Lage der deutschen Wirtschaft: Veraltetes Geschäftsmodell
Deutschlands Wirtschaft ist in der Krise, und das liegt auch an ihrer Exportorientierung. Nötig ist jetzt die Stärkung der Binnennachfrage.
D ie Hiobsbotschaft kam am Mittwochmorgen pünktlich zur neuen Verhandlungsrunde mit der Gewerkschaft IG Metall: Der Gewinn sei im dritten Quartal um fast zwei Drittel eingebrochen, meldete Volkswagen, währenddessen das Management mit Kündigungen, Werksschließungen und Lohnkürzungen droht. Nicht umsonst war Konzernchef Oliver Blume tags zuvor Gast beim Industriegipfel von Kanzler Olaf Scholz (SPD) in Berlin. Das größte deutsche Industrieunternehmen ist sinnbildlich für die gegenwärtige Krise der deutschen Wirtschaft.
Deutschland setzt vornehmlich auf die Exportstärke seiner Industrie. Jahrelang fuhren Politik und Wirtschaft damit auch gut. Doch spätestens seit der Coronakrise stottert der Motor und droht nun endgültig den Geist aufzugeben. Die Politik berät deswegen eifrig mit der Wirtschaft, was zu tun sei. Neben Scholz lud FDP-Finanzminister Christian Lindner am Dienstag Wirtschaftsvertreter zu einer Konkurrenzveranstaltung ein. Die Frage ist, ob die Maßnahmen, die derzeit diskutiert werden, die richtigen sind. Sie zielen nämlich vornehmlich darauf ab, die einstige Exportstärke wieder herzustellen.
Dass etwas getan werden muss, liegt auf der Hand. Bereits vergangenes Jahr ging die Wirtschaftsleistung zurück. Sie droht dieses Jahr wieder zu schrumpfen. Deutschland ist damit unter den großen Industrieländern Schlusslicht – dass die Wirtschaftsleistung im Sommer überraschenderweise leicht gewachsen ist, scheint daran wenig zu ändern. Denn die Industrieproduktion liegt deutlich unter dem Niveau des Jahres 2021. Das Risiko besteht, dass der Arbeitsmarkt kippt. Statt Fachkräftemangel könnten bald Massenentlassungen das bestimmende Thema werden. Insbesondere gut bezahlte Industriejobs sind in Gefahr.
Wenn FDP-Fraktionschef Christian Dürr nach dem Lindner-Treffen von „Richtungsentscheidungen“ sprach, dann meinte er damit, dass nun vor allem Entlastungen für die Unternehmen kommen sollen. Darüber ist die Ampel sich trotz Koalitionsstreit auch weitgehend einig. Denn Neues kam bei den beiden Wirtschaftsgipfeln nicht heraus. Dafür liegen die Maßnahmen bereits auf dem Tisch: Bürokratieabbau, niedrigere Unternehmensteuern, Investitionsanreize und Senkung der Stromsteuer wie Netzentgelte sollen die deutsche Wirtschaft in der Welt wieder wettbewerbsfähiger machen.
Doch ist das wirklich wünschenswert? Der immense Exportüberschuss, den Deutschland jahrelang einfuhr, war nämlich ein zweischneidiges Schwert. Der Internationale Währungsfonds (IWF) kritisierte diesen in den 2010er Jahren regelmäßig. „Wenn es zu exzessiven Ungleichgewichten kommt, wenn es ausufernde Ungleichheit gibt oder Instabilität im Finanzsystem, das alles ist schlecht für die Stabilität und für nachhaltiges Wachstum“, mahnte etwa die damalige IWF- und jetzige EZB-Chefin Christine Lagarde im Jahr 2017 an.
Diese Fixierung auf den Export fällt Deutschland vor allem auch jetzt auf die Füße. Sie hat die Wirtschaft zu abhängig vom Weltmarkt gemacht. Denn die Industrie hat nicht allein wegen zu viel Bürokratie und zu hoher Energiekosten Probleme: Es ist vor allem auch die veränderte Weltlage, die das deutsche Geschäftsmodell ins Wanken bringt.
Die beiden wichtigsten außereuropäischen Handelspartner China und USA geraten immer mehr in Konkurrenz miteinander und schotten ihre heimischen Märkte zunehmend ab. Statt nach China verkaufen zu können, müssen deutsche Unternehmen jetzt anderswo mit stark subventionierten chinesischen Firmen konkurrieren. Und wenn Donald Trump nächste Woche die Wahlen gewinnen sollte, drohen weitetere Importzölle. Ein neue Ära des Freihandels ist dagegen nicht in Sicht.
Nicht nur angebotsorientiert
Deswegen braucht es eine Politik, die die Wirtschaft resilienter gegen Einflüsse von außen macht, die mehr die Binnen- als die Exportwirtschaft stärkt. Deswegen sollte ein Konjunkturprogramm nicht nur aus Maßnahmen bestehen, die Ökonomen als „angebotsorientiert“ bezeichnen würden, also die Unternehmen stützen. Es braucht auch Maßnahmen, die die Menschen im Land unterstützen. Denn wenn sie verunsichert sind und kein Geld mehr haben, ist das auch schlecht für die Konjunktur.
Dies zeigt sich bereits in der gegenwärtigen Krise: Volkswagen schwächelt auch, weil hierzulande weniger Autos verkauft werden. Denn die realen Einkommensbußen seit der Coronakrise sind noch immer nicht gänzlich kompensiert; gleichzeitig sind die Menschen verunsichert, wie es in den nächsten Monaten und Jahren weitergeht. Sie sparen deswegen lieber ihr Geld, statt es auszugeben.
Es braucht Maßnahmen, die sicherstellen, dass die Menschen ihre Jobs behalten. Investitionsanreize, wie sie Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vorschlägt, sind also besser als pauschale Steuernachlässe. Strompreisrabatte für die Industrie könnten an die Verpflichtung zur Beschäftigungssicherung geknüpft werden. Gleichzeitig ist der Vorschlag eines Social-Leasing-Modells, das Elektroautos für kleinere Einkommen erschwinglicher macht, sympathisch. Auch sollte über eine Wohnungsbauoffensive nachgedacht werden. Schließlich ist auch die Baubranche in einer Krise und die Wohnraumfrage in den Städten des Landes das drängendste soziale Problem.
Bitte nicht die Lohnnebenkosten anrühren
Der größte Fehler wäre, jetzt an den Lohnnebenkosten zu schrauben. Das fordern die Arbeitgeber wieder lauter. Doch würde dies Kürzungen im Sozialstaat bedeuten. Und für eine Sache gibt es in der Geschichte genug Beispiele: dass Sparprogramme Krisen nur noch schlimmer machen.
Stattdessen muss der Staat gerade in Zeiten des Abschwungs investieren, weil dann nur er dazu in der Lage ist. Und es gibt derzeit genügend Baustellen, die bei der öffentlichen Infrastruktur und Transformation dringend angegangen werden müssten. Doch dafür bedarf es einer Richtungsentscheidung, für die die FDP nicht bereit ist. Sie müsste ihren Fetisch Schuldenbremse aufgeben.
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