Linke zu AfD-Verbot: Mutige Minderheitenmeinung
Die Mehrheit im Land will ein AfD-Verbot – vieles spricht dafür. Aber bei aller Abscheu gibt es auch linke Argumente dagegen. Das zeigt ein taz talk.

„Wir dürfen nicht weiter wie ein Kaninchen auf die Schlange AfD starren“, warnt Rechtsanwältin Angela Furmaniak aus dem Vorstand des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV) – sie sieht den Bundestag in der Pflicht, ein Verbotsverfahren zu beantragen. „Die 10 Millionen Wähler*innen verschwinden mit einem Verbot nicht einfach, vielleicht werden sie sogar noch wütender“, fürchtet indes taz-Titelseiten-Redakteur Lukas Wallraff.
Kontroverser hätte die Diskussion am Mittwochabend in der taz Kantine nicht laufen können (hier auf YouTube zum Nachhören). Die Gemeinsamkeit der Gäste: Alle vier sind sich der Gefahr durch die extreme Rechte bewusst und sehen sich selbst als Antifaschist*innen.
Ricarda Lang macht Geständnis
Ricarda Lang beginnt den Abend mit einem Geständnis: „Ehrlicherweise hat bei mir eine Bewegung stattgefunden.“ Anfangs sei sie selbst „skeptisch“ gewesen, doch inzwischen sei sie „überzeugt, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes den Artikel zum Parteienverbot aus gutem Grund da reingeschrieben haben: weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass Parteien mit demokratischen Mitteln an die Macht kommen können, um, sobald sie an der Macht sind, die Demokratie abzuschaffen.“
Angela Furmaniak
Lang hatte im November mit einer Gruppe von Abgeordneten rund um Marco Wanderwitz (CDU) einen Antrag für ein Verbotsverfahren im Bundestag eingebracht. Der scheiterte. Doch nicht nur die Grünen-Politikerin hat sich bewegt, auch in der SPD ändern derzeit einige ihre Meinung.
So sprach sich zuletzt mit Nordrhein-Westfalen der größte Landesverband für ein Verbot aus. Und Parteichef Lars Klingbeil, der vor einigen Monaten noch „zu wenig Belege“ für ein Verbot sah, sagte jetzt, das Thema dürfe „nicht vom Tisch genommen“ werden. Die hohen Tiere der Union wie Merz, Frei und Dobrindt sind allerdings weiterhin dagegen – selbst nachdem der Bundesverfassungsschutz (BfV) die AfD Anfang Mai als „rechtsextrem“ eingestuft hat. Fast alles aus diesem Gutachten ist seit Jahren bekannt, die Massen an Belegen sind öffentlich zugänglich.
Die Bedeutung, die dem BfV zugemessen wird, stört vor allem Wallraff, Mense und Furmaniak. Sie teilen großes Unbehagen darüber, wie selbstverständlich sogar manche Linke aktuell den Verfassungsschutz zitieren: eine Behörde, die die extreme Rechte jahrelang aktiv gefördert hat und „deren Mitarbeiter bei den Morden des NSU mit im Raum waren“, wie es Mense sagt. Rechtlich ist das Gutachten für ein Verbot nicht nötig, erklärt Furmaniak. Politisch hofft sie, dass es der Union hilft, sich zu einem Verbotsantrag durchzuringen.
Aus ihrer Sicht wurde der Zeitpunkt verpasst, die AfD politisch zu stellen. „Jetzt zu sagen, weil das gescheitert ist, können wir auch nichts mehr machen, das kann nicht sein!“, mahnt sie – und erntet dicken Applaus. Als Bürgerrechtsorganisation lehnt ihr Verein RAV staatliche Eingriffe in bürgerlichen Freiheiten eigentlich ab. Doch nach langer Diskussion habe sich der RAV vor mehr als einem Jahr entschieden, die Kampagne „AfD-Verbot-Jetzt“ zu unterstützen. „Denn unsere Demokratie braucht dringend eine Verschnaufpause“, erklärt die Strafverteidigerin, die den erhöhten Druck von rechts auch in ihrer täglichen juristischen Arbeit spürt.
Furmaniak erinnert an die vielen Menschen, die bereits jetzt massiv unter der AfD leiden – allen voran Geflüchtete – und die anderen stimmen ihr voll und ganz zu. Rechte Taten haben laut Polizei zuletzt um 48 Prozent zugenommen. Einig ist das Podium auch, dass die fehlende soziale Politik der letzten Jahre den Aufstieg der extremen Rechten begünstigt hat. Wallraff lobt deshalb „die Selbstkritik“, die Lang auf dem Podium gegenüber ihrer eigenen Partei anbringt.
Wallraff nerven in der Verbotsdebatte auch Linke
So weit, so harmonisch? Weit gefehlt. Ausgerechnet der taz-Redakteur ist skeptisch gegenüber einem Verbot: sowohl wegen der seiner Meinung nach fraglichen Erfolgsaussichten, als auch wegen der möglichen Folgen. „Es gibt sogar ehemalige Verfassungsrichter, die von einem Verfahren abraten“, sagt Wallraff.
„Was, wenn ein Verbot scheitert? Das wäre der worst case und ein mega Erfolg für die AfD.“ Wallraff wünsche sich selbstverständlich „nichts sehnlicher“, als dass die AfD verschwinde. Aber er moniert, dass Verbots-Skeptikern wie ihm in der aktuellen Debatte teils eine Verharmlosung der AfD vorgeworfen werde. Das finden auch die Befürworterinnen Lang und Furmaniak problematisch, beim taz talk macht das niemand.
Thorsten Mense
Gar als „fatal“ bezeichnet Thorsten Mense die Verbotsdebatte. Zum einen finde er gefährlich, dass dabei eine „Externalisierung der AfD“ stattfände, wodurch die „bis weit in die Mitte reichenden menschenfeindlichen Einstellungen verschleiert“ würden. Genauer erklärt der Soziologe das im Sammelband „Rechts wo die Mitte ist“, den er mit seiner Kollegin Judith Goetz herausgegeben hat. Zum anderen wirft er die Frage auf, ob Antifaschist*innen nicht Sinnvolleres tun könnten, als etwa AfD-Verbots-Ortsgruppen zu gründen. Aktiv gegen ein Verbot stellen würde er sich letztlich aber nicht. „Alles, was Rechtsextremisten schadet, finde ich gut“, sagt er – und aus dem Publikum kommt „Yeah“.
Mense beobachte eine „Brutalisierung der Politik“, die mitnichten von Faschisten, sondern von formal-demokratischen Parteien vorangetrieben werde: „Die erste Amtshandlung der neuen Bundesregierung war es, die Grenzen zu schließen und damit das Asylrecht, das im Grundgesetz verankert ist, faktisch außer Kraft zu setzen. Wir haben einen Kulturstaatsminister, der selbst völkische Gemeinschaftsvorstellungen propagiert. Wir haben einen Innenminister, der für die Konservative Revolution wirbt.“ Mense erinnert auch daran, dass der Grüne Robert Habeck einen 10-Punkte-Plan – wie er auch von der CSU hätte stammen können – vorgelegt hatte, demnach Menschen schneller abgeschoben werden sollen.
Mense kritisiert Grundgesetz
Die Forderung nach einem Verbot zeugt laut dem Soziologen von einem falschen Demokratie-Verständnis: „Da wird so getan, als sei das Grundgesetz in Stein gemeißelt und die Verfassungsrichter*innen wären die Wächter*innen der Demokratie“, kritisiert er. Dann nennt er Beispiele für Menschenverachtung, die lange mit dem Grundgesetz vereinbar war: Vergewaltigung in der Ehe ebenso wie ein völkisch begründetes Abstammungsrecht, zu dem die AfD nun zurückwolle.
„Auch Verfassungsrichter*innen sind Teil dieser Gesellschaft, die sich seit Jahren rasant nach rechts bewegt und wodurch sich verschoben hat, was als demokratisch akzeptabel gilt.“ Ein Verbot halte er für „illusionär“, die AfD stehe in manchen Umfragen an erster Stelle.
Da muss Furmaniak schlucken. Die Rechtsanwältin sieht durchaus Chancen für ein Verbot – und verweist auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach es nicht unbedingt einen gefüllten Waffenschrank braucht, damit die Verbotsvoraussetzung eines „aggressiv-kämpferischen“ Vorgehens als erfüllt gilt. „Dafür reicht planvolles Vorgehen mit dem Ziel, die freiheitlich-demokratische Grundordnung abzuschaffen“, erklärt die Juristin. Dies nachzuweisen dürfte in einem Verbotsverfahren die Gretchenfrage sein.
CSU-Innenminister kennt das Grundgesetz nicht
Dass aktuell, gerade von der Union, so viele Falschaussagen verbreitet werden, bezeichnet sie als „unredlich“. So hatte etwa Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) behauptet, eine Partei müsse, um als verfassungswidrig verboten zu werden, gegen alle drei Elemente der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vorgehen: Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. „Es reicht aber eins der Elemente“, stellt die Rechtsanwältin klar. Schon was das Kriterium Menschenwürde betrifft, sind viele Jurist*innen sich einig, dass die AfD diese bedroht. Und welche Rechtsfolge hätte ein Verbot? „Die AfD wäre erheblich geschwächt. Ihr würden Macht, Geld und Mandate entzogen.“
Im letzten Jahr standen AfD-Strukturen bundesweit insgesamt rund 200 Millionen Euro zur Verfügung. Der Betrag wird dieses Jahr aufgrund des guten Wahlergebnisses noch einmal deutlich ansteigen. Die AfD bildet mit derzeit 151 Sitzen die stärkste Oppositionsfraktion im Deutschen Bundestag. In Landtagen stellt die völkische Partei insgesamt 285 Abgeordnete.
Lukas Wallraff
Aber – und damit hat Wallraff auch aus Sicht aller anderen Gäste Recht: Der Rechtsextremismus in der Gesellschaft wäre mit einem Parteiverbot nicht weg. Wallraff kann sich „beim besten Willen nicht vorstellen, dass die 10 Millionen Wähler nach einem AfD-Verbot wieder aufrechte Demokrat*innen werden“. Er zitiert den Juristen Ronen Steinke, der in der Süddeutschen Zeitung ausgeführt hat, was nach einem Verbot alles passieren könnte, unter anderem eine Organisierung der Rechten in Ersatzparteien, etwa der Werteunion.
Ricarda Lang kontert taz-Redakteur
Lang kontert, dass neue Parteien aber „nicht sofort den gleichen Zugang zu Macht, Vernetzung und Geld hätten“. Danach dürfe man eben nicht die gleichen Fehler wie bei der AfD wiederholen, zum Beispiel, sie überall einzuladen und so zu normalisieren. „Deshalb würde ich mir auch eine Debatte über die Verantwortung der Medien wünschen.“ Ob sie diesbezüglich auch Kritik an der taz hat? „Nee, an der nicht“, sagt Lang.
„Es könnte aber sein, dass nicht nur die liberalen und demokratischen Kräfte durch ein Verbot etwas lernen, sondern auch die rechtsextremen“, wirft Wallraff ein. „Nämlich, dass sie eine neue Partei etwas geschickter aufbauen, nicht ganz so plump auftreten wie Alexander Gauland, sondern etwas betulicher – und sich damit erst recht an die Macht schleichen.“
Solch eine neue Ersatzpartei würde vielleicht nicht mehr wie die AfD offen darüber sprechen, dass sie „Menschen in Anatolien entsorgen“ will, sondern zunächst gemäßigter auftreten. „Und wenn sie dann an der Regierung ist, trotzdem schlimme Dinge tun.“ Der Soziologe Mense verweist darüber hinaus auf die Gefahr, das konservative Parteien nach einem erfolgreichen AfD-Verbot als nächstes versuchen könnten, linke Parteien oder Organisationen zu verbieten. Zivilgesellschaft und NGOs hatte die Merz-CDU ja erst kürzlich infrage gestellt.
Ricarda Lang
taz-Leser*innen sind für Verbot
Die AfD wird verboten – das wäre das Ergebnis, dürfte das Publikum entscheiden, das des talks per Handzeichen abgestimmt hat. Doch dessen Meinung ist nicht maßgeblich. Denn über ein Parteiverbot entscheidet in Deutschland nicht die Bevölkerung, sondern das Bundesverfassungsgericht – sofern Bundesregierung, Bundestag oder Bundesrat dort ein Verbotsverfahren beantragen.
Immerhin: Das taz-Publikum bildet keine, wie von Rechten gern behauptet, linksgrünversiffte Minderheit. Sie sind vielleicht links oder grün (versifft sah niemand aus), aber sie vertreten genau die gleiche Meinung wie viele andere Deutsche: 46 Prozent wünschen sich laut einer neuen Umfrage des Instituts Ipsos nämlich ein AfD-Verbot.
Dabei ist die Stimmung polarisiert: Rund 44 Prozent sprechen sich gegen ein Verbot aus. Unter den Befürworter*innen sind besonders viele Frauen und Jüngere. Ältere und Männer sind demnach häufiger dagegen. Dieses Geschlechterverhältnis hat zufälligerweise auch das Podium des taz talk repräsentiert – und das Publikum zum Lachen gebracht.
Welche Alternativen gäbe es zu einem Verbot? Sollte man versuchen, die AfD-Wähler zurückzugewinnen oder sind sie unsere Feinde? Und was lehrt uns der Blick in andere Länder wie die USA? Über diese und weitere spannende Fragen hat im Anschluss das taz-Publikum mit den vier Gästen diskutiert.
Bei aller Kontroversität fielen dabei häufig Sätze wie „In dem Punkt stimme ich dir zu“ oder „Ich würde mich freuen, wenn du Recht behältst“. Und obwohl auch an diesem Abend niemand die antifaschistische Zauberformel gefunden hat, war diese Debatte ein Meisterstück des solidarischen Streitens – so wie es unter Linken sein sollte.
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