Lindners Gas-Mehrwertsteuer-Pläne: Möglichst unbeliebt?
Laut Finanzministerium soll die normale Mehrwertsteuer auf Gas früher wiederkommen als geplant. Die Begründung ist fragwürdig.
M an fragt sich langsam schon, ob es sich die Ampelkoalition angesichts erschreckend hoher AfD-Umfragewerte zur Aufgabe gemacht hat, sich möglichst unbeliebt zu machen. Zumindest geizt man mit Ideen dafür nicht: Vor ein paar Wochen brachte das FDP-geführte Finanzministerium Steuerrabatte für sogenannte E-Fuels ins Spiel, die vornehmlich dem Porsche-Fahrer in spe zugute kommen würden.
Dann hieß es, der umstrittene Industriestrompreis würde kommen – und über den Klima- und Transformationsfonds finanziert, weshalb es keine Mittel mehr fürs Klimageld gebe. Und nun macht Christian Lindners Finanzministerium wieder eine Steilvorlage, indem es vorschlägt, die Wiederanhebung der Mehrwertsteuer auf Erdgas vorzuziehen.
Bei der Debatte über den Industriestrompreis muss man der Ampelkoalition zugutehalten, dass es dabei wenigstens um den Erhalt von gut bezahlten Industriejobs geht. Deswegen fordern auch die Industriegewerkschaften einen solchen subventionierten Strompreis. Doch davon würde längst nicht jede*r Angestellte in der Bundesrepublik profitieren. So hängen laut Gewerkschaftsangaben 2,4 Millionen Arbeitsplätze an den energieintensiven Industrien, insgesamt gibt es aber knapp 46 Millionen Erwerbstätige hierzulande. Hinzu kommen unter anderem rund 21 Millionen Rentner*innen, die nichts vom Industriestrompreis haben, denen man aber den Sinn und Zweck dieser Maßnahme erklären muss.
Einfacher wird das nicht, wenn das Finanzministerium das Vorziehen der Wiederanhebung der Mehrwertsteuer auf Gas und Fernwärme ausgerechnet damit begründet, dass die Gaspreise angeblich schneller wieder gefallen seien als 2022 gedacht. Denn das mag für die Börsenpreise stimmen, muss aber nicht zwingend auf die Verträge der Verbraucher*innen zutreffen. Zudem ist die Inflation mit 6,1 Prozent noch deutlich zu hoch und drückt auf die Kaufkraft. Will die Ampel sich bei den Menschen wieder beliebter machen, dann sollte sie sich überlegen, wie sie gerade jene entlasten kann, die unter der Inflation derzeit leiden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin