Das Logo zeigt einen Totenschädel in einem Fadenkreuz. Auf Russisch und Englisch steht der Name "Wagner" über und unter dem Schädel

Logo des privaten russischen Militärunternehmens „Wagner“ Foto: Imagebroker/imago

Krieg in der Ukraine:Russlands Schattenarmee

Die Wagner-Söldnerarmee war bisher vor allem Moskaus verlängerter Arm in Afrika. Jetzt wird sie im Kampf gegen Kiew gebraucht.

28.3.2022, 10:33  Uhr

Der Weg an die ehemalige Frontlinie in Ain Zara führt über Glassplitter, aus den Häusern geflogene Fensterrahmen und Patronenhülsen. Hier, am südlichen Stadtrand von Tripolis, tobten 18 Monate lang heftige Kämpfe zwischen den Milizen, die die Hauptstadt verteidgten, und den mit dem ostlibyschen General Khalifa Haftar verbündeten Paramilitärs der russischen Militär-Firma Wagner.

„Die Wagner-Söldner haben rücksichtslos auf alles geschossen, was sich bewegt“, erinnert sich Mohammed al-Haddad, „auch fliehende Frauen, Kinder und Verletzte.“ Der einstige Ingenieur lag im Sommer 2019 hinter einem von Baggern aufgehäuften Sandwall, als die taz ihn zum ersten Mal traf. Im Herbst 2021 gab es ein zweites Treffen, außerdem beruht dieser Text unter anderem auch auf einem Besuch in Tripolis vor zwei Wochen.

Im Sommer 2019 versuchten Haddad und andere Kämpfer, den nur wenige hundert Meter entfernten Scharfschützen und am Himmel brummenden Drohnen zu entgehen. Mittlerweile ist Haddad Chef der westlibyschen Armee und könnte bald wieder dem Feind von damals gegenüberstehen – denn wieder hat Libyen zwei rivalisierende Regierungen, wieder droht ein Machtkampf um die Hauptstadt.

Wagner – eine Schattenarmee, die in den vergangenen Jahren in allen nennenswerten Kriegsgebieten Europas, des Nahen Ostens und Afrikas auftauchte: in Syrien, Libyen, der Zentralafrikanischen Republik, Mosambik, zuletzt in Mali. Ihre Spuren sind diffus: geheime Verträge, geheime Stationierungen. Sichtbar wurden in Libyen modernste russische Panzir-Luftabwehrsysteme und MiG-29-Kampfjets. Russland bestreitet systematisch, mit Wagner etwas zu tun zu haben. Doch derartiges Kriegsgerät wäre niemals ohne grünes Licht vom Kreml in private Hände gelangt.

Die Zahl der Wagner-Söldner in Libyen wird auf rund 2.000 geschätzt. Ihre Identität ist geheim. Es gibt nur wenige verschwommene Fotos, von Passanten bei ihrem Abzug gemacht.

Jamal Alaweeb, Ingenieur und Kämpfer der westlibyschen Armee

„Sprengfallen in Kinder­zimmern hat selbst der Islamische Staat nicht gelegt“

Ein Mitkämpfer von Haddad zeigt auf eine ehemalige Stellung von Wagner. Überall in Ain Zara lauern noch die Sprengfallen, die Wagner-Söldner und Haftar-Soldaten vor ihrem Abzug Mitte 2020 „zur Begrüßung der zurückkehrenden Familien vorbereitet haben“, sagt ein Leibwächter von Haddad, Ironie schwingt in seiner Stimme. „Hier in Tripolis war das Ziel die Vertreibung der Zivilbevölkerung, wie jetzt in der Ukraine“, erklärt Haddad den Einsatz der Russen. „Söldner aus Osteuropa waren dafür besonders gut geeignet. Haf-tars libysche Offiziere hatten eher Skrupel.“ Die russischen Wagner-Soldaten haben in Libyen eine eindeutige Handschrift hinterlassen.

„Ich habe Selbstmordattentate und Artilleriebeschuss überlebt und viele Freunde dabei verloren“, erzählt Jamal Alaweeb der taz am Telefon. Der Ingenieur kämpfte 2011 gegen Gaddafi, 2015 in Sirte gegen den „Islamischen Staat“ und 2019 in Tripolis gegen Haftar. „Aber von der Brutalität der Wagner-Söldner war ich überrascht“, sagt er. „Sprengfallen in Kinderzimmern hat selbst der Islamische Staat nicht gelegt.“

Das Wagner-Tablet

Ein zwei Meter tiefer Graben war damals der letzte Vorposten Wagners, einen Steinwurf von der Front entfernt. Bei einem Gegenangriff floh wohl ein hier stationierter Wagner-Kämpfer überhastet. Nach Kriegsende fand ein Entminungsspezialist dort ein verstaubtes Samsung-Tablet. Zu Hause lud er die Batterie auf und wunderte sich über die kyrillische Schrift und die Landkarten auf dem Gerät. Über den libyschen Militärgeheimdienst landete das Tablet letztlich beim britischen Sender BBC und bei IT-Experten. Die Daten des Tablets verrieten erstmals die Identitäten von Kämpfern und die Kommandostruktur der Wagner-Truppe.

Mohamed Haddad, Generalstabschef der westlibyschen Armee

„Die Wagner-Leute hielten immer Abstand, den Nahkampf überließen sie ihren Schutztruppen: Islamisten und Söldnern aus Syrien oder Sudan“

„Man fand die Beweise für unsere Beobachtungen der Geisterarmee, die wir oft nur als Schatten an der Front sahen“, sagt einer der taz-Begleiter beim Besuch im Herbst 2021. „Ihre Ausrüstung ist das Modernste, was Moskau aufzubieten hat.“ Den Verteidigern der Zwei-Millionen-Metropole Tripolis steht der Überlebenskampf von 2019 bis 2020 bei diesem Treffen noch immer ins Gesicht geschrieben. Sie organisierten die Verteidigung mit Freiwilligenbrigaden, ähnlich wie es jetzt in der Ukraine geschieht.

Bekannt waren die maskierten Wagner-Männer dafür, dass sie keine Gefangenen machten. „Scharfschützen erkannten wir daran, auf welche Körperteile sie zielten“, sagt Haddad und steigt auf einen Berg voller zerborstener Metallstreben. „Die Wagner-Leute hielten immer Abstand, den Nahkampf überließen sie ihren Schutztruppen: Islamisten und Söldnern aus Syrien oder Sudan.“ Diese hätten anders als die Wagner-Leute hohe Verluste erlitten, so Haddad. Er zeigt auf eine von Baggern zugeschüttete Grube. Dort sollen diese Kämpfer der Gegenseite begraben sein.

Verbrannte Erde – das ist es, was Wagner hinterlässt. In den Straßenzügen rund um das Gefängnis von Ain Zara sind die Fassaden mit Einschusslöchern übersät. In der Dämmerung brennt nur in wenigen der mit Plastikfolie verklebten Fenster Licht. Vor allem die als Gefechtsstand genutzten Gebäude wurden von Drohnenangriffen fast völlig zerstört und damit für immer unbewohnbar.

Ähnlich sieht es nun auch aus in den Städten der Ukraine oder im syrischen Aleppo – überall dort, wo Wagner nachweislich zum Einsatz kam. Die Bilder der Schutthaufen und Ruinen im ukrainischen Mariupol erinnern an die tschetschenische Hauptstadt Grosny nach der russischen Invasion, die 2009 offiziell beendet wurde. Grosny galt damals als die durch Krieg am schwersten zerstörte Stadt weltweit.

Zahlreiche Wagner-Söldner haben in Grosny gekämpft. Es war der Beginn der russischen Privatarmee, zusammengesetzt aus kampferfahrenen Russen, Serben, Tschetschenen, die zum Teil bereits in Jugoslawien gekämpft hatten und seitdem im Dienste Moskaus auf privaten Soldlisten stehen. „Mit Wagner entstand eine Hybridarmee aus russischen Streitkräften, lokalen Söldnern und osteuropäischen Militärexperten“, sagt Iliasse Sidiqui, ein Analyst für eine westeuropäische Sicherheitsfirma, der die Wagner-Aktivitäten seit Jahren beobachtet.

In Kriegsgebieten wie Libyen tritt Wagner als „Ausbildungsteam“ auf, um lokale Truppen fit zu machen. Offiziell entsendet Moskau Militärausbilder, tatsächlich landen vollständig ausgerüstete Kampfeinheiten.

Wo der Name „Wagner“ herkommt

Libyens General Haftar bat im Sommer 2017 Russlands Außenminister Lawrow in Moskau um militärisches Gerät und Militärexperten. Im Dezember 2017 empfing er in Bengasi Emissäre von Wagner. Damals kämpfte er gegen islamistische Milizen in Ostlibyen, wo der Großteil des libyschen Öls aus dem Boden gepumpt wird. So wurde Libyen für Wagner zur Goldgrube. In einem 2018 im Internet veröffentlichten Video sitzt der libysche General an einem langen Tisch im Kreml zwischen dem russischen Verteidigungsminister Sergei Schoigu und dem Oligarchen Jewgeni Prigoschin, der Finanzmogul hinter Wagner.

„Wagner“ – das war ursprünglich der Kriegsname von Oberstleutnant Utkin, ein Fallschirmspringer-Veteran der Spezialeinheiten des russischen Militärgeheimdienstes GRU. Nach seiner Pensionierung 2013 ließ er sich als Veteran von der russischen Sicherheitsfirma Slavonic Corps zuerst in den Irak, später in die Ostukraine und auf die Krim entsenden, wie so viele ehemalige russische Soldaten, deren staatliche Rente nicht ausreicht, um zu überleben.

Ein Mann in Tarnkleidung Maske steht am Rande einer Parade von Mädchen in weißen Kleidern und roten Hüten. Der Soldat ist mit einem Sturmgewehr bewaffnet

Von Wagner trainierter Soldat überwacht ein Fest im zentralafrikanischen Bangui Foto: Asheley Gilbertson/The New York Times/laif

Im Donbass wurde Utkin mit einem Wehrmachtshelm an der Front gesichtet, seine beiden SS-Tatoos am Hals deutlich sichtbar. Utkin macht aus seiner Leidenschaft für das „Dritte Reich“ keinen Hehl. Als die Firma Slavonic Corps, die als Sicherheitsfirma im Irak und auf Handelsschiffen vor der Küste Somalias stationiert war, 2014 durch den russischen Staat aufgelöst wurde, präsentierte sich Utkin unter einem neuen Firmennamen: „Wagner“.

Offiziell streitet Russlands Regierung alle Kontakte zu Wagner ab, private Militärfirmen sind in Russland illegal. Laut russischen Quellen traf sich Russlands Generalstabschef aber bereits 2010 mit Eeben Barlow, Gründer der südafrikanischen Sicherheitsfirma Executive Outcomes, die in den 1990er Jahren mit arbeitslosen weißen Spezialkräften von Südafrikas Apartheidregierung Kriege in Afrika führte.

Die Direktoren von Utkins erstem Arbeitgeber Slavonic Corps wurden 2014 von einem russischen Gericht wegen Söldnertum in Syrien verurteilt. Das russische Parlament lehnte 2018 den Einsatz von Privatfirmen in Sicherheitsfragen ab. Laut israelischen Geheimdienstinformationen ist die Firma „Wagner Group“ nicht offiziell in Russland registriert, sondern in Argentinien.

2015 expandierte Wagner nach Syrien, auf Einladung des dortigen Präsidenten Assad. Wagner-Söldner wurden laut Vertrag vom syrischen Energieministerium dafür bezahlt, Ölförderanlagen zu schützen. Gemeinsam mit Assads Soldaten lieferten sich Wagner-Kämpfer im Sommer 2015 eine wochenlange Schlacht mit kurdischen Truppen, die von den USA unterstützt wurden, und verloren fast 100 Kämpfer. Die US-Geheimdienste verfügen über Telefonaufzeichnungen aus jenen Tagen zwischen Oligarch Prigoschin und dem Kreml in den Tagen der Palmyra-Schlacht. Prigoschin bat Putin, seine verletzten Kämpfer auszufliegen, der schickte Russlands Luftwaffe nach Syrien.

Als Auszeichnung erhielt Utkin am 9. Dezember 2016, am „Tag der Helden des Vaterländischen Krieges“, von Putin eine Tapferkeitsmedaille. Ebenso wie Andrej Troschew, der spätere Chefleibwächter von Prigoschin. Die beiden kennen sich aus alten Kriegszeiten, sind quasi Waffenbrüder. Als Utkin im Donbass die Firma Wagner ins Leben rief, vermittelte Troschew ihn offenbar an seinen Oligarchenfreund Prigoschin. Utkin wurde daraufhin kurzzeitig Geschäftsführer von Prigoschins Firma Concord.

Der russische Oligarch Prigoschin, dessen Privatvermögen auf über 200 Millionen US-Dollar geschätzt wird, ist bekannt unter dem Spitznamen „Putins Koch“. Zu Sowjetzeiten war er in Leningrad, heute Sankt Petersburg, Chef eines kriminellen Netzwerks, kam neun Jahre ins Straflager und stieg zum Gangsterchef auf. Er wurde Teil jener „Diebe im Gesetz“ (wory w zakone), die nach dem Zerfall der Sowjetunion als Mafiaorganisation weltweit im Waffen-, Drogen- und Menschenhandel tätig wurden.

Laut offizieller Geschichtsschreibung machte sich Prigoschin nach seiner Freilassung mit einem Hot-Dog-Stand in Moskau selbstständig, dann eröffnete er St. Petersburgs erstes Kasino, eine Geldwaschanlage für das organisierte Verbrechen. Als Putin 2000 Präsident wurde, wollte er die russische Gangsterwelt unter seine Kontrolle bekommen und wandte sich an seinen Freund Prigoschin, den er aus St. Petersburg kannte. So wurde Prigoschins Firma Concord zum Caterer für russische staatliche Schulen und die Armee – ein Milliardenauftrag. Prigoschin gilt auch als Hintermann hinter der Online-Troll-Agentur Internet Research Agency, die 2016 mutmaßlich versuchte, die US-Wahlen über Fake News zu beeinflussen. Mittlerweile steht Prigoschin auf internationalen Sanktionslisten.

Drehkreuz Zentralafrika

Nirgends auf der Welt ist Wagner heute so mächtig wie in der Zentralafrikanischen Republik, ein Land im Bürgerkrieg, dessen Bevölkerung in Armut lebt, das aber über Gold und Diamanten verfügt. Seit 2018 trainiert Russland die zentralafrikanische Regierungsarmee, russische Kämpfer stellen die Leibgarde von Präsident Faustin Touadéra.

Vor dessen Wiederwahl Ende 2020 teilte Russland dem für die Überwachung des Waffen­embargos gegen das Land zuständigen UN-Sanktionskomitee mit, es seien „300 unbewaffnete Ausbilder“ entsandt worden, um die lokale ­Armee zu unterstützen. Im jüngsten UN-Expertenbericht von 2021 ist die Rede von 800 bis 2.100 russischen „Ausbildern“ – alle bis an die Zähne bewaffnet. Kampfhubschrauber und Maschinengewehre seien von russischen und kasachischen Transportmaschinen ins Land gebracht worden.

Ein Platz hinter einem Absperrband. Dort liegen viele metallene Gegenstände, von denen viele wie Rohre oder Projektile aussehen

Ein Sammlung von Sprengkörpern aus libyschen Siedlungen, darunter auch Sprengfallen von Wagner Foto: Hazem Turkia/Anadolu Agency/iago

Zeugen, darunter Soldaten der zentralafrikanischen Armee, berichteten den UN-Experten in den vergangenen Jahren, dass die Russen in direkte Kampfhandlungen verwickelt seien. Ihnen werden auch schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.

Laut UN-Expertenbericht wurden auch „russische Ausbilder“ gesichtet, die „sich selbst als Staatsangehörige Libyens, Syriens und anderer Länder auswiesen“. In einigen Gegenden außerhalb der Hauptstadt Bangui seien „von Dezember 2020 bis Anfang März 2021 etwa 60 ausschließlich arabischsprachige Ausbilder, die sich meist selbst als Syrer bezeichneten, im Rahmen eines Dreimonatsvertrags eingesetzt worden“. Die Flugrouten mehrerer russischer Militärflugzeuge, die zwischen Dezember 2020 und April 2021 diese Truppen absetzten, bestätigen: Auf dem Weg von Russland nach Zentralafrika machten sie Halt in Syrien, Libyen, Sudan und Südsudan.

Umgekehrt sind auch Zentralafrikaner anscheinend bereit, für Russland in den Krieg zu ziehen. In einem Onlinevideo, das auf Twitter kursiert, stehen zehn zentralafrikanische Soldaten in Kampfausrüstung stramm. „Wir haben gehört, was in der Ukraine passiert“, sagt der Kommandeur in die Kamera: „Die russischen Soldaten führen eine Spezialoperation aus, um Frieden zu bringen. Wir afrikanischen Soldaten sind bereit, unsere russischen Brüder zu unterstützen.“

Abzug aus Afrika – gen Ukraine

Offenbar internationalisiert sich Wagner, um auch nichtrussische Kämpfer in die Ukraine zu bringen. Pauline Bax vom Thinktank International Grisis Group (ICG) bezweifelt, dass dies funktioniert: „Diese Männer müssen ja bezahlt werden“, so Bax. Die Firma zahle ihren Kämpfern Gehälter von mehreren Tausend Dollar pro Monat. Ob in Zentralafrika, Libyen, Syrien oder Mali – dieser Sold wird durch lukrative, meist geheime Verträge mit den Regierungen in den jeweiligen Ländern beglichen, so die Analystin.

Doch überall in Afrika rüstet sich Putins Schattenarmee, um Russland in der Ukraine zu helfen, quer durch Afrika werden Wagner-Truppen verlegt. Kommandeure der westlibyschen Milizen bestätigen der taz die Verlegung der Wagner-Einheiten innerhalb Libyens. Eine von Panzir-Luftabwehr-Fahrzeugen begleitete Kolonne ist nun auf dem südlibyschen Flughafen Brak Shati stationiert. Eine unbekannte Zahl an MiG-29 Jets steht im zentrallibyschen Jufra zum Einsatz bereit, bewacht von sudanesischen und tschadischen Söldnern im Auftrag von Wagner.

Mit dem ostlibyschen Flughafen Al Khadim, den regelmäßig russische Transportflieger aus Syrien anfliegen, haben die Paramilitärs von Wagner damit Zugriff auf drei Flughäfen in Afrikas ölreichstem Land. Über Libyen kann Wagner auch Energielieferungen aus Afrika nach Europa kontrollieren. Italiens Regierungschef Mario Draghi kündigte letzte Woche Verhandlungen mit der libyschen Regierung in Tripolis über die Ausweitung des Gas- und Ölexports über die „Greenstream“-Pipeline nach Europa an. Doch die Wagner-Einheiten könnten das zusammen mit Haftars Armee vereiteln. Die Besetzung libyscher Pipeline-Knotenpunkte hat schon in der Vergangenheit die Ölpreise in die Höhe schießen lassen.

Mit Besorgnis sehen Experten die Stationierung von Wagner-Söldnern in der kleinen ostlibyschen Hafenstadt Bomba. Mit kleinen Kommandoaktionen hatten dort einst Kämpfer des IS Angriffe auf Handelsschiffe geplant. Der Flughafen von Bomba könnte nun zur Verlegung von Söldnern aus Libyen in die Ukraine dienen, so ein Offizier der ostlibyschen Armee, der zu Besuch in Tripolis ist. „Libyen ist Schauplatz eines kalten Krieges, der dann ausbrechen wird, wenn jemand in Moskau das für richtig hält“, sagt er.

Während des Gesprächs in einem Café beobachtet er mit einer Flugüberwachungsapp auf seinem Smartphone alle Flugbewegungen von und nach Libyen. Gerade ist wieder eine russische Antonow-Transportmaschine in Richtung Syrien gestartet. „Uns war von Anfang an klar, dass der russische Einsatz in Afrika nur die Vorbereitung eines Angriffs auf die Ukraine ist. Das haben uns die Wagner-Leute sogar persönlich gesagt.“

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ließ Anfang März verlauten, dass Wagner-Söldner eine regelrechte Jagd auf ihn ausgerufen haben, um ihn zu ermorden. Laut dem Verteidigungsrat der Ukraine entkam Selenskyi bereits vier Angriffen von tschetschenischen Scharfschützen und Wagner-Truppen in Kiew. Am vergangenen Sonntag meldete das ukrainische Verteidigungsministerium, der libysche General Haftar sei bereit, Kämpfer zur Unterstützung der russischen Armee zu schicken.

Bereits im Januar wurden die Wagner-Einheiten in der Zentralafrikanischen Republik „deutlich reduziert“, so die UN-Experten, die das Waffenembargo gegen das Bürgerkriegsland überwachen. Die Vermutung liege nahe, dass das Personal abgezogen worden sei, „um die russische Offensive in der Ukraine zu unterstützen“.

Wagner-Söldner bestätigen das. Im BBC erklärte ein Wagner-Kämpfer in der Zentralafrikanischen Republik, man sei zu „einem Picknick in der Ukraine“ eingeladen worden. Wagner habe vor dem Krieg dort einen internationalen Rekrutierungsaufruf gestartet. Dieser richte sich vor allem an „Personen mit Vorstrafen, Schulden, Ausgeschlossenen aus Söldnergruppen oder ohne fremden Pass“ – also Kriminelle, die in keiner regulären Armee mehr genommen werden.

Mittlerweile ist eine Bewerbung bei Wagner online möglich. Über die im November 2021 in Bangui erstellte Internetseite „Join-Wagner.com“ kann man seine Personalien eingeben. Auf der Seite werben Bildergalerien mit schwer bewaffneten uniformierten Männern. Sie sind positioniert vor einer Wand aus Feuer, in der Mitte ein Adler, der einen Totenkopf an den Krallen hält.

„Schließen Sie sich Wagner an“, lautet der Aufruf: „um den Frieden und die Ruhe der Zivilbevölkerung vor Banditen und Terroristen zu schützen!“ Darunter eine Afrika-Karte, auf der Länder rot markiert sind, in denen Wagner-Söldner stehen: von Mauretanien bis Mosambik und Madagaskar. Insgesamt seien es „über 50.000“, dazu „über 200.000 in Reserve“.

Ob das Rekrutierungsschema funktioniert, ist fraglich. Die taz sprach mit einem Ugander, der sich über diese Webseite beworben hat – zwei Wochen später hatte er noch keine Antwort erhalten.

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