Kylian Mbappé und Wahlen in Frankreich: Die Republik schaut auf diesen Mann
Vor den Parlamentswahlen bringen Kylian Mbappé und seine Fußballkollegen ihre Prominenz ins Spiel – gegen die Rechten.
Dass ein Weltstar des Fußballs während eines großen Turniers sagt, es gebe Dinge, die wichtiger sind als der Fußball, ist außergewöhnlich. Kylian Mbappé hat das nun getan, denn in Frankreich wurden Neuwahlen angesetzt. Dabei könnte der rechtsextreme Rassemblement National (RN) stärkste Kraft werden.
Was sie davon hielten, dass bald schon eine rassistische Partei regieren könnte, werden die Kicker des französischen EM-Teams in diesen Tagen regelmäßig vor ihren Spielen gefragt. Ousmane Dembélé war der Erste, der darauf zu antworten hatte. Was er meinte, war unmissverständlich, auch wenn er nicht mehr tat, als dazu aufzurufen, die Stimme abzugeben. Das tat auch Mbappé dessen Plädoyer für eine offene Gesellschaft keine Zweifel aufkommen ließ. Marcus Thuram sprach Klartext und forderte dazu auf, den RN zu verhindern.
Dass Sportler*innen sich politisch äußern, passiert in Frankreich häufiger als in anderen Ländern, Sport und Politik sind eng verzahnt. In den Sechzigern haben sowohl Kommunisten als auch Gaullisten in seltener Einigkeit staatliche Sportprogramme unterstützt. Es ging mehr um eine Befriedung der Gesellschaft als um Spitzensport. Entsprechend ist Frankreich auf internationaler Bühne bis in die Neunziger hinein eher erfolglos geblieben.
Als in den Achtzigern erste Unruhen in den Vorstädten, den Banlieues, aufflammten, bekamen diese Programme eine neue Bedeutung. Sport und Kultur galten als Bereiche, in denen die Integration der neuen „Problembevölkerungsgruppen“ gelingen könnte. Die war klar umrissen: junge, arme, muslimische und nichtweiße Männer.
Ohne Sport waren Einwander:innen quasi unsichtbar
Gerade im Sport erwies sich die Idee als fruchtbar. Frankreich war bis in die Neunziger eine Nation, die zwar immer bei großen Turnieren antrat, aber nur selten etwas gewann. Das ändert sich in den Neunzigern: Drei Mal olympisches Gold für Marie-Jo Pérec, zwei Mal holt man im Tennis den Daviscup, Gold und Bronze bei den Handballweltmeisterschaften, drei Mal Gold für die Rugbynationalmannschaft beim Six Nations.
Damals ist es der Fußball, bisher ein Sport unter vielen, der Frankreich den vorerst größten Triumph beschert: Olympique Marseille gewinnt 1993 den Europapokal der Landesmeister. Das Tor von Basile Boli läuft wochenlang in Dauerschleife im Fernsehen.
Bis zu diesem Zeitpunkt waren Einwanderer:innen in der französischen Gesellschaft quasi unsichtbar. Mit den Erfolgen im Sport bekamen sie plötzlich Repräsentant*innen, die sie in den Medien vertreten konnten. Es ist in Frankreich keine Seltenheit, dass Sportler*innen in politischen Talkshows sitzen. Etwa um zu erklären, was in den Banlieues vor sich geht.
Der nächste Triumph folgte 1998 mit dem Gewinn der Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land. Die Mannschaft sollte für ein neues, modernes Frankreich stehen, das nicht mehr „bleu blanc rouge“ sei, sondern „black blanc beur“. „Beur“ bezeichnet Französ*innen maghrebinischer Abstammung. Das Land, das seit den Siebzigern wirtschaftlich stagnierte, würde zu neuer Größe finden – dafür war dieser Weltmeistertitel das ideale Symbol.
Star der damaligen Mannschaft war Zinédine Zidane. Nach seinen beiden Toren im Finale gegen Brasilien plakatierte man ihn als König der Französ*innen auf den Champs Elysées. Präsident Jacques Chirac schlug vor, ihn zum Weltbotschafter der Republik zu machen. Dabei hasst Zidane das Rampenlicht und spricht ungern öffentlich.
Das symbolhafte Spiel gegen Algerien
Der Traum vom multikulturellen Frankreich zerbarst unter den Folgen des 11. September 2001 und dem Aufstieg des Front National. Symbolhaft wurde diesmal ein Fußballspiel, das 2001 in Saint Denis stattfand: die erste Begegnung der französischen Nationalmannschaft mit Algerien. Während der Marseillaise pfiffen die algerischen Fans, es kam zum Platzsturm. Für rechte Kommentator*innen der Beweis, dass die „Problembevölkerung“ nicht integrierbar sei.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Ein Jahr später zog Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl um die Präsidentschaft ein, 4,8 Millionen Französ*innen hatten rechtsextrem gewählt. Daraufhin äußerte sich sogar Zidane politisch: Würde Le Pen Präsident werden, würde er seine nationale Karriere beenden. Es kam anders. Vier Jahre später streckte Zidane im Finale Marco Materazzi per Kopfstoß nieder. Das rechtsextreme Revolverblatt Minute hob ihn auf seinen Titel mit der Schlagzeile: „Ciao, Gauner“. In kaum acht Jahren war Zidane in der öffentlichen Wahrnehmung vom König zum Kriminellen geworden.
Die symbolische Überfrachtung der équipe tricolore rächte sich vor allem bei der WM 2010 in Südafrika. Anders als die Generation davor – in der auch viele Spieler aus stabilen sozioökonomischen Verhältnissen herausragende Rollen einnahmen – bestand die Mannschaft 2010 vor allem aus Kindern der Banlieues.
Gefundenes Fressen für die rechte Presse
Sie taten sich öffentlich schwer, sich auszudrücken, kannten die Regeln der Presse nicht. Anders als ihre Vereine schaffte es der Nationalverband nicht, sie zu schützen; auch weil er mit Raymond Domenech einen erratischen Trainer installiert hatte. In Südafrika beschimpfte Nicolas Anelka schließlich in der Pause seinen Trainer, das wurde an die Medien durchgestochen, Anelka suspendiert. Die Spieler streikten, es folgte das Vorrundenaus.
Es war ein gefundenes Fressen für die rechte Presse. Der rechtsextreme Politiker Éric Zemmour sagte: „Ich denke, dass Domenech Politik macht, indem er nur schwarze Spieler einsetzt.“ Der Philosoph Alain Finkielkraut nannte die Mannschaft „einen Haufen Strolche“, der keine andere Moral kenne als die der Mafia. Mit Zidane habe man noch geträumt, mittlerweile kriege man das Kotzen angesichts dieser „Generation Gesindel“. Er meinte nicht nur Patrice Evra, Franck Ribéry und William Gallas, sondern die Banlieues als Ganzes.
Kylian Mbappé gilt, obwohl er in der Mittelschicht aufgewachsen ist, als Aushängeschild der Banlieues. Sein Statement bleibt vage – er sei „gegen Ideen die spalten“. Abgeordnete des RN haben seine Worte jetzt aufgegriffen und behauptet, sie richteten sich gegen die extreme Linke und Macron. Gut möglich, dass Mbappé noch deutlicher wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren