellt werden. Das hat mit schlechten Planungen einzelner Länder und dem demografischen Wandel zu tun, der Ostdeutschland besonders hart trifft. Es hat aber auch damit zu tun, dass immer weniger Menschen Lehrer:in werden wollen. Der Beruf hat an Ansehen verloren – nicht zuletzt wegen niedriger Einstiegsschwellen für Quereinsteiger:innen. Wegen des Personalmangels darf in Sachsen-Anhalt zum Beispiel jede Bachelorabsolventin unterrichten, auch wenn sich aus ihrem Abschluss kein bestimmtes Unterrichtsfach ableiten lässt.
Kriterien erneut gesenkt
Um dem Lehrer:innenmangel entgegenzuwirken, setzen die Länder auf verschiedene Maßnahmen. Thüringen zum Beispiel wirbt um Lehrkräfte im Ruhestand. Berlin verbeamtet nach langer Zeit wieder Lehrer:innen. Brandenburg vergibt Stipendien an Lehramtsstudierende, die sich dazu verpflichten, als Landlehrer:in zu arbeiten. Sachsen-Anhalt hat angekündigt, Grundschullehrer:innen genauso bezahlen zu wollen wie die Lehrkräfte an Gymnasien, die Zahl der Studienplätze um 200 auf 1.200 erhöht und Headhunter engagiert, die im Ausland nach Lehrkräften suchen.
Zusätzlich dazu versuchen die meisten Bundesländer, Personallücken mit Quereinsteiger:innen zu füllen. Sachsen-Anhalt – wo die Situation besonders prekär ist – hat die Kriterien für Seiteneinsteiger:innen mit Bachelor gerade erneut gesenkt. Diese können jetzt nach einem Jahr entfristet werden, wenn sie sich zu einer Qualifizierung für ein Unterrichtsfach der Sekundarschule verpflichten.
Keine langfristige Lösung
Seiteneinsteiger:innen mögen Sachsen-Anhalt und viele andere Länder zwar kurzfristig vor dem Kollaps des Schulsystems bewahren. Eine langfristige Lösung sind sie aber nicht. Kinder und Jugendliche verdienen voll ausgebildete Lehrer:innen – Menschen, die neben Mathe, Englisch oder Chemie auch Pädagogik studiert haben. Es hat schon seinen Grund, dass Lehrer:innen fünf Jahre studieren und danach ein Referendariat machen müssen, ehe sie unterrichten dürfen.
Ein hoher Anteil an Seiteneinsteiger:innen verschlechtert aber nicht nur die Bildungschancen von Millionen von Schüler:innen, sondern auch das Image des Lehrberufs – was wiederum das Kernproblem befeuert und dazu führt, dass weniger Menschen Lehrer:in werden wollen. Warum sollte ich mich nach dem Studium durch ein stressiges Referendariat quälen, wenn gefühlt jede:r Mensch mit Hochschulabschluss eine Klasse unterrichten darf?
Imagekampagne nötig
Um das Problem Lehrer:innenmangel langfristig in den Griff zu kriegen, sollte Sachsen-Anhalt eine massive Imagekampagne für den Beruf starten. Denn erst dann, wenn sich wieder mehr Menschen für den Lehrerberuf interessieren, sind Maßnahmen wie die Erhöhung von Studienplätzen wirksam.
Darüber hinaus muss das Land alles dafür tun, um seine Lehramtsstudierenden nach dem Abschluss in Sachsen-Anhalt zu halten: Es muss zum einen die ländlichen Regionen attraktiver machen, etwa durch schnelle Zugverbindungen nach Halle und Magdeburg. Zum anderen muss Sachsen-Anhalt die Arbeitsbedingungen vor Ort an die Bedürfnisse angehender Lehrer:innen anpassen. Diese haben keine Lust, in einem maroden Gebäude ohne Wlan zu unterrichten und sich mit Verwaltungskram herumzuschlagen. Sie wollen ihre Zeit voll und ganz den Schüler:innen widmen, AGs gründen, neue Lernformen ausprobieren und den Unterricht frei gestalten. Würde Sachsen-Anhalt besonders viel Flexibilität bei der Unterrichtsplanung und -durchführung ermöglichen, würden vielleicht weniger Lehrer:innen in andere Bundesländer abwandern.
Wichtig ist vor allem, dass Sachsen-Anhalt schnell handelt. Es ist das Land mit der bundesweit ältesten Bevölkerung, zwei Drittel aller Lehrer:innen sind älter als 50 Jahre. Das Bildungsministerium muss also alles geben, um die Zahl der ausgebildeten Lehrer:innen zu erhöhen. Das ist es mindestens den rund 200.700 Schüler:innen im Land schuldig.
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