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Linke-Politikerin Heidi ReichinnekAuf die Barrikaden!

Doris Akrap
Kommentar von Doris Akrap

Die Linkenpolitikerin Heidi Reichinnek zeigte im Bundestag, wie man seinen Wäh­le­r*in­nen sagt, dass man sie verteidigt – koste es, was es wolle.

Heidi Reichinnek im Bundestag Foto: Carsten Koall/dpa

E ndlich, endlich Licht im Bundestag. Ja, an diesem historischen Mittwoch ging ein neuer Stern am Abgeordnetenhimmel auf. Ja, es gibt eine Alternative zu den Schluffis, den Behäbigen, den Trantütigen und Trutschigen, den an Beamtitis und Ideenlosigkeit leidenden und in gestanztem Politikerphrasendeutsch um den heißen Brei herumredenden, bei einer entscheidenden Abstimmung fehlenden Volks­ver­tre­te­r*in­nen, und den rechten Populist*innen. Es gibt eine neue Queen im Bundestag: Heidi.

Heidi Reichinnek, 36, ostdeutsch sozialisiert, bekennende Metallerin, crazy Ta­ttoos am Unterarm, Pony über der ganzen Stirn, Abgeordnete und Gruppenvorsitzende der Linken. Und seit Mittwochabend die Einzige im Bundestag, von der ich glaube, dass ich mich im Notfall auf sie verlassen kann.

Was für ein Auftritt. Was für eine Rede. Obwohl: Das, was sie gesagt hat, hätte auch jeder andere Abgeordnete sagen können. Hat aber keiner.

Heidi Reichinnek war am Mittwoch im Bundestag die Einzige, die ohne Einschränkung klarmachte: Du kannst auf mich zählen. Ich kämpfe auf deiner Seite, wenn sie kommen, uns zu holen. Die einzige, die klar sagte: Ich kämpfe gegen die Rechten und für die Rechte von dir und aller deiner Freunde, Bekannten und nichtrechtsradikalen Feinde, koste es, was es wolle.

Heidi for president – why not?

Ich muss zugeben, weder kannte ich Heidi Reichinnek bis Mittwoch, noch war mir klar, dass sie auf Tiktok unter Jugendlichen mega populär ist. Für mich war der Mittwoch wahrlich ein historischer Tag: Ich habe die Zukunft im Kanzleramt gesehen. Heidi for president – why not?

Ob ich wegen ihres Auftritts zum ersten Mal der Linken im Bundestag meine Stimme geben werde, weiß ich nicht – auch wenn ich zu den vielen gehöre, die sich fragen: Was zum Teufel soll ich eigentlich wählen, die sind doch alle Mist!

Ich weiß aber, dass ich im Bundestag schon lange niemand mehr so kämpferisch gesehen habe und erst recht nicht an diesem Mittwochabend. Und das war das eigentlich Beschämende in dieser an Abgründen nicht armen Bundestagsdebatte. Wir sahen die Vorsitzende der Grünen, Britta Haßelmann, die bedröppelt und mit brüchiger Stimme hilflos sich Gehör zu verschaffen suchte und nicht ihrer Empörung, sondern ihrer Bedröppeltheit Ausdruck verlieh.

Ähnlich wie später die zweite grüne Vorsitzende Katharina Dröge. Die Gesichter der beiden waren so kunstvoll bedröppelt, dass ich fürchte, statt sich auf das Absehbare vorzubereiten, um ordentlich auf den Tisch zu hauen, haben die beiden lieber vorher noch ’ne Coachingstunde genommen: Wie sehe ich besonders bedröppelt aus, halte aber trotzdem die Option offen, sofort Ja zu sagen, wenn Friedrich Merz nach der Bundestagswahl fragt: „Willst du mit mir gehen?“

Und dann auch noch Rolf Mützenich

Den krönenden Abschluss dieser verzagten und gehemmten Auftritte machte dann auch noch der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, der mit hängenden Schultern nur noch sagen konnte: Wir brauchen eine Pause.

You had one chance, liebe SPD, liebe Grüne, wenn man wie ihr der Meinung seid, der Mittwoch war ein historischer Tag, war ein Tabu- und Wortbruch des CDU-Kanzlerkandidaten, war der Tag, an dem die Brandmauer gefallen ist, dann wäre der Bundestag der Ort gewesen, kämpferisch aufzutreten. Gegen rechts hilft kein erbärmlicher Pastorenton mit geknickter und entmutigter Miene. Man muss den Verantwortlichen in die Augen gucken, auf den Tisch hauen und ihnen ins Gesicht sagen, was sie sind: erbärmlich. So wie es Heidi Reichinnek in Richtung Friedrich Merz getan hat.

„Auf die Barrikaden!“ – lauteten Heidi Reichinneks letzte Worte an diesem historischen Mittwoch. Na gut, diesem Spruch könnte sie auch mal ein Update verpassen. Aber dennoch! Ein Mensch, ein Wort, sagen die Grünen. Seit Mittwoch ist klar: Heidi, du hast das Wort.

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Doris Akrap
Redakteurin
Ressortleiterin | taz zwei + medien Seit 2008 Redakteurin, Autorin und Kolumnistin der taz. Publizistin, Jurorin, Moderatorin, Boardmitglied im Pen Berlin.
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26 Kommentare

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  • Dankeschön Heidi Reichinnek,

    diese Rede, diese echte, nicht inszenierte Leidenschaft ist genau das, was ich schon lange im Bundestag vermisst habe. Das war genau das, was gesagt werden musste.



    Und auch "Auf die Barrikaden" (was ja wahrscheinlich symbolisch gemeint war) war auf keinen Fall drüber, sondern notwendig.



    Btw: Danke für die Entscheidungshilfe bei meiner Wahl :)

  • Leider nicht gesehen, aber ich glaube Doris Akrap:



    Es braucht wen beherzten

  • Ich bin 71 und wundere mich, dass jemand, der bei der Taz arbeitet, Heidi nicht kennt... Sie ist so, wie ich mir mehr Parlamentarier*innen wünschen würde. Immer auf den Punkt, sehr gut vorbereitet, bestens informiert und mit dem ganzen Herzen dabei. Heidi für President? Why not.

  • ...toughe Frau. Wie Ricarda u.a.

  • "Wen zum Teufel soll ich wählen?" Ganz sicher nicht Parteien, die das Thema Migration aufkochen. Und auch keine der Putinparteien. Erneuerbare Energien sind DER Schlüssel für Deutschland. Und nur eine Partei betreibt das ganz unaufgeregt: Die Grünen.

  • Endlich normale Leute.

  • Dröge ist seit jeher eine Fehlbesetzung auf dem Ticket ihres Busenfreunds Sven Lehmann.



    Bei Mützenich würde ich nach dem Fernsehbild eine Krankheit nicht ausschließen, der hatte schon ganz andere Auftritte hinbekommen.

    Nein, die Demokratie hat noch andere Verteidiger in petto.



    Aber die Linke hat sich da wohl schon das richtige Führungsduo gegeben, gerade in diesen Zeiten.

  • Wie jetzt Barrikaden? Sind wir schon wieder soweit, dass Rechte und Linke sich im Berliner Zeitungsviertel auf offener Straße nicht nur mit Worten, sondern auch mit anderen Waffen duellieren wollen? So wie zu Weimarer Zeiten? Da bevorzuge ich dann doch eher biedere Demokraten, als radikale Raufbolde.

  • "Wir sahen die Vorsitzende der Grünen, Britta Haßelmann, die bedröppelt und mit brüchiger Stimme hilflos sich Gehör zu verschaffen suchte und nicht ihrer Empörung, sondern ihrer Bedröppeltheit Ausdruck verlieh."

    Im Bundestag mag dieser Maßstab passen. Aber sonst, im normalen Leben, frage ich: ist das schon frauenfeindlich, wenn das bedröppelte (darf ich übersetzen: erschütterte) Wort und die brüchige Stimme weniger Wert sind als das harte Wort, das auf den Tisch hauen und die Empörung? Zählt das Starke mehr als das Schwache?

  • Mich hat Heidi Reichinnek nicht überzeugt und ihr konkretes Beispiel, dass "die junge Mutter" nach Afghanistan abgeschoben werden soll, wirkt auf mich vorerst noch konstruiert. Mir ist bisher nicht bekannt, dass dies geplant ist.



    Ende Februar werden wir wissen, ob die Linke noch im Bundestag ist, dann werde ich mich mit Heidi Reichinnek und ihren politischen Vorstellungen etwas detaillierter beschäftigen.



    Grundsätzlich kann ich gegenwärtig sagen, dass ich die Abschiebung von Vergewaltigern/andere zu Tode bringenden Menschen akzeptieren kann, da ich davon ausgehe, dass sich diese Männer in ihrem Heimatland vielleicht doch so "eingebettet" fühlen und somit auf derartige Taten leichter verzichten können bzw. sich vielleicht nicht so provoziert fühlen.

  • Ja, das war eine kämpferische Rede zur rechten Zeit!



    Angriff ist nicht immer die beste Verteidigung, doch jetzt geht es um die Verteidigung unserer Demokratie.



    Da hoffe ich doch stark, dass sich an diesem Wochenende viele BürgerInnen dieses Landes " friedlich und ohne Waffen" , versammeln, um dem Möchtegernkanzler und seinen Gehilfen den Zeigefinger zu zeigen. Je nach Geschmack gäbe es auch eine andere aus 10 möglichen Gesten.



    Wenn etwas Gutes an diesem Bruch der ungeschriebenen Gesetzte gegen rechte Hetze ist, dann ist es die Tatsache, dass Merzilein sein Herzilein geöffnet hat.



    JedEr weiß nun, woran er/sie/es ist!



    Wer (C)DU wählt, hat die "afd" in Sack mit eingekauft. Nahm Merkel noch Ideenanleihen bei der SPD nimmt Merz sie von den Rechtsextremen.



    Wer sich zu Rechterhaltern, Verfassungsschützern und



    MenschenrechtlerInnen zählt,



    hat derzeit die Wahl zwischen Grünen, SPD und der Linken.



    Ein Kreuz bei den Anderen wäre ein Kreuz für "afd" Ideologie .

  • 》Ob ich wegen ihres Auftritts zum ersten Mal der Linken im Bundestag meine Stimme geben werde, weiß ich nicht《



    .



    Ich wohl. Wie soll das denn sonst jemals mit "Heidi for president" was werden? Und alles andere auch?

  • Der Link auf die Rede wäre noch nett gewesen: www.youtube.com/watch?v=l7bWsE_fMxI

    Aber ich stimme zu: Heid for Kanzler!

  • Für mich ist genau diese Rede eher ein Grund, die Linke nicht zu wählen. Ich finds schwach, dass Reichinnek erstmal gegen Grüne und SPD austeilte. Die Zeit hätte sie besser nutzen können in ihrer Rede. Genau wie Wagenknecht hat sie die Redezeit auch nur für ihre Wahlkampfparolen genutzt, mehr Selbstdarstellung als Verantwortung.



    Ich find auch das Austeilen in diesem Kommentar gegen Hasselmann, Dröge und Mützenich) schwach und echt diffamierend, besonders weil ähnliche Töne auch aus der Rechten Ecke kommen. So von wegen SPD und Grüne sollen nicht so betroffen tun, sie hätten zustimmen können, und seien deshalb quasi schuld daran sind, dass die „arme“ CDU/CSU nun die Stimmen der AfD in Kauf nehmen „musste.“ Ich weiß echt nicht, wie die Linke zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen will.

  • Wer nach der Wahl nicht Kompromissbereit ist zwingt die Union ja zur agd, insbesondere wenn die beiden eine Mehrheit haben.



    Kann auch keiner wollen.

  • Mit Heidi als Kanzlerin

  • "Es gibt eine neue Queen im Bundestag: Heidi. (...) Was für ein Auftritt. Was für eine Rede."



    Zustimmung. Das muss man ihr lassen - sie hat in diesen 3 Minuten mehr gesagt als so mancher Parlamentarier in den letzten 3 Jahren...🤷‍♂️👍



    Problem an der Sache: es ist recht wahrscheinlich, dass es ihre Abschiedsrede war...



    ...das die Linke in einem Monat nochmal in den Bundestag einzieht ist aktuell eher unsicher als sicher.



    "Auf die Barrikaden" wollen nicht mal 5% mit ihr gehen - das ist halt auch die Wahrheit.



    "Es gibt eine neue Queen im Bundestag" - leider ohne Volk...🤷‍♂️

  • Tja, was wählen? Vielleicht hier mal gucken? real-o-mat.de/?pk_...r&pk_kwd=20250129b

  • Mehr davon! Und bitte auf jeden Fall die Erststtimme im Wahlkreis 39 (Stadt Osnabrück) und in den aussichtsreichen Wahlkreisen an DIE LINKEN.

  • Wunderbarer Text, der mir - ganz so wie die Heidi - in allen Belangen aus der Seele spricht!



    Vielen Dank dafür.

  • Ich hatte die Dame zugegebenermaßen bisher ebenfalls nicht auf dem Schirm. Danke für die Erhellung! Tolle Rede!

  • Sie war große Klasse!

  • Ich hab die Rede von Heidi Reichinnek gesehen. Ich fand sie Klasse. Erste Sahne.



    OK. "Auf die Barrikaden" fand ich ein wenig drüber, aber das schiebe ich auf mein Alter und meinen Charakter.



    Tolle Rede, Frau Reichinnek! Ich wünsche den anderen Herrschaften, dass Sie es wieder in den Bundestag schaffen!

    • @Nansen:

      ...dem ist nichts hinzuzufügen, ausser: Ricarda Lang u. dem Wuppertaler SPDler. Alle drei sprechen. frei und sind Vorbilder. Für mich...