Mangel an Leh­re­r*in­nen in Berlin: Hürdenlauf in den Schuldienst

Berlin wirbt auf dem „Berlin-Tag“ um Quer- oder Sei­ten­ein­stei­ge­r*in­nen im Bildungsbereich. Doch die Anforderungen sind hoch, der Weg lang.

ein leeres Klassenzimmer

Willkommen in der Bruchbude: Viele Schulen in Berlin sind baufällig und wenig attraktiv Foto: Wolfgang Borrs

BERLIN taz | Langsam sei sie wirklich demotiviert, sagt Khuloud Asfour. Die 46-Jährige würde am liebsten sofort als Grundschullehrerin anfangen. Aus Überzeugung: Sie liebe diesen Beruf, sagt sie, habe auch schon Erfahrung, denn sie arbeite seit einem Jahr als Lehrassistentin bei der Bildungsinitiative Teach First.

Um zu planen, wie es für sie an der Schule weitergehen könnte, ist Asfour am Samstag zum „Berlin-Tag“ der Senatsverwaltung für Bildung in die Veranstaltungshalle Station am Gleisdreieck gekommen. Auf dieser zweimal jährlich stattfindenden Fachmesse versucht das Land seit 2014, Lehrer*innen, Er­zie­he­r*in­nen und Mit­ar­bei­te­r*in­nen für Verwaltung und Jugendämter zu gewinnen. Schulen, Kitas, Bildungsträger und Fortbildungsprogramme stellen sich dort vor. Der Bedarf an Leh­re­r*in­nen ist in diesem Jahr besonders hoch.

Um vollwertige Grundschullehrerin zu werden, fehlt Asfour allerdings noch ein Baustein: der Masterabschluss. Sie könnte ihn über ein komprimiertes Studium nachholen, doch das sei für sie eine große Hürde. „Ich müsste nach einem Vorbereitungsjahr noch zwei Jahre studieren, dann käme das Referendariat mit 1,5 Jahren. Und nebenbei müsste ich arbeiten, um das zu finanzieren und um versichert zu bleiben“, sagt sie. „Ich habe 15 Jahre Berufserfahrung und 20 Weiterbildungen, unter anderem in Gewaltprävention, Mediation und Projektmanagment, spreche fließend Englisch, Deutsch und Arabisch. Ich kann in diesem Beruf arbeiten.“

Ihre derzeitige Schule würde sie liebend gern sofort einstellen, sagt sie. Doch das ginge nur als Lehrerin ohne Lehrbefähigung – mit halb so viel Gehalt wie eine vollwertige Lehrerin. „Es ist traurig“, wiederholt sie mehrmals. „Warum der Master? Warum werden meine anderen Qualifikationen nicht berücksichtigt? Warum gibt es für Leute wie mich keine berufsbegleitende pädagogische Ausbildung? Wenn sie uns angeblich so händeringend brauchen, dann sollten sie uns auch etwas anbieten.“

Denn insbesondere Grundschulen suchen dringend nach neuen Kolleg*innen. Berlin erlebt in diesem Schuljahr einen neuen Höchststand des Personalmangels in den Schulen. 875 Vollzeitstellen konnten zu Beginn des Schuljahrs im August nicht besetzt werden. Rein rechnerisch fehlt damit eine Vollzeitlehrkraft pro Schule. In der Realität ist der Mangel weitaus unfairer verteilt: Während Gymnasien, gerade in besseren Wohnlagen, nach wie vor wenig merken vom Fachkräftemangel, haben es Grundschulen und Sekundarschulen in Brennpunkten extrem schwer, auch nur genügend Quer­ein­stei­ge­r*in­nen zu bekommen – von regulär ausgebildeten Lehr­amts­ab­sol­ven­t*in­nen ganz zu schweigen.

Rein rechnerisch fehlt in diesem Herbst eine Vollzeit-Lehrkraft pro Schule

Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) musste sich deshalb entscheiden, an welcher Stelle sie den Schulen Sparvorgaben machen will. Künftig ist in den Schulen nur noch der fachliche Unterricht gesichert – alles andere wie Förder- oder Projektunterricht, aber auch Inklusion können gestrichen werden, oder die Schulen können Nichtfachkräfte dafür einstellen. Busses Entscheidung wurde scharf kritisiert: Man spare auf dem Rücken der Schwächsten, hieß es von der Bildungsgewerkschaft GEW.

Interesse ist groß

Immerhin, das Interesse der Be­wer­be­r*in­nen scheint groß: In der Senatsverwaltung für Bildung freut man sich über einen Fast-Be­su­che­r*in­nen­re­kord beim Berlin-Tag. 4.600 Menschen hätten sich dort informiert, teilte Sprecher Martin Klesmann am Sonntag mit. Nur im Frühjahr 2019 waren es mit rund 5.000 mehr, in anderen Jahren kamen um die 3.000. „Wir haben erstmals auch ausdrücklich Schü­le­r*in­nen angesprochen“, sagt er. Diesmal habe außerdem ein Schwerpunkt auf Informationen für Leh­re­r*in­nen mit ausländischen Abschlüssen gelegen.

Doch Asfour ist nicht die Einzige aus dieser Zielgruppe, die die Infostände für Weiterbildung und Quereinstieg frustriert verlässt. Bei Muazzez Bağcı ist es das fehlende C2-Deutschzertifikat – das entspricht Sprachkenntnissen auf Muttersprache-Niveau. Die 38-Jährige hat C1 abgeschlossen, eine Stufe darunter. Sie hat bereits in der Türkei als Lehrerin gearbeitet, doch das wird nicht als gleichwertig mit einer Lehrerausbildung in Deutschland anerkannt. „Seit fünf Jahren versuche ich, meine Abschlüsse anerkennen zu lassen und einen Weg in die Schule zu finden“, sagt sie. „Ich habe mehrmals meine Hoffnung verloren.“

Sie plant, erst mal als Erzieherin zu arbeiten, weiter Deutsch zu lernen und dann vielleicht noch den Master zu machen. „Ich habe Potenzial, aber wegen des Sprachniveaus kann ich es nicht zeigen“, sagt sie.

Seiteneinstieg Diese Möglichkeit richtet sich an Interessent*innen, die weder Lehramt studiert noch ein Referendariat abgeschlossen haben. Es sind keine strukturierten berufsbegleitenden Qualifizierungsangebote vorgesehen, die irgendwann zur vollen Anerkennung als Lehrer*in führen würden. Die GEW kritisiert dies als prekäre Beschäftigungsform.

Quereinstieg Auch dieses Angebot richtet sich an Interessierte ohne Lehramtsstudium. Quereinsteiger*innen müssen teilweise mehrere Fächer nachstudieren und danach noch ein berufsbegleitendes Referendariat ablegen. Sie sind danach vollwertig ausgebildete Lehrer*innen. (usch)

Abschlüsse werden nicht anerkannt

Ein weiterer Besucher wartet seit zwei Jahren auf die Anerkennung seines Abschlusses: Er kommt aus Turkmenistan, hat dort als Chemielehrer gearbeitet und war stellvertretender Schulleiter. Nun will er in Berlin Mathe und Chemie unterrichten. Doch bisher bekomme er nur die Antwort, er möge sich gedulden, es sei nicht klar, welche Abschlüsse er in Turkmenistan erworben habe. „Normalerweise dauert so eine Prüfung der Zeugnisse drei oder vier Monate“, sagt er. „Ich spreche Türkisch und auch Russisch, ich könnte längst Kinder aus der Ukraine unterrichten. Langsam verliere ich meine Motivation.“

Selbst in den Fällen, in denen weder Sprachkenntnisse noch ausländische Abschlüsse das Problem sind, scheinen die Hürden für den Einstieg in die Schule hoch. Ivonne Dertinger arbeitet bereits seit Jahren als Dozentin für Deutsch als Fremdsprache. Um über den Quereinstieg an einer Grundschule anzufangen, müsste sie berufsbegleitend noch zwei Fächer studieren und danach das Referendariat machen. „Ich lerne gern, und ich weiß, wie man Unterricht gestaltet“, sagt sie. „Aber das ist mehr als eine Vollzeitstelle. Mit Kind ist das für mich nicht zu stemmen.“

Der Sprecher der Bildungsverwaltung betont: „Wir versuchen immer wieder, Brücken zu bauen.“ Allerdings müssten bestimmte Kriterien erfüllt sein, das seien auch Vorgaben auf Bundesebene. Vorstöße gebe es, aber ob in Zukunft etwa auch ein Bachelor-Abschluss für die Grundschule ausreichen könnte, sei unklar.

Klar ist hingegen: Die Schulen macht der Personalmangel nicht attraktiver. Wer sich als junge Leh­re­r*in mit Projektunterricht und Angeboten außerhalb des normalen Unterrichts einbringen will, der findet in Berlin nicht gerade Traumbedingungen vor. Im Zweifel geht die Mathestunde eben vor, und wenn die Kollegin aus der Parallelklasse krank ist, unterrichtet man ihre Mathestunde gleich mit.

Zumindest einen bisherigen Nachteil hat Berlin ausgeglichen: Neueinstellungen werden seit diesem Schuljahr wieder verbeamtet. Ein Vorteil ist das allerdings auch nicht, weil alle anderen Bundesländer verbeamten.

Problematisch sind oft auch die Schulgebäude. Zwar läuft seit 2017 das auf zehn Jahre angelegte Rieseninvestitionsvorhaben namens Schulbauoffensive, durch das Milliarden Euro in die Sanierung und den Neubau von Schulgebäuden gesteckt werden. Doch immer wieder bleiben dringende Investitionsmaßnahmen auf der Strecke – weil die Absprache zwischen Land und Bezirken hakt oder weil doch nicht so viel Geld in der Kasse übrig ist. Es gibt jedenfalls Schulen in Berlin, bei denen neue Kol­le­g*in­nen den Eingang nicht finden, weil sie das Gebäude für eine Abrissbaustelle halten.

Doch die Rahmenbedingungen an den Schulen schrecken In­ter­es­sen­t*in­nen anscheinend nicht ab. „Wir haben in diesem Jahr auffällig viele Erzieher*innen, die fragen, wie sie Leh­re­r*in­nen werden könnten“, sagt Julia Warzitz, die am Stand der Humboldt-Universität über Wege in den Lehrberuf informiert. „Sie sagen, sie lieben ihren Job, wünschen sich aber bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen.“

Auch andere Be­su­che­r*in­nen beim Berlin-Tag zucken bei der Frage nach den Zuständen an Berliner Schulen nur die Schultern. „Ich habe in der Pandemie gesehen, wie Kinder zurückbleiben, und möchte einen Beitrag leisten“, sagt Khuloud Asfour. „Auch in der Türkei haben wir das Bildungssystem kritisiert“, erklärt Muazzez Bağcı. „Aber die Arbeit mit Kindern mache ich aus Leidenschaft.“

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