Krieg in der Ukraine: Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Medienberichten zufolge haben die USA der Ukraine den Einsatz von Raketen mit großer Reichweite gegen Ziele in Russland gestattet. Präsident Selenskyj möchte dies „nicht mit Worten kommentieren“.
Eine offizielle Bestätigung stand am Montag früh noch aus, und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj äußerte sich in seiner abendlichen Ansprache am Sonntag ausweichend: „Heute sprechen viele Medien davon, dass wir die Erlaubnis erhalten haben, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Aber wir werden diese Maßnahmen nicht mit Worten kommentieren. Solche Dinge werden nicht angekündigt. Die Raketen werden für sich selbst sprechen.“
Monatelang hatte die Ukraine vergeblich darum gebeten, die Militärstellungen zerstören zu dürfen, von denen aus Russland jede Nacht die Ukraine bombardiert. Bisher war die Ukraine dabei auf den Einsatz selbst gebauter Drohnen beschränkt, das allerdings zunehmend effektiv, wie die häufigen Berichte über beschädigte Ölraffinerien und brennende Militärlager tief in Russland zeigen.
Mit modernen Raketensystemen wäre das noch viel einfacher. Im Mai 2023 hatten Großbritannien und Frankreich der Ukraine erstmals luftgestützte Kurzstreckenraketen der Typen Storm Shadow und Scalp geliefert, die mit einer theoretischen Reichweite von 155 Meilen (250 Kilometer) Stellungen auch weit hinter der Front treffen können. Die USA lieferten ab September 2023 der Ukraine eine abgespeckte Version ihrer Kurzstreckenrakete ATACMS (Army Tactical Missile System) mit einer Reichweite von 165 Kilometern.
Russland musste Logistik verlegen
Russische Munitionslager auf der Krim, Kriegsschiffe im Schwarzen Meer, Brücken tief in der Südukraine rückten plötzlich in die Reichweite der Ukraine. Russland musste seine Logistik verlegen – jenseits der Reichweite, auf die die an die Ukraine gelieferten westlichen Raketen programmiert waren.
Im Mai 2024 erlaubten die USA unter dem Eindruck massiver russischer Angriffe auf die Millionenstadt Charkiw der Ukraine erstmals, mit US-Waffen auch Stellungen in Russland zu zerstören, von denen aus Charkiw beschossen wurde. Aber eine völlige Freigabe gab es nicht. Nun wird mit der neuen Befugnis für den Einsatz der ATACMS-Raketen die Reichweite auf gut 300 Kilometer erhöht und die Zielfreigabe den Berichten zufolge auf das Umfeld der russischen Grenzregion Kursk erweitert. Eine ganze Reihe wichtiger russischer Luftwaffenbasen könnte damit von der Ukraine angegriffen werden. Wie viele ATACMS-Raketen die Ukraine jetzt zur Verfügung hat, ist nicht bekannt.
ATACMS-Raketen fliegen viermal so schnell wie gewöhnliche Marschflugkörper, sehr niedrig und mit dreifacher Schallgeschwindigkeit; die Sprengköpfe enthalten Streumunition, die das angesteuerte Ziel komplett zerstören können. Ein britischer Militärexperte sagte dem Daily Telegraph, ein ATACMS-Angriff sei mit der gängigen Raketenabwehr fast unmöglich abzuwehren: „Es ist höchstens etwa 30 Sekunden lang in deinem Einsatzgebiet, also musst du sehr schnell darauf feuern und es ist kein einfaches Ziel.“
Der US-Kurswechsel wird als Reaktion auf den Einsatz von Truppen aus Nordkorea durch Russland dargestellt. Tausende Nordkoreaner sind gegen ukrainische Truppen im Einsatz, die ein kleines Gebiet der russischen Region Kursk besetzt halten. Bei den meisten der über 10.000 Mann soll es sich um Spezialkräfte aus dem berüchtigten 11. Korps handeln. Nordkorea exportiert außerdem große Mengen Munition nach Russland und laut Financial Times sollen 50 Haubitzen und 20 Mehrfachraketenwerfer aus nordkoreanischer Produktion in Russland eingetroffen sein. Diktator Kim Jong Un lässt sich für seine Söldner nicht nur mit Geld bezahlen, sondern auch mit Militärtechnologie. Zudem können die nordkoreanischen Soldaten gegen die Ukraine praktische Erfahrungen sammeln, die Nordkorea auch gegen Südkorea nutzen könnte.
Nordkoreas Allianz mit Russland hat einen geopolitischen Domino-Effekt ausgelöst. Während Südkorea und Japan enger an die Nato heranrücken, kooperieren China, Nordkorea, Russland und Iran immer enger miteinander. Da passt, was die EU am Montag nach ausgiebiger Prüfung festgestellt hat: Dass Drohnen aus einer chinesischen Fabrik „nach Russland geliefert und im Krieg gegen die Ukraine eingesetzt werden“, wie es auf dem EU-Außenministertreffen hieß. Und die EU sowie Großbritannien verhängten am Montag zusätzliche Sanktionen gegen Iran: ein Ausfuhrverbot für alle zum Drohnenbau nutzbaren Komponenten und einen Handelsstopp mit allen Häfen, die für den Transfer solcher Technologie nach Russland genutzt werden.
Ob Frankreich und Großbritannien dem US-Schritt folgen und auch ihrerseits der Ukraine den Einsatz ihrer Waffensysteme gegen Ziele auf russischem Staatsgebiet erlauben, war am Montag zunächst noch offen. Allerdings hatten sowohl Premierminister Keir Starmer als auch Präsident Emmanuel Macron diesen Schritt längst eingefordert. Die Regierung der Ukraine wiederum hatte dem US-Verteidigungsministerium bereits im August eine Liste potenzieller russischer Ziele vorgelegt.
Russland gibt sich äußerlich unbeeindruckt. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte, die scheidende US-Regierung wolle „Öl ins Feuer gießen“ und eine „weitere Eskalation provozieren“. Der kremlloyale Militärexperte Konstantin Siwkow nannte „drei Antworten“ des Kremls: Raketen abschießen („das haben wir mittlerweile gelernt, trotz erheblichem Schaden, den das anrichtet“), russische Langstreckenwaffen an US-Gegner übergeben wie Libanons Hisbollah oder Jemens Huthi-Rebellen, oder US-Stützpunkte außerhalb den USA angreifen.
Für den ehemaligen russischen General Andrej Guruljow scheint alles klar: „Einfach mit dem Atomknüppel draufhauen! Erst auf die Briten, dann auf die USA! Sowohl Biden als auch Trump vom Erdboden tilgen!“
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