Kritik an Antidiskriminierungs-Workshops: Ab mit dir zum Workshop
Unsere Autorin ist im Theaterkosmos zu Hause. Das Wort „Antidiskriminierungs-Workshop“ ist dort schon fast eine Drohung. Das ist ein Problem, findet sie.
E s gibt einen neuen Running Gag an Theatern, den eigentlich niemand lustig findet. Der Witz geht so: Eine Gruppe von Theaterleuten steht zusammen. In einer Zigarettenpause oder beim Feierabendbier. Sie unterhalten sich über dies und das, machen Bemerkungen über die Welt und das Theater, drücken sich gegenseitig den einen oder anderen Spruch rein, und in die ganze Frotzelei hinein sagt plötzlich wer: „Pass auf, was du sagst. Sonst ab mit dir zum Workshop.“
Der Workshop-Witz führt in manchen Fällen noch zu einem letzten Lacher, aber spätestens danach ist over mit der Ausgelassenheit.
Antidiskriminierungs-Workshops sollen Menschen für verschiedene Formen von Diskriminierung sensibilisieren. Im Antirassismus-Training zum Beispiel geht es darum, in welchen Formen Rassismus unseren Alltag beeinflusst und welche Gegenstrategien wir brauchen, um alle gut zusammenarbeiten zu können. Wenn diese Schulungen gut gemacht sind, haben am Ende alle Beteiligten mehr Verständnis für das Thema und füreinander. Sie wissen, wie sie in Zukunft ins Gespräch kommen. Workshops sollen uns Mittel an die Hand geben. Sie waren nie dazu bestimmt, im Strafenrepertoire irgendwo zwischen Eckestehen und Sozialstunden eingeordnet zu werden.
Von der Prävention zur Konsequenz wurden sie auch durch die Diskussion um die Antirassimus-Klausel an deutschen Theatern. Ein erster und sinnvoller Versuch, Künstler*innen ein Instrument an die Hand zu geben, um sich im extrem hierarchischen Betrieb vor Diskriminierung zu schützen. Mit der Klausel verpflichten sich Theater – sollte es zu rassistischen Vorfällen kommen –, eine Schulung durchzuführen, die zur Aufklärung über rassistische Strukturen beiträgt.
„Lernen“ und „Strafe“ werden miteinander verknüpft
Das ist eine sehr wohlwollende Idee. Sie geht davon aus, dass die Person, die beispielsweise etwas Unangemessenes gesagt hat, kein unverbesserlicher Rassist ist, und das Theater kein Scheißverein, sondern dass es schlicht an Verständnis bei einem durchaus komplexen Themenfeld fehlt. In der Praxis wird aber kaum wer die Größe haben zu sagen: „Oha! Meine Äußerung wurde als diskriminierend aufgefasst. Ich muss dringend an mir arbeiten und freue mich auf das Workshop-Angebot durch meinen Arbeitgeber.“ Das Ganze fühlt sich eher an wie Nachsitzen. Und nur deshalb funktioniert der Witz: „Ab zum Workshop!“ heißt so viel wie: Klassenziel nicht erreicht. Autsch. Davon hat niemand was.
Der Person, die von Diskriminierung betroffen ist, mag es kurz das Gefühl geben, dass etwas passiert. Es wird gesehen, dass ihr Unrecht getan wurde. Und das ist schon viel mehr, als in den Jahrzehnten ohne die Klausel möglich war. Aber langfristig schadet es, wenn wir „lernen“ und „Strafe“ miteinander verknüpfen. Es gehört Mut dazu, über den eigenen Schatten zu springen, Privilegien zu erkennen oder Fehler und Wissenslücken zuzugeben. Und es ist eigentlich gar nicht so witzig.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Der Jahrestag der Ukraine-Invasion
Warum Russland verlieren wird
Sieger des rassistischen Wahlkampfes
Rechte Parolen wirken – für die AfD
Nach der Bundestagswahl
Jetzt kommt es auf den Kanzler an
Alles zur Bundestagswahl
Oma gegen rechts hat Opa gegen links noch nicht gratuliert
Wahlsieg der Union
Kann Merz auch Antifa?
Wahlerfolg der Linken
Keine Zeit, jetzt lang zu feiern