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Kriminalstatistik der PolizeiEs geht um soziale Ursachen

Konrad Litschko
Kommentar von Konrad Litschko

Die neue Kriminalstatistik nutzt nicht nur die AfD für Parolen gegen „Multikulti“. Dabei zeigt ein genauerer Blick, dass ein Zusammenhang haltlos ist.

Jede Straftat hinterlässt Opfer, die darunter leiden – ein Viertel von ihnen ist übrigens „nichtdeutsch“ Foto: Monika Skolimowska/dpa

D ie Reflexe sprangen sofort wieder an. Wie bestellt ätzte die AfD über „importierte Kriminalität“ und „Multikultiwahn“. Vertreter der Union erklärten „illegale Migration“ zum „Sicherheitsrisiko“, forderten Abschiebungen, Grenzkontrollen und, mal wieder, eine Obergrenze. Auch Teile der FDP stimmten ein. Polizeigewerkschafter forderten mehr Personal und Befugnisse. Alles erwartbar, alles routiniert. Es ist ein alljährliches Schauspiel, sobald die polizeiliche Kriminalstatistik präsentiert wird. Ein zumeist folgenloses.

Dabei geben die Zahlen durchaus Grund zum Tätigwerden. Nur eben nicht so wie derzeit diskutiert. Gut 5.940.000 Straftaten zählte die deutsche Polizei im vergangenen Jahr, ein Plus von 5,5 Prozent und der höchste Wert seit 2017. Die meisten davon waren Diebstähle (ein Drittel), es folgten Betrug (12 Prozent) und Körperverletzungen (10 Prozent). Gewaltdelikte stiegen um gut 8 Prozent, Raubtaten um 17 Prozent, Messerangriffe um knapp 10 Prozent. Gerade Kinder und Jugendliche verübten mehr Straftaten. Und eben auch Menschen, die in der Statistik als „Nichtdeutsche“ gezählt werden.

Beruhigend ist das nicht, Grund für Panik aber auch nicht. Die Gesamtzahl der Delikte lag jahrelang, von 1993 bis 2016, fast durchweg höher. Und auch die Straftaten der „Nichtdeutschen“ gingen nach 2016 mehrere Jahre zunächst zurück. Alles wird immer schlimmer? Nein. Und das BKA stellte sich schon darauf ein, dass es nach dem Ende der Corona-Einschränkungen wieder mehr Tatgelegenheiten und damit mehr Delikte geben würde.

Zudem wächst in Deutschland die Bevölkerung und mit ihr die Zahl der Straftaten. Mehr „nichtdeutsche“ Be­woh­ne­r*in­nen führen dann auch zu mehr Delikten aus dieser Gruppe – setzt man dies ins Verhältnis, nivelliert sich der Anstieg. Und gerade Geflüchtete weisen mehrere Risikofaktoren auf: Sie sind oft jung und männlich, bringen eigene Gewalterfahrungen mit, leben in beengten Unterkünften und in sozial angespannter Lage. Es sind Faktoren, die im Übrigen bei allen eine Anfälligkeit für Kriminalität erhöhen. Den Vorwurf der kulturellen Prägung stützt die Kriminologie nicht: Nicht die Nationalität ist entscheidend, sondern die soziale Lage, lautet dort der Befund.

Ganz abtun sollte die Debatte aber auch die gesellschaftliche Linke nicht. Jede Straftat hinterlässt Opfer, die darunter leiden

Und es bleibt dabei, dass die Kriminalstatistik nur die Straftaten zählt, die der Polizei auch bekannt wurden – und damit nicht die Kriminalität an sich. Offen bleibt das zumeist große Dunkelfeld und die Frage, ob sich Zahlen nur deshalb erhöhen, weil die Polizei oder Schwerpunktstaatsanwaltschaften bei einem Delikt genauer hinschauen. Genauso bleibt es dabei, dass die Kategorie der „Nichtdeutschen“, die jetzt zu Aufregung führt, von der Polizei denkbar divers befüllt wird: mit Geflüchteten, Touristen oder langjährigen Ein­woh­ner*in­nen ohne deutschen Pass; und mit Straftaten wie „unerlaubter Einreise“, die nur „Nichtdeutsche“ begehen können – die zudem auch noch öfter angezeigt und von der Polizei kontrolliert werden. Verallgemeinern lässt sich so also nicht. Hier könnte die Debatte bereits enden. Tut sie aber nicht – denn zu sehr sind die Zahlen eine vermeintliche Steilvorlage für diejenigen, die Migration schon immer ablehnen.

Fokus auf Intensivtäter

Ganz abtun sollte die Debatte aber auch die gesellschaftliche Linke nicht. Jede Straftat hinterlässt Opfer, die darunter leiden – ein Viertel von ihnen ist übrigens „nichtdeutsch“. Natürlich gehört jede Straftat verfolgt, egal wer sie beging. Ein Fokus auf Intensivtäter wäre sinnvoll – egal woher sie kommen. Gerade Gewalt von Jugendlichen kann die kommende Generation prägen; hier sollte nichts einreißen. Zudem zeigen Dunkelfeldstudien und Opferbefragungen, dass auch dort eine Zunahme an Straftaten berichtet wird. Eine bloße Schimäre ist die Kriminalstatistik also nicht.

Als Antwort nun auf Abschiebung und Obergrenze zu setzen wird nicht funktionieren, schon praktisch nicht. Viele der Tatverdächtigen leben seit Langem in diesem Land oder schon immer und werden dies auch weiterhin. Auch wenn es mehr kostet: Angesetzt werden muss nicht beim Pass, sondern bei den sozialen Ursachen.

Es braucht Teilhabe, Perspektiven, Bildung, Hilfen für Menschen in Notlagen – für alle. Deutlich gestärkt werden müssen Projekte, die in die Schulen gehen, in die Geflüchtetenunterkünfte, in die so­zia­len Brennpunkte. Dort muss klargemacht werden, welche Folgen Gewalt hat – für die Täter, aber auch für die Opfer. Umso fataler, wie zuletzt über das Bürgergeld oder Kinderarmut diskutiert wurde, über Kürzungen bei der Migrationsberatung oder psychosozialen Zentren für Geflüchtete. Wer hier spart, wird Probleme nicht lösen, sondern nur verschärfen – und keine Zahl in der Kriminalstatistik verbessern.

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Konrad Litschko
Redaktion Inland
Seit 2010 bei der taz, erst im Berlin Ressort, ab 2014 Redakteur für Themen der "Inneren Sicherheit" im taz-Inlandsressort. Von 2022 bis 2024 stellvertretender Ressortleiter Inland. Studium der Publizistik und Soziologie. Mitautor der Bücher "Staatsgewalt" (2023), "Fehlender Mindestabstand" (2021), "Extreme Sicherheit" (2019) und „Bürgerland Brandenburg" (2009).
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17 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Genau so wie rechte Populisten mit dem Thema Stimmung machen, versuchen andere Kreise, die Problematik kleinzureden. Beides Hilft kein Bisschen für eine Lösung des Problems.



    Der Anteil von Ausländern die in Deutschland kriminell sind, ist viel zu hoch. Da kann man auch die Vergehen gegen die Einwanderungsbestimmungen herausrechnen oder nicht die Anzeigen sondern die Verurteilungen anschauen, die Ausländer in Deutschland bleiben im Verhältnis zu den Deutschen um ein Vielfaches krimineller. Diese Tatsache gilt es erstmal zu akzeptieren und nicht zu beschönigen. Erst dann kann überhaupt das Problem angegangen werden.

    • @Micha.Khn:

      Es geht eher darum warum sie hoch ist.



      Die Linke lehnt es ab, dass es kulturell, oder genetisch motiviert ist und prangert strukturelle Probleme an.



      Und das ist absolut korrekt so.

  • Ich würde die Statistik auch nicht bagatellisieren wollen, aber sie belegt grundsätzlich nicht die These, dass sich 'böse' Ausländer durch Deutschland randalieren. Die Erfassung illegaler Grenzübertritt ist zum Beispiel eine Nullnummer, weil jeder Asylbewerber das macht/ machen muss, anderenfalls kann er kein Asyl beantragen. Damit sind Asylbewerber nicht kriminell, für die Statistik aber schon.



    Früher wollten NPD und CDU gerne Straftäter abschieben, das würde als Lösung gegen Kriminalität angesehen. Ähnlich dachten in den USA auch Behörden und versuchten Menschen nach Italien abzuschieben, nur blieb die erzielte Wirkung sehr gering.



    Kriminalität muss m.M. mit Prävention begegnet werden und die Verhältnisse dürfen nicht polarisiert sein. Das zeichnet sich aber ab, Niedriglöhne, massenhafte Obdachlosigkeit und verarmende Rentner. Ein Bildungswesen, was Migranten und Arme nach unten und an den Rand drückt. Es gebe genug zu tun, aber es passiert eher wenig. Wenn immer mehr Menschen unter Perspektivlosigkeit leiden, steigt auch die Kriminalität.

  • Die Polizeibeamtin und gleichzeitig grüne Bundestagsabgeordnete Irene Michalich hat doch bestätigt, dass wir keine Schlussfolgerung daraus ziehen können/ dürfen, dass 41 % der Straftäter Migranten sind. Wir sollten das und die Sicherheit im Land nicht über bewerten.

  • Wenn diese Statistiken nur wenig taugen und es nur um „Tatverdächtige“ geht, dann schauen wir uns doch die Gefängnisse und die verurteilten Straftäter an. Wir kommen auf annähernd gleiche Ergebnisse.

  • Im Grunde wird die falsche Statistik verwendet. Die polizeiliche Kriminalstatistik zählt, meines wissen nach, die Einsätze der Polizei.



    Nun lässt sich daraus aber gar nicht ablesen wie hoch die tatsächliche Kriminalitätsrate innerhalb der Bevölkerung tatsächlich ist.



    Beispiel: eine Person lebt in Dorf A und begeht 200 Einbrüche in Dorf Z. In der Kriminalstatistik gilt Dorf Z dadurch als sehr kriminell. Obwohl dort nur Opfer leben. Aber auch Dorf A ist nicht sonderlich gefährlich. Denn dort lebt ja nur ein einziger Täter.

    Wie wäre es wenn wir stattdessen auf die Summe der Verurteilten schauen würden? Ist doch viel präziser und verbreitet nicht so viel Angst.

    Die Einteilung nach Deutsche und Nichtdeutsche ist doch ebenso irrelevant. Arm und Reich wäre eine viel geeignetere Kategorisierung.

    • @----------:

      Die Kriminalstatistik listet die angezeigten Taten auf. Sie schlüsselt zudem auch auf, um welche Delikte es geht (auch in Gruppen wie Gewalt-, Eigentums-, Tötungsdelikte). Die Unschärfen durch den Umstand, dass es um "Verdachtsfälle" geht, werden dadurch ausgeglichen, dass dies für die Jahre vorher und hinterher genauso gilt, mal also Entwicklungen erkennt.

      Zudem fallen Taten natürlich nicht in die Aufschlüsselung nach Nationalität, wo kein Täter ermittelt werden konnte.

  • "Es braucht Teilhabe, Perspektiven, Bildung, Hilfen für Menschen in Notlagen – für alle."



    Schön und gut.



    Dafür braucht es aber Geld und Menschen (aka "Personal"). Leider ist Beides nicht unbegrenzt verfügbar, und den Klimawandel und ein paar andere Baustellen haben wir auch noch. Und wir haben bereits mit den Menschen, die schon hier sind und die schon hier geboren wurden, Schwierigkeiten.



    Es geht um die Verteilung der stets begrenzten Ressourcen. Wer Geld fordert, sollte wenigstens plausibel (!) begründen können, wo es herkommen soll.

  • Auf Strohmänner ist zu achten. Es ist nicht das einzige Beispiel, aber ein (pauschal) unterstellter Essentialismus zählte dazu. Es ist immer etwas schwierig wenn auch akademisch beliebte Taktik, Begriffe einfach soweit aufzupulen, bis man Ursachen an vermeintlich unabhängigen Einzelaspekten knüpfen kann, die in der bestimmten Zusammensetzung aber gerade den Begriff begründen und dann oft auch gar nichts anderes ergeben können. Selbstverständlich können bestimmte Ethnien oder Nationalitäten eben auch in bestimmter Hinsicht "vorbelastet" sein oder vulnerabel, qua dessen, also ihrer Herkunft, Erfahrungen u.v.m. Mal unabhängig davon, ob das allein krimineller machte, oder eher erst im Zusammenspiel mit weiteren Faktoren. Das einzusehen und auch nicht bloss selbstgerecht unterzubuttern für mich auch ne Frage des Respekts, des aufrichtigen Interesses, Verständnis und der Bereitschaft zur Erkenntnis möglicher Probleme, die nun mal Grundlage wäre für alles weitere. Selbstgespräche und Boden- und Deutungsgefechte in der Kartoffelblase werden garantiert nichts bewirken. Was hier jetzt erkannt werden will, also erst ne Statistik brauchen sollte vom neuerdings geschätzten (?) BKA, ist ja nicht zuletzt, worauf manche all die Jahre hingewiesen haben. Dass mit einer mind. in puncto Alter und Geschlecht bedenklich homogenen Zuwanderung best. Folgen zu erwarten sind. Vor allem, wenn die Bevölkerung - offensichtlich - entweder nicht willens sein würde oder nicht hinreichend fähig, "es zu schaffen", und das ist ein dickes Es. Dabei ist es in der Tat relativ gleich, woher die Menschen kommen. Aber das haben auch wirklich nur die Plumpesten aller Mahner geleugnet oder Nazis, und es ist doch bezeichnend, wenn man sich jetzt auf die einschiessen muss. Und es wiederholt denselben, alten Fehler, nämlich eine Vielzahl von Menschen demgemäss in Ecken zu stellen, in die sich nicht gehören. Diese Entwicklungen haben auch was zu tun mit Scheitern. Wessen?

  • Es geht nicht darum, was für ein Schrott die AfD dazu sagt, wenn bspw. in Bremen bei Raubdelikten von den 135 der ermittelten Tatverdächtigen knapp die Hälfte aus Marokko und Algerien stammen. www.inneres.bremen...S%202023.32191.pdf

    Es geht darum, was die anderen Parteien und die demokratischen Medien dazu zu sagen haben.

    Wenn da nur Schweigen im Walde ist, dann wird nur noch die AfD gehört. Wer da schweigt, fördert die AfD.

    • @Rudolf Fissner:

      Genau so ist es. Man hört leider all zu oft nur das Schreien der Populisten und zu wenig Gegenrede der demokratischen Parteien.

    • @Rudolf Fissner:

      Absolut richtig. Es ist ein großer Trugschluss zu meinen durch Nichtbeachtung irgendetwas besser zu machen.

  • Ein guter Artikel. Wichtig ist aber, dass die Opfer jetzt und in Zukunft richtig geschützt werden. Denn das betrifft uns Alle.

  • @1PYTHAGORAS

    Wenn es Ihnen um die potenziellen Opfer geht, dann müssen Sie schon an die potenziellen Täter ran. Also Sie und ich.

  • Nehmen wir die Zahlen so wie sie nun mal sind.



    Schönschreiben oder relativieren, was soll das.



    Unsere Regierung ist gefordert die nötigen Maßnahmen zu ergreifen um alle in Deutschland lebenden Menschen bestmöglich vor Gewalt und Intensivtätern zu schützen.

  • Endlich einmal ein Artikel der vieles geraderückt, was in der öffentlichen Berichterstattung und in den politischen Alibidiskussionen in Schieflage geraten ist.



    Vielen Dank dafür.

  • „Angesetzt werden muss nicht beim Pass, sondern bei den“ Tätern!



    Der Schutz der potenziellen Opfer erfordert, dass bei der Verfolgung und Abwehr dieser Taten keine Ausnahmen gemacht werden.