piwik no script img

Kritik an Postkolonialen TheorienRevanchistischer Kulturkampf

Essay von Stefan Ouma

Kritik an postkolonialen Theorien hat Konjunktur. Sie mäandert zwischen Bauchgefühl und revanchistischer Identitätspolitik. Zeit für eine Verteidigung.

Fenster auf, Fenster zu Illustration: Katja Gendikova

E in Gespenst geht um in Deutschland – „die postkoloniale Theorie“. Als monolithischer Block gerahmt und fälschlicherweise oft auch als „Postkolonialismus“ tituliert, taucht sie in Reden von Po­li­ti­ke­r*in­nen ebenso auf wie in Artikeln, Tweets und Stellungnahmen von Jour­na­lis­t*in­nen und Wissenschaftler*innen. Zuletzt hat auch Felix Klein, der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, mit seiner Kritik am „Postkolonialismus“ wiederholt für Schlagzeilen gesorgt.

Kurz zusammengefasst lesen sich die Vorwürfe wie folgt: Postkoloniale Theorie leiste dem Antisemitismus von links Vorschub, verbreite eine zunehmende „Cancel-Culture“ an Universitäten, vertrete eine binäre Konstruktion der Welt in Gut und Böse und drücke sich in Hass auf Weiße aus.

Durch diese massiven Angriffe scheint sich hierzulande rasch ein Fenster zu schließen, das gerade erst mühsam einen Spalt weit geöffnet wurde: die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte und ihrer historischen Zusammenhänge zum rassenideologischen Vernichtungsprojekt des „Dritten Reichs“. Geschichtsrevisionistischen Akteuren wie der AfD kann dies nur gelegen kommen, fragte diese doch bereits 2022 im Bundestag, ob die Bundesregierung „die Einstellung der Förderung aller Projekte [erwägt], die in einem affirmativen Zusammenhang mit der postkolonialistischen Theorie stehen“.

Bauchgefühlswissenschaft von Diskursunternehmern

Man kann sich den gegenwärtigen Attacken auf postkoloniale Theorien auf zwei Wegen annähern. Der eine ist der einer wissenschaftlichen Kritik. Die Argumente der „Poko-Kritiker*innen“ werden auf ihre logische Kohärenz, Qualität der Argumente und vor allem auch auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft. Im wissenschaftlichen Kontext meint Letzteres vor allem Quellentreue und Überprüfbarkeit: Kann die Aussage anhand der Literatur belegt werden?

Aber damit ist es noch nicht getan. Wissenschaft lebt auch von Kontextwissen. Man kann sich schnell in ein Buch einlesen oder vorgeben, dies getan zu haben; das bedeutet allerdings nicht, dass man ein ganzes Feld überblickt. Genau aus diesem Grund beschäftigen sich Wis­sen­schaft­le­r*in­nen oft Jahre mit einem Gegenstand. Publikationen werden durch kollegiales Feedback, Gegenlektüre und Peer-Review-Verfahren überprüft. Dass sie dann immer noch anfechtbar sind, ist ein Kern der Wissenschaft.

Gerade diese Qualitätskriterien vermissen wir jedoch in der im Moment sehr schrill geführten Debatte über „den Postkolonialismus“. Während verzerrende Darstellungen in der Debatte für einige Medienschaffende zum Geschäftsmodell gehören, ist die Bauchgefühlkritik an postkolonialen Studien besonders besorgniserregend, wenn Wis­sen­schaft­le­r*in­nen ohne verbriefte Expertise zum Thema ein Zerrbild der postkolonialen Studien entwerfen.

Kein Überstehen wissenschaftlicher Prüfungsverfahren

Dies lässt sich gut an der am 27. Oktober 2023 im Nachgang zum Hamas-Massaker vom Netzwerk Wissenschaftsfreiheit veröffentlichten Stellungnahme „Ist eine,Dekolonisierung' von Wissenschaft und Forschung erforderlich?“ verdeutlichen. Obwohl „postkoloniale Theorie“ noch immer eher ein Randdasein in Universitätscurricula fristet, wird sie in der Stellungnahme als „hegemoniale Strategie“ bezeichnet. Regelmäßig würden ihre Ver­tre­te­r*in­nen zudem die Shoa relativieren. Die öffentlichen Statements und Buchprojekte einiger an diesem Netzwerk beteiligten Kol­le­g*in­nen schlagen in dieselbe Kerbe, würden aber sicherlich keine wissenschaftliche Peer Review oder andere wissenschaftliche Prüfungsverfahren überstehen.

Ein Blick in die Literatur zeigt hingegen, dass es viele wichtige Berührungspunkte zwischen postkolonialen Perspektiven auf Rassismus, Kolonialismus und Faschismus und der Beschäftigung mit eliminatorischem Antisemitismus gibt. Stellvertretend seien hier die Arbeiten von Frantz Fanon und Hannah Arendt genannt. Ersterer wurde in seinem radikalen Humanismus nicht nur vom Kampf gegen den Faschismus als Soldat der Freien Französischen Streitkräfte beeinflusst, sondern auch von Jean-Paul Sartres 1946 erschienenem Buch „Überlegungen zur Judenfrage“; Letztere wollte ihr Hauptwerk, „Die Ursprünge des Totalitarismus“, ursprünglich „Elemente der Schande: Antisemitismus – Imperialismus – Rassismus“ nennen.

In der deutschsprachigen Debatte werden diese Zusammenhänge allerdings kaum behandelt. Vielmehr sind Kri­ti­ke­r*in­nen des Postkolonialismus mit ihrem Bauchgefühlswissen als Dis­kurs­un­ter­neh­me­r*in­nen überaus erfolgreich. Ihre Kampfpamphlete werden als intellektuell bedeutsame Beiträge gehandelt und zu Ankerpunkten der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie.

Rechte Metapolitik

Ein zweiter Weg der Auseinandersetzung mit den Kri­ti­ke­r*in­nen des Postkolonialismus besteht darin, diese Akteure selbst als Teil einer autoritär-illiberalen Wende zu begreifen, in deren Kontext rechte, konservativ-bürgerliche, liberale und teilweise auch linke Stimmen mit ähnlichen Argumenten auftreten.

Stefan Ouma

ist Professor für Wirtschaftsgeographie und Co-Direktor des Instituts für Afrikastudien an der Universität Bayreuth. Zudem ist er Co-Sprecher im BMBF-geförderten Wissenschaftsnetzwerk Rassismusforschung.

Stilprägend für diese Wende ist der ideologische Star der Neuen Rechten in den USA, Christopher Rufo. Der ehemalige Berater von Donald Trump und Ron DeSantis hatte zuletzt mit einer massiven Zensur von Schul- und Universitätslehrplänen in Florida von sich reden gemacht. In einem Tweet vom 13. Oktober vergangenen Jahres forderte Rufo, man müsse sich die Kernbegriffe linker, progressiver Bewegungen herauspicken und diese über geschickte assoziative Verkettungen in solcher Weise neu aufladen, dass auch Akteure von rechts bis links der Mitte nicht anders könnten, als diese Begriffe zu ächten.

Konkret sollen seiner Vorstellung nach „starke Assoziationen“ zwischen Hamas, der Bewegung Black Lives Matter, den Democratic Socialists of America und wissenschaftlicher „Dekolonisierung“ geschaffen werden – um sie daraufhin in einem Zug zu attackieren, zu delegitimieren und zu diskreditieren.

Rufos Strategie ist in den USA bereits bestens aufgegangen. Der Philosoph Alberto Toscano hat dies jüngst in seinem Essay „The War on Education – in Gaza and at Home“ eindringlich beschrieben. Die politischen Verhältnisse der USA lassen sich zwar nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen. Aber auch bei uns tappen selbst Stimmen, die sich als liberal verstehen, en masse in die Diskursfalle der Neuen Rechten.

Deutsche Variante der Critical Race Theory

Postkoloniale Theorien ereilt damit hierzulande das gleiche Schicksal wie die Critical Race Theory in den USA. Dank Rufo und anderen Kul­tur­kämp­fe­r*in­nen fungiert der Begriff dort längst als leerer Signifikant, um Stimmungsmache zu betreiben. Er kann beliebig zu Themen mit links-progressivem Bezug eingestreut werden, um einen Punkt gegen „woke“ Eliten zu erzielen.

Der Angriff auf die postkolonialen Theorien ist der Versuch, an den eigenen Privilegien und der Deutungshoheit über Geschichte festzuhalten

Erklärt werden müssen solche leeren Signifikanten nicht weiter, beziehen sie doch ihre Bedeutung gerade nicht aus Recherche, Quellen, Wissen und Belegen, sondern vor allem aus den Assoziationen mit anderen Wörtern. Diese werden dann zu einem vermeintlichen Bedrohungsszenario verdichtet und in ein allgemeines Ressentiment umgewandelt. Hier hat die neue „Neue Rechte“ erfolgreich von der französischen Nouvelle Droite gelernt, die bereits seit den 1970ern Jahren einen Gramscianismus von rechts propagiert.

Auch im deutschsprachigen Raum trägt deren assoziative Metapolitik zunehmend Früchte. Wer heute „Postkolonialismus“ hört, hört gleichzeitig „Wokeness“, „Antisemitismus“, „Cancel Culture“, „Rassismus gegen Weiße“ etc. Auch im linken und liberalen Spektrum dürfte nicht immer allen klar sein, wessen politischen Strategien sie mit der Umarmung einer oberflächlichen Kritik am Postkolonialismus gerade aufsitzen.

Gleichzeitig wäre es zu einfach, die lagerübergreifenden Angriffe auf „den Postkolonialismus“ nur als Ergebnis einer erfolgreichen rechten Metapolitik zu begreifen. Was die Protagonisten eint, ist die Artikulation einer auf Bestandswahrung ausgerichteten Identitätspolitik, die revanchistisch auf die unbequemen Fragen postkolonialer Theorien beziehungsweise im Falle der USA der Critical Race Theory reagiert. Dieser identitätspolitische Pushback ist Ausdruck des Versuchs, mit aller Kraft an den eigenen Privilegien und der Deutungshoheit über Geschichte und Gesellschaft festhalten zu wollen.

Ohne postkoloniale Theorien kein Frieden

Eine friedliche und inklusive Zukunft in Israel/Palästina kann ohne die Einsichten postkolonialer Theorien nicht realisiert werden

Die mit dem 7. Oktober einsetzende Gewaltexplosion ist die massivste Zuspitzung seit Langem eines Jahrzehnte andauernden Konfliktes. Dieser Konflikt geht nicht zuletzt auf die Staatsgründung Israels zurück, die – obgleich ihrer Notwendigkeit in der Folge der Shoa – im Rahmen einer sehr langen Geschichte kolonialer Herrschaftsverhältnisse und Mandatspolitiken innerhalb der Region zu verorten ist. Daran erinnert auch der jüdische Erziehungswissenschaftler und Erstunterzeichner der Jerusalem-Deklaration gegen Antisemitismus Micha Brumlik in seinem Buch „Postkolonialer Antisemitismus?“.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Man kann postkoloniale Theorien freilich auch im Hinblick auf Widersprüche, nicht schlüssige oder anderweitig problematische Argumentationen diskutieren. Eine friedliche und inklusive Zukunft in Israel/Palästina kann aber ohne die Einsichten postkolonialer Theorien nicht realisiert werden. Gerade weil ihre Ver­tre­te­r*in­nen Fragen der Verteilung und Kontrolle von Land, der Entstehung menschenfeindlicher Kategorisierungen, Ausschlussmechanismen und multidirektionaler Gewaltverhältnisse ins Zentrum ihrer Analysen stellen, bieten sie eine überaus nuancierte Analyse des Nahostkonflikts an.

Sie erinnern uns auch daran, dass insbesondere Deutschland aufgrund der Shoa nicht nur eine besondere Verpflichtung gegenüber jüdischen Menschen in und jenseits von Israel und dem Kampf gegen Antisemitismus hat, sondern auch gegenüber dem palästinensischen Volk.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

21 Kommentare

 / 
  • "Die Argumente der „Poko-Kritiker*innen“ werden auf ihre logische Kohärenz, Qualität der Argumente und vor allem auch auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft."



    /



    Die wissenschaftlichen Ansätze sind korrekt, aber die "Halbwahrheiten" und von Wissenschaft nicht gedeckten "Erkenntnisse" als Werkzeug zur Manipulation sind in dem Amplifikationstool www inkl Soziale Medien Futter für Filter-Blasen.



    /



    "Die Diskussion in den Geschichtswissenschaften hat auf internationaler Ebene inzwischen die Frage nach kolonialen Herrschaftspraktiken erreicht. Doch das Thema des italienischen Exportmodells der Hygienisierung der kolonialen Bevölkerung in Libyen – sowohl der Einheimischen wie der zugewanderten italienischen Siedler - blieb bislang in der allgemein- und medizinhistorischen Forschung unbeachtet. Hygienisierung steht in diesem Kontext für Erziehung und Akkulturierung von Individuen...(...)



    Hygiene und Hygienisierung werden als entscheidende Komponenten der Kolonialmedizin betrachtet, die wiederum als ein erfassendes, kuratives und präventives sowie strategisches Unternehmen zu verstehen ist.



    Das Thema ordnet sich in zwei Forschungszusammenhänge ein:



    Zum einen in die allgemeine Geschichte des europäischen und italienischen Kolonialismus (...).



    Zum anderen geht es um ein sich nun ausdifferenzierendes Gebiet der internationalen medizinhistorischen Forschung. Deren Untersuchungsspektrum reicht von der Frage nach transnationalen medizinischen und biologischen Wissenstransfers, über den Experimentiercharakter des gesamten Kolonialprojekts bis zur charakteristischen Bereitschaft, gesundheitspolitische Ziele auch per manifester Gewalt durchzusetzen, sowie bis zu den in das Feld eingehenden bevölkerungspolitischen Intentionen. Diese Dimensionen werden hier in einem historischen Gesamtbild von Kolonialmedizin zusammengeführt."



    Quelle:



    www.medizinische-f...le-globale-medizin

  • Vertreter:innen der postkolonialen Theorien stellen u.a. die Entstehung menschenfeindlicher Kategorisierungen, Ausschlussmechanismen und multidirektionaler Gewaltverhältnisse ins Zentrum ihrer Analysen. Konsequent durchgeführt muss das immer auch die Betrachtung eigener Gewalttraditionen bedeuten, besonders im Adultismus und Sexismus. In diesen Punkten ist so gut wie jede Gesellschaft kritikwürdig. Ich habe den Eindruck, dass das "Bauchgefühl" der ehemaligen Kolonialgesellschaften auf der Vermutung beruht, dass bei Identitätspolitik diese Traditionen ignoriert oder idealisiert werden. Darin besteht allerdings die Gefahr, dass genau das innerhalb der ehemaligen Kolonialgegellschaften aus dem Blickfeld gerät bzw. von Rechts wieder etabliert wird.

  • "die Staatsgründung Israels ..., die ... im Rahmen einer sehr langen Geschichte kolonialer Herrschaftsverhältnisse und Mandatspolitiken innerhalb der Region zu verorten ist."

    Richtig, Israel ist eines der wenigen erfolgreichen Dekolonisisierungsprojekte . 1948 wurden 2.000 Jahre koloniale Herrschaft und Kolonisierungsgeschichte beendet. Ergebnis ist ein demokratischer Rechtsstaat, der Minderheiten wie LGBTIQ* vergleichsweise offen gegenüber steht.

    Umso enttäuschender, wenn gerade dieses Projekt jetzt massiv mit Dekolonisisierungsargumenten angegriffen wird. Das erscheint mir geschichtsvergessen und selbstwidersprüchlich.

  • @DR. MCSCHRECK

    Hannah Arendt "in Ungnade gefallen"? Ausser Raunen auch was handfestes zu bieten?

  • Ich wage mal den Versuch einer ansatzweise wissenschaftlichen Kritik. Die „Poko-Studien“ tappen in die „Identitätsfalle“ – ich verweise hier auf das Werk Amartya Sens mit diesem Titel. Jedes einzelne menschliche Wesen gehört zu einer Vielzahl von Gruppen und die Zugehörigkeit kann Vor- oder Nachteile mit sich bringen. Sobald aber nur die Benachteiligung einer einzigen solchen Gruppe in den Fokus gerückt wird, verschwinden alle Unterschiede innerhalb wie außerhalb.



    Cui bono? (Wem nützt es?) Ein Interesse am Verschwinden von individuellen Unterschieden in der „In-Group“ und unter den „Anderen“ haben jedoch einzig die jeweils Mächtigen: „Unsere Herren, wer sie auch seien, sehen unsere Zwietracht gern, denn solang sie uns entzweien, bleiben sie doch unsere Herren.“ (Bertolt Brecht, Solidaritätslied)



    Deshalb, so lassen sich Sen und Brecht verstehen, ist Identitätspolitik im Interesse des Status Quo, ein Instrument für Etabliertenvorrechte. Aber kollektiv haben wir Menschen die Macht, diese Privilegien zu brechen, indem wir das Gemeinsame untereinander betonen. Identisch sind wir als Individuen allerhöchstens jeweils mit uns selbst, die Zugehörigkeit zu Gruppen und damit verbundene Nachteile sind analytisch relevant, aber jede Form von auf solcher Gruppenzugehörigkeit gegründeter Politik steht entsetzlich dicht an dem Punkt, an dem sie in gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit kippt.



    Der Krieg im Nahen Osten ist weder im Interesse der Israelis noch der Palästinenser:innen, sondern einzig im Interesse der israelischen Regierung und der Hamas-Nomenklatura, sowie vieler Tyrannen und Populist:innen, die von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit leben. Wir alle sollten uns dem entgegenstellen, denn – frei nach Albert Einstein – Wissenschaft und Moral sind ohne einander lahm und blind.

  • Ist es nicht irgendwie bezeichnend, dass der Artikel just den Mechanismus, den er kritisiert, in leich camouflierter Weise, nämlich mit ein bisschen Argumenthuberei (ich muss, als jemand der seinen Tag damit zubringt Argumente auf Konsistenz zu prüfen und zu sezieren, echt mit Lupe suchen) nutzt um die Gegenposition zu diskreditieren? Der Nexus zwischen der Skepsis gegenüber manichäischen Weltbildern der "Postkolonialen" und der Wokeness-Skepsis ist völlig konstruiert. Nehmen wir mich z.B. - ich halte so ziemlich alles, was aus der Poko-Ecke zu Israel erzählt wird wahlweise für verschobenen Kokolores und wahlweise ahistoristorischen Quark - z.B. die Erzählung von palestinänsische Autochthonie. Oft genug antisemitidch motiviert, nebenbei gesagt. Zugleich bin ich kein bisschen skeptisch gegenüber der verschrienen Wokeness... Der Autor scheint die von ihm richtig beobachtete Vermengung als rechtes Narrativ zu sehr und allzu gerne auf den mindset der Gegner zu projizieren - die identitäre und weltanschauliche Uniformität, wie sie die Rechten so sehr herbeiwünschen, scheint auch ein Wunschtraum der anderen Seite zu sein. Gottseidank ist die Meinungsbandbreite komplexer als beiderlei Erzählung von eigenen Kampf gegen die Finsternis es suggeriert.

  • Gerade die letzten zwei Absätze belegen die unkritische Nähe zu und unreflektierte Übernahme von antisemtischen Deutungsmustern des Nahostkonflikts. Solange da keine selbstkritische Auseinandersetzung im selbsternannten woken, linken, postkolonialen Lager stattfindet, haben die rechten Rattenfänger leichtes Spiel.

  • "Auch im linken und liberalen Spektrum dürfte nicht immer allen klar sein, wessen politischen Strategien sie mit der Umarmung einer oberflächlichen Kritik am Postkolonialismus gerade aufsitzen."

    Daaselbe gilt aber auch umgekehrt: viele Aktivisten, die "postkolonial" argumentieren, befördern die genannte Kritik geradezu. Fazit: Die postkoloniale Theorie ist als wissenschaftliche Basis so legitim wie jede andere Theorie. Sie dient aber vielen Menschen als Argumentationsbasis, die genau dies nicht verstanden haben.

  • @GEEWE, @JIM HAWKINS

    Zitat aus dem Text: "Man kann postkoloniale Theorien freilich auch im Hinblick auf Widersprüche, nicht schlüssige oder anderweitig problematische Argumentationen diskutieren."

    Ach, Leute. Kriegt Euch ein. Auch Ihr dürft was sagen, ohne gleich gekanzelt zu werden.

    Jetzt her mit der Kritik -- statt des weinerlichen "man darf ja nicht".

  • Gerade die als Kronzeugin zitierte Hanna Arendt ist doch zuletzt auch "in Ungnade gefallen"....

  • Ich habe den Eindruck, dass man einige der Vorwürfe, die in diesem Kommentar den Kritiker*innen gemacht werden, auch ganz gut einigen der Befürworter machen kann. Auch die argumentieren oft genug aus dem Bauch heraus und mehr aufgrund des Wunsches, auf der richtigen Seite der Geschichte stehen zu wollen als auf sorgsamer Analyse und Reflexion. Von Kontext wollen auch vorne Befürworter*innen nicht immer was wissen. Das soll keine Verallgemeinerung aller Befürworter*innen sein. Ich halte es vielmehr für denkbar bis wahrscheinlich, dass viele einfach irgendwann auf den Zug aufgesprungen sind und sich das auf die Fahne schreiben ohne es gründlich und kritisch durchdacht zu haben. Und genau diese Menschen, die mir keine kleine Minderheit derer, die sich dazu äußern, zu sein scheinen, lösen zumindest bei mir eine sehr kritische Haltung aus. Das hat weniger mit meinen Privilegien und die Angst darum oder gar meine Identität zu tun. Stattdessen waren meine ersten Berührungspunkte mit dem Postkolonialismus eben genau solche Befürworter, was meine Lust auf eine Auseinandersetzung und um ehrlich zu sein wohl auch meine Fähigkeit, mich offen darauf einzulassen und damit auseinandersetzen, stark beeinträchtigt. Zum Postkolonialismus an sich äußere ich mich hier nicht, weil mir da aus genannten Gründen das Wissen fehlt. Aber der Kommentar, der den Eindruck erweckt, wer sich kritisch äußert, zieht den Verdacht, rechts zu sein oder zumindest auf rechte Propaganda hereinzufallen, ist wohl wenig geeignet, um Menschen vom Postkolonialismus zu überzeugen.

  • Wo wir gerade beim Thema Kritik an Postkolonialer Theorie insbesondere deren antisemtischer Schlagseite sind ,ist dieser Artikel in der Taz sehr lesenswert.

    taz.de/Postkolonia...mitismus/!5993338/

  • So lange AktivistInnen so auftreten wie sie auftreten, ist Postkolonialismus in der Praxis genau das: "Postkoloniale Theorie leiste dem Antisemitismus von links Vorschub, verbreite eine zunehmende „Cancel-Culture“ an Universitäten, vertrete eine binäre Konstruktion der Welt in Gut und Böse und drücke sich in Hass auf Weiße aus." – Ob er eigentlich etwas anderes ist, spielt dann keine Rolle mehr.

    • @Franny Berenfänger:

      LOL. In der Argumentation ist Gramsci jetzt ein Faschist, weil sich die sogenannte neue Rechte auf ihn bezieht und auftritt, wie sie auftritt.



      Und: diese „AktivistInnen“, auf die Sie sich beziehen: welche meinen sie konkret. Denn auch da gibt es einen seeeehr weiten Fächer an Menschen, die aktivistisch unterwegs sind und durchaus in weiten Teilen sehr differenzierte Arbeit machen.

  • Na Mist. Jetzt hatten wir schon unser Gedächtnistheater [1] so fein austariert, da müssen wir plötzlich noch an andere denken?

    Das Leben ist schwer!

    [1] de.wikipedia.org/w...Y._Michal_Bodemann

    • @tomás zerolo:

      Auch nur eine These - ann sein, kann aber auch nicht sein, weder zu beweisen noch zu falsifizieren. Wie in den Geisteswissenschaften halt so üblich. Jeder kann sich die Versatzstücke herauspicken, die grad in sein Weltbild passen.

  • 8G
    81283 (Profil gelöscht)

    Anscheinend gibt es nach dem Kommentar – überhaupt – keine sinnvolle Kritik an post-colonial studies. Sehe ich ehrlich gesagt anders.

    Aber wenn der Kommentar nur schreibt A) ist gut und B) ist bäh, macht es auch keinen Sinn mehr, darauf zu antworten. Was bleibt, ist demagogische Leere. Und darauf kann mensch verzichten …

    • @81283 (Profil gelöscht):

      Nun hat der Autor nirgendwo behauptet, dass sich postkoloniale Studien nicht in demselben Maße der Kritik stellen müssten wie andere Forschungsbereiche, sondern lediglich, dass diese Kritik selbst an wissenschaftlichen Standards gerecht werden muss. Es gibt einen Unterschied zwischen Argumentation und Diffamierung. Ihre Einlassung illustriert das - leider - auf sehr unglückliche Weise.

      • @O.F.:

        Die Kritik an bspw. Butler wird wissenschaftlichen Standards durchaus gerecht, ebenso die Kritik an unsinnigen Behauptungen wie Israel sei ein weißes siedlerkolonialistisches Projekt oder ein Apartheidstaat. Es wird im Text nur einfach das Gegenteil behauptet.

        Antisemtismus - gleich welcher Herkunft - als solchen zu benennen, ist keine Diffamierung. Das zu erkennen, fällt denjenigen, die glauben, sie seien die Guten, schwer.

  • Die postkoloniale Theorie ist im Kern idealistisch und ignoriert die ökonomischen Realitäten. Die Misere der Palästinenser ist nicht nur aber ganz überwiegend das Ergebnis ihrer eigenen, selbstverschuldeten Schwäche: fehlende Bildung und katastrophale wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.

    • @Pi-circle:

      Die katastrophale wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist wohl eher Folge als Ursache. Wer einen großen Teil der Ressourcen in die Vernichtung Israels steckt, hat halt weniger für anderes übrig.