Linkenchefin über Berliner Wahlkampf: „Giffey ist eine Populistin“
Nicht kirre machen lassen von Umfragen, rät Katina Schubert. Ein Gespräch über Mietenpolitik, die Klinikbewegung und Rot-Rot-Grün im Land und Bund.
taz: Frau Schubert, in dieser Legislatur gehörte die Linke lange zu den Mitfavoriten auf den Wahlsieg am 26. September. Nun ist sie in Umfragen abgestürzt. Was ist passiert?
Katina Schubert: Die Verknüpfung von Bundestagswahl und Abgeordnetenhauswahl ist für uns eine besondere Herausforderung. Das merke ich beim Wahlkampf auf der Straße: Ich muss immer wieder den Bürgerinnen und Bürgern erklären, dass sie tatsächlich mehrere Stimmen haben; dass sie sowohl über den Bundestag abstimmen – der gefühlt die mediale Berichterstattung dominiert –, aber auch das Abgeordnetenhaus wählen. Und die Bezirke. Und dass es noch den Volksentscheid gibt.
Und was ist die konkrete Herausforderung?
Im Bund sind wir immer sehr auf die Rolle als Oppositionspartei festgelegt gewesen – auch wenn sich das möglicherweise gerade ändert. Hier in Berlin hingegen gehören wir klar zu den gestaltenden Parteien, also zu den Regierungsparteien. Es ist schwierig, diese unterschiedlichen Rollen klar zu machen.
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Gleichzeitig ist die politische Lage in Berlin günstig wie nie für die Linke: Es gibt den Enteignungs-Volksentscheid, an Charité und Vivantes wird wohl ab diesen Donnerstag gestreikt. Warum profitiert Ihre Partei davon nicht?
Noch sind die Wahlen nicht vorbei. Und wir lassen uns von den Umfragen nicht kirre machen. Wir haben in der Regierung eine Menge Veränderungen angestoßen. Wir haben die fünf Jahre Stillstand unter Rot-Schwarz überwunden, die Weichen gestellt für die Investitionsoffensive und den Ausbau öffentlicher Infrastruktur. Und auch beim Wohnungsneubau! Es wird immer behauptet, die Linke wolle nicht bauen. Dabei hat es unter Katrin Lompscher und Sebastian Scheel…
… den beiden linken Senator*innen für Stadtentwicklung seit 2016 …
… so viel Neubau gegeben wie in den ganzen zehn Jahren vorher nicht. Ich bin mir relativ sicher, dass es uns in den nächsten zweieinhalb Wochen gelingt, das Ruder herumzureißen. Zumal die Zahl der Unentschlossenen immer noch groß ist und die SPD im Moment auf der Bundeswelle schwimmt. Aber auch da dürfte der Peak erreicht sein. Jetzt wird noch mal geschaut, was die Parteien tatsächlich anzubieten haben – im Kiez, im Bezirk und auf Landesebene.
Katina Schubert
59, ist seit 2016 Landesvorsitzende der Berliner Linkspartei. Im Berliner Abgeordnetenhaus ist sie Sprecherin ihrer Fraktion für Arbeit und Flüchtlingspolitik. Im Februar 2021 wurde sie zudem zur stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Linken gewählt
An diesem Samstag findet die große Mietendemonstration statt. Die Linke ist die einzige Partei, die den Volksentscheid voll unterstützt. Was erhoffen Sie sich von dem Protest?
Ich hoffe, dass die Demonstration ein eindrucksvolles Signal für eine andere Mietenpolitik im Bund sendet, dass wir wirksame Maßnahmen finden müssen, um die Mieten zu regulieren. Ich erhoffe mir natürlich auch weiteren Rückenwind für den Volksentscheid Deutsche Wohnen und Co. enteignen. Und ich erhoffe mir mehr Aufklärung darüber, dass Mietenregulierung und auch die Vergesellschaftung von Wohnungsbeständen nicht mehr ständig gegen den Neubau von Wohnungen ausgespielt wird.
Was meinen Sie genau?
Natürlich stimmt es, dass dieser Volksentscheid keine einzige neue Wohnung bringt. Aber er würde massenhaft bezahlbaren Wohnraum sichern und kann dafür sorgen, dass der Mietmarkt in Berlin wesentlich stabiler wird. Auch der Vonovia-Deal der SPD …
… also der vom Regierenden Bürgermeister und dem Finanzsenator eingefädelte Kauf von bis zu 20.000 Wohnungen von dem Wohnungskonzern Vonovia …
… bringt keine einzige neue Wohnung. Der Kauf würde aber den Bestand an öffentlichen Wohnungen deutlich erhöhen und damit den Einfluss auf den Mietenmarkt – wenn man es geschickt nutzt.
Die SPD setzt auf den Slogan „Bauen, Bauen, Bauen“. Verfängt dieser populistische Anspruch mehr als die geforderte Vergesellschaftung?
Wenn man sich die letzte Umfrage anschaut, befürwortet eine Mehrheit die Vergesellschaftung. Die Menschen in Berlin haben die Erfahrung gemacht, dass zwar in der ganzen Stadt an jeder Ecke gebaut wird, aber die Zahl der bezahlbaren Wohnungen nicht in dem Maße steigt, wie sie gebraucht werden. Etwa, weil extrem teuer gebaut wird. Wir brauchen keine neuen Townhouses und keine neuen Lofts, sondern vor allem bezahlbaren Wohnraum. Und wir brauchen eine Sicherung des öffentlichen Grunds und Bodens und eine kluge Bewirtschaftung. Grund und Boden sind nun mal nicht vermehrbar; und er ist ein entscheidender Kostenfaktor. Das gilt übrigens auch für den Gewerbebereich.
Auch dort spitzt sich die Lage zu, wie zuletzt etwa der Fall der Buchhandlung Kisch und Co gezeigt hat.
Deshalb haben wir als Linke über unsere Bundestagsfraktion wie auch im Berliner Senat auf der Bundesratsebene immer wieder Vorstöße unternommen, um auch diesen Markt zu regulieren. Die Mietpreis-Explosion im Gewerbebereich führt dazu, dass das kleine Handwerk und die kleinen Läden verdrängt werden. Auch die soziokulturelle Infrastruktur in den Kiezen ist unter massivem Druck: Kitas, psychosoziale Beratungsstellen und andere Einrichtungen können ihre Mieten nicht mehr bezahlen und werden entweder an den Stadtrand verdrängt oder müssen ganz zumachen. Das kann keine vernünftige Stadtentwicklung sein. Und das kann auch nicht im Interesse einer gesunden Wirtschaftsentwicklung sein. Niemand will doch, dass alle Innenstädte gleich aussehen und man überall nur noch die Ketten hat. Bei so einem Thema ist es wiederum von Vorteil, wenn Bundestags- und Landtagswahlen gleichzeitig stattfinden: Wir kämpfen dafür, dass der Einfluss der Linken auch auf Bundesebene so stark wächst, dass wir rasch eine Regulierung des Gewerbemarktes bekommen.
Am Dienstag hat der Senat die Bundesratsinitiative für einen Mietendeckel beschlossen. Ist das mehr als ein symbolischer Akt?
Es geht darum, deutlich zu machen, dass der Bund jetzt gefordert ist. Das Bundesverfassungsgericht hat ja nicht geurteilt, dass man keinen Mietendeckel machen darf. Es hat nur gesagt: Das Land Berlin darf keinen Mietendeckel machen. Insofern spielen wir jetzt den Ball zum Bund und er muss ihn aufgreifen. Dazu braucht es natürlich die entsprechenden Mehrheiten.
Im Tarifkonflikt bei Vivantes und Charité droht ein langer Arbeitskampf. Als Klaus Lederer, ihr Spitzenkandidat, vor den Streikenden gesprochen hat, hat er viel Applaus bekommen. Trotzdem richtet sich dieser Streik ja auch gegen die Landesregierung als Ganzes. Wie gehen Sie damit um?
Zunächst mal richtet sich der Streik nicht gegen die Landesregierung, sondern gegen die Geschäftsleitung der jeweiligen Krankenhauskonzerne. Es gibt ja eine Tarifautonomie; die Tarifpartner sind die Gewerkschaften und die jeweiligen Krankenhäuser. Richtig ist aber: Deren Eigentümer ist das Land Berlin. Wenn jetzt in den Tarifverhandlungen vernünftige Abschlüsse erzielt werden, müssen wir als Land dafür sorgen, dass die Krankenhäuser das auch stemmen können. Das ist die Herausforderung. Aber das müssen wir hinkriegen, weil wir vernünftige Arbeitsbedingungen in den landeseigenen Krankenhäusern brauchen. Grundsätzlich muss sich aber auch auf der Bundesebene die Logik ändern, dass Krankenhäuser dazu da sind, Gewinne abzuwerfen. Ihre Aufgabe ist es, kranke Menschen gut zu versorgen. Und das kostet Geld.
Aber wäre es trotz Tarifautonomie nicht möglich gewesen, diesen Streik noch zu verhindern? Das 100-Tage-Ultimatum der Gewerkschaft war bekannt. Trotzdem hat man das Gefühl, dass sich Rot-Rot-Grün nicht wirklich um die Situation bei den beiden landeseigenen Klinikkonzernen kümmert – und das nach 18 Monaten Coronapandemie!
Das müssen Sie die zuständigen Senatorinnen und Senatoren fragen. Die Gesundheitssenatorin sitzt im Aufsichtsrat von Vivantes, der Wissenschaftssenator im Aufsichtsrat der Charité, der Finanzsenator ist Aufsichtsratschef von Vivantes. Alle drei sind Mitglieder der SPD. Es hätte meiner Meinung nach schon viel früher Möglichkeiten gegeben zu handeln; die linken Senatoren haben das mehrfach im Senat zur Sprache gebracht. Wir haben aber koalitionintern jetzt die Vereinbarung, dass wir die Krankenhäuser nicht im Regen stehen lassen.
Wie ist denn die Stimmung in der Koalition? Die Bundesratsinitiative hat ja gezeigt, dass man noch gemeinsam agiert. Und auch nach dem 26. September könnte die Regierung noch einige Monate im Amt sein, bis die Koalitionsverhandlungen abgeschlossen sind.
Ich gehe davon aus, dass der Senat weiter handlungsfähig ist. Laut den Meldungen, die ich von dort bekommen habe, wird da immer noch sehr eifrig, intensiv und ernsthaft diskutiert. Wir haben auch nach wie vor eine Pandemie zu bewältigen. Etwas anderes ist die Situation zwischen den Fraktionen und vor allen Dingen zwischen den Parteien. Die Spitzenkandidatin der SPD tritt im Wahlkampf so auf, als hätte sie mit dem aktuellen Senat nichts zu tun und stünde für einen völligen Neuanfang. Das ist eine etwas schwierige Gemengelage, gerade, wenn man sich direkt mit ihr auseinanderzusetzen hat. Da reklamiert sie alles Schöne und Gute für sich und ihre Partei, während alles, was schwierig ist, das Problem der anderen ist.
Der Spitzenkandidat der Linken ist als einziger der Spitzenkandidat*innen in Regierungsverantwortung eingebunden. Sehen Sie das als Hindernis, weil er eben nicht mal offen die Koalition kritisieren kann?
Nein. Wir machen ernsthafte Regierungspolitik und haben mit Klaus Lederer einen Kultursenator, der ernsthaft Regierender Bürgermeister werden will und diesen Job auch ausfüllen könnte. Bei ihm weiß man das; bei den anderen würde ich viele Fragezeichen dahinter setzen. Insofern sind die anderen natürlich populistisch und können auch auf die Koalition draufhauen. Aber ob so das Zutrauen in sie wächst, werden wir noch sehen.
Taugt denn der Bereich Kultur, um die Menschen von der Wahl Ihrer Partei zu überzeugen?
Wir haben in den Coronahochphasen immer wieder Erhebungen durchführen lassen. Eine der erstaunlichsten Erkenntnisse war, dass den Leuten erst in der Pandemie aufgefallen ist, wie sehr ihnen die Kultur fehlt – wenn sie also plötzlich nicht mehr da ist. Auch jenen, die wenig Geld haben. Und es ist ja nun eines der Markenzeichen von Klaus Lederer, dass er nicht nur Anwalt der Hochkultur ist, sondern sich gerade auch für die kleinen Einrichtungen, etwa in den Bezirken, einsetzt. Und deswegen glaube ich, dass sich das auszahlt und dass er dafür auch eine unglaublich hohe Reputation hat.
Trotzdem liegt er weit hinter der SPD mit ihrer Spitzenkandidatin Franziska Giffey. Hat die Linke Giffey unterschätzt?
Ich kannte sie ja schon, als sie Bürgermeisterin in Neukölln war. Ich wusste, dass sie sich ein sehr bodenständiges Image gegeben hat und irgendwie nett zu allen ist. Dass sie so unverhohlen rechts blinkt, das hätte ich nicht erwartet. Sie ist eine unglaubliche Populistin. Aber sie hat ja auch noch eine Partei im Hintergrund, die Rot-Rot-Grün wollte und will. Und wenn ich mir das Programm der SPD angucke, dann weiß ich nicht, wie sie ihre Inhalte durchsetzen will. Ich gehe deshalb davon aus, dass, wenn die Wahlen vorbei sind und es um die Frage geht, mit wem man gemeinsam am meisten erreichen kann für die Stadt, noch mal neu gewürfelt wird.
Sie hoffen auf eine Fortsetzung von Rot-Rot-Grün?
Sagen wir mal so: Als Linke haben wir den Vorteil, wir können regieren; wir können aber auch opponieren. Für uns ist das keine Frage von Statusverlust. Wir wollen regieren, weil wir noch viel vor haben mit dieser Stadt. Und weil wir glauben, dass Rot-Schwarz oder gar noch mit der FDP zusammen einen schrecklichen Rückfall bedeuten würde. Mit der CDU wird man weder Klimaschutz noch eine Verkehrswende noch Mieterschutz bekommen. Das wird nicht stattfinden. Die CDU ist die Inkarnation der Immobilienlobby.
Gilt diese Präferenz für Rot-Rot-Grün auch für den Bund?
Auf jeden Fall. Unsere beiden Spitzenkandidatinnen haben ja diese Woche ein Sofortprogramm vorgestellt, wozu wir sofort bereit sind, was wir unmittelbar machen können mit einer rot-rot-grünen Koalition. Das gäbe es nicht, wenn wir nicht bereit wären, in die Verantwortung zu gehen und entsprechend Kompromisse auszuhandeln, um einen tragfähigen Koalitionsvertrag zu erarbeiten.
Sie sind optimistisch, dass der 26. September noch viel Progressives hervorbringen wird.
Die Menschen müssen wissen, wofür sie sich entscheiden. Wer die Linke wählt, weiß, dass er oder sie damit ein Ticket für eine linke Reformpolitik zieht. Wer die anderen Parteien wählt, weiß nicht, was am Ende dabei rauskommt.
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