Flucht aus der Ukraine: Schulpflicht gilt für alle Kinder

In Hamburg beginnt nach den Ferien auch die Schule für tausende Geflüchtete. Behörde sucht Lehrer für 300 Klassen. Kitas nehmen mehr Kinder auf.

Zwei Kinder malen mit bunten Stiften

Bildermalen mit Buntstift: Ehrenamtler von Kids-Welcome bieten Kinderprogramm in den Messehallen Foto: Simone Will/Kids Welcome

HAMBURG taz | Wenn am Montag in Hamburg die Märzferien zuende gehen, steht Hamburg vor der großen Aufgabe, die Schulkinder aus der Ukraine zu integrieren. Die Schulbehörde geht davon aus, dass etwa ein Viertel der rund 15.000 bisher in Hamburg Schutzsuchenden im schulpflichtigen Alter sind – sprich: Es geht um 3.000 bis 4.000 Kinder und Jugendliche.

„Wir wollen gut vorbereitet sein und wenigstens so viele Flüchtlingskinder in den Schulen aufnehmen können, wie 2015/2016“, sagt Behördensprecherin Luisa Wellhausen. Damals gab es in Hamburg 525 „Internationale Vorbereitungsklassen“ (IVK) und „Basisklassen“ für geflüchtete Kinder. Aktuell hatte die Stadt zuletzt 225 solcher Klassen. Nötig sind also 300 neue Klassen.

Darum würden seit zwei Wochen mit Hochdruck zusätzliche Lehrkräfte akquiriert. Auch unter Pensionären gebe es „eine Welle der Hilfsbereitschaft“, sagte Wellhausen. In der Schulbehörde wurde gar ein eigener „Krisenstab“ eingerichtet.

Die ukrainische Generalkonsulin Iryna Tybinka hatte unlängst vor der Kultusministerkonferenz „Kontinuität beim Bildungsprozess“ ukrainischer Kinder in Deutschland angemahnt. Sie fürchte eine verlorene Generation. Es sei wichtig, dass die Kinder weiter ihre Sprache, Geschichte und Kultur lernen könnten. „Der heutige Krieg ist gerade von Putin und Russland begonnen worden, um die Ukraine als Nation auszulöschen“.

Die Hamburger CDU hatte in einem Maßnahmekatalog gefordert, Hamburg müsse Angebote in enger Abstimmung mit dem Generalkonsulat organisieren. Es sei richtig, die ukrainischen Kinder in IVKs unterzubringen. Doch ergänzend müssten „Möglichkeiten des gemeinsamen Lernens innerhalb der eigenen Community geschaffen werden“. Neben der Stärkung der Muttersprache sei auch der Aspekt des „Miteinanders in der vertrauten Sprache wichtig“.

Auf Fluchterfahrungen vorbereitet

Zur CDU-Forderung befragt, erklärt die Schulbehörde, es gebe für die verschiedenen Communities „eigene Angebote“, und zwar im Rahmen des Sprachförderkonzeptes und des Herkunftssprachenunterrichtes.

Außerdem seien Hamburgs Schulen auf die Betreuung von Kindern mit Fluchterfahrung vorbereitet, denn die Stadtteilschulen und die Berufsschulen verfügten über einen sozialpädagogischen Beratungsdienst und alle Schulen über „mindestens eine Beratungslehrkraft“. Darüber hinaus würden aktuell Unterrichtsmaterialen erstellt sowie Informationsschreiben für Eltern, diese teils auch in ukrainischer Sprache und kyrillischer Schrift.

Für den Unterricht der geflüchteten Schüler in ihrer Herkunftssprache, würden derzeit urkrainische Lehrer gesucht. Der Krisentab habe zudem den „Ukrainischen Hilfsstab“ als Vertretung der Community gebeten, darauf hinzuwirken, dass sich ukrainische Deutschlehrer, die in Hamburg registriert werden, direkt bei der Behörde melden. Details zum Einstellungsverfahren würden „zurzeit noch geklärt“. Bisher habe man etwa ein Dutzend ukrainische Lehrer gefunden.

Die Schulfrage ist wichtig. In der Flüchtlingskrise vor sieben Jahren gab es Kritik, weil Kinder teils monatelang in Unterkünften lebten, ohne eine Schule von innen zu sehen. Die Stadt bringt auch diesmal wieder Menschen in den Messehallen unter – die Platzzahl wurde dort erst am Freitag auf 2.000 aufgestockt. Die Innenbehörde beteuert, es handle sich nur um eine „Zwischenunterbringung“ der Menschen bis zur Registrierung und anschließenden Zuweisung auf andere Unterkünfte. Die Stimmung dort soll laut der Hilfsgruppe „Kids Welcome“, die dort vormittags ein Kinderprogramm anbietet, ganz gut sein. Allerdings ist der taz eine Familien bekannt, die seit zehn Tagen dort lebt.

Die Frage, ob in Hamburg für die ukrainischen Kinder ab Ankunft die Schulpflicht gilt, bejaht die Behörde. „Mit der Registrierung in der zentalen Erstaufnahme erhält die Schulbehörde über das Melderegister die Daten der Schulpflichtigen“, sagt Luisa Wellhausen. Die Eltern könnten ihre Kinder aber auch direkt bei der Schule anmelden oder im „Schulinformationszentrum“ in der Hamburger Straße.

Unterschiedliche Verfahren je nach Alter

Das Verfahren ist aber je nach Alter unterschiedlich. Bei Kindern der ersten und zweiten Klassen geht man davon aus, dass sie so schnell Deutsch lernen und gleich die normalen Schulen besuchen können. Kinder ab Jahrgangsstufe 3 – also im Alter von acht bis 15 Jahren – werden in den Vorbereitungsklassen unterrichtet, um Deutsch zu lernen und anschließend in eine Regelklasse überzugehen. Der Übergang soll fließend sein, berichtet die Sprecherin. Es gebe auch in den 3. und 4. Klassen Kinder, die schon Deutsch sprechen und mit Förderung in die Regelklassen übergehen können. Jugendliche ab 16 Jahren sollen in einer Ausbildungsvorbereitungsklasse für Migranten beschult werden, wo sie den ersten oder mittleren Schulabschluss machen können.

Sven Quiring, der Hamburger Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), lobte die Behörde dafür, dass sie bereits Informationen in ukrainischer Sprache zum Schulbesuch veröffentlichte. Wichtig sei, eine gleichmäßige Verteilung der Kinder und Jugendlichen auf alle Stadtteile und „auch auf die Gymnasien“ sicherzustellen. Auch würden unbedingt zusätzliche Sozialarbeiter, Psychogen und Sprachlehrer gebraucht. Und um tatsächlich mehr Muttersprachler an die Schulen zu bringen, solle Hamburg die Anerkennung ausländischer Lehramts-Abschlüsse erleichtern. Auch die Linke unterstützte diese Forderungen.

Auch für kleinere Kinder im Kita-Alter gibt es ein Angebot. Eltern können einen Kita-Gutschein erhalten, der ihnen mindestens zu einem Fünf-Stunden-Platz verhilft. Der Paritätische Wohlfahrtsverband richtete ein Online-Portal ein, auf dem sich über 60 Kitas anmeldeten, die kurzfristig aus der Ukraine geflüchtete Kinder aufnehmen können. „Der Besuch einer Kita hilft den Kindern, ein Stück Normalität und unbeschwerte Kindheit zu erleben“, sagte Verbandsreferentin Trixi Wildenauer-Schubert. Sie böte außerdem den Eltern Gelegenheit, zur Ruhe zu kommen, Behördengänge zu erledigen und einen „ersten kleinen Schritt einer neuen Zukunft zu gestalten“.

Auch bei den Kitas gab es 2015 eine ungleichmäßige Verteilung, weil nur wenige Einrichtungen in bestimmten Stadtteilen viele aufnahmen. Die Sozialbehörde erlaubte nun allen Kita-Trägern in einem Rundbrief, eine „temporäre Überlegung“ von ein bis zwei Kindern pro Gruppe, sofern die „räumlichen Voraussetzungen“ gegeben und die „Aufsichtspflicht“ gewährleistet sei. Der dazu befragte GEW-Kita-Experte Jens Kastner sieht das aus Arbeitnehmerperspektive auch kritisch. „Selbstverstänlich wollen wir helfen. Aber die Bedingungen müssen stimmen“. Die Personaldecke in den Kitas sei „ohnehin dünn“.

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