piwik no script img

Korruption in der UkraineSag mir, wie viel du verdienst

Ukrainische Beamte und Politiker sollen ihr Einkommen auf Drängen von Präsident Selenski offenlegen. Er reagiert damit auf gesellschaftlichem Druck.

Unter Druck: der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski Foto: Brendan Smialowski/Pool via dpa

Berlin taz | Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat sein Veto gegen ein Gesetz eingelegt, das Details zur Wiedereinführung elektronischer Einkommenserklärungen von Beamten regeln soll. Dieses sieht vor, dass Nutzer auf der Website der Nationalen Agentur für Korruptionsbekämpfung herausfinden können, was Beamte und Abgeordnete aller Ebenen zuletzt und in den Vorjahren verdienten. Das Gesetz gilt als einer der wichtigsten Schritte bei der Umsetzung von Anti-Korruptions-Reformen in der Ukraine.

Die Pflicht, die eigenen Einnahmen zu melden, wurde für Beamte zu Beginn des Krieges 2022 ausgesetzt – vorgeblich aus Sicherheitsgründen. Wie Transparency International bekannt gab, hat im letzten Jahr nur ein Drittel aller ukrainischen Beamten freiwillig Einnahmen deklariert. „Wenn das so weitergeht, bedeutet dies de facto eine Demontage einer der Hauptstellschrauben der Anti-Korruptions-Reformen der Ukraine“, so die Organisation.

Schon im September 2022 hatte David Arachamia, Fraktionschef von Selenskis Partei Diener des Volkes, unter Verweis auf eine Forderung der Europäischen Kommission einen Gesetzentwurf zur Wiedereinführung der Meldepflicht eingebracht. Seit fast einem Jahr warten die europäischen Partner der Ukraine und die ukrainischen Korruptionsermittler auf die Rückkehr der verpflichtenden elek­tronischen Einkommenserklärung. Das fordert auch der Internationale Währungsfonds (IWF), der in diesem Herbst ein erweitertes Finanzierungsprogramm für die Ukraine auflegen will. Die Unterstützung durch den IWF ist für die Ukraine wichtig. Ihre Haushaltseinnahmen hängen aktuell zu 60 Prozent von ausländischen Gebern ab.

In den 18 Kriegsmonaten kam es in der U­kraine zu Dutzenden Skandalen im Zusammenhang mit Einkünften und teuren Anschaffungen von Abgeordneten, Beamten, Richtern und Militärkommissaren. Sollten durch die Wiedereinführung der Einkommenserklärung für Beamte noch mehr Korruptionsfälle an die Oberfläche kommen, könne das nach hinten losgehen, so Jurij Nikolow, Journalist und Autor mehrerer Untersuchungen über Korruption im ukrainischen Verteidigungsministerium, gegenüber dem Sender NV Radio.

Petition sammelt 85.000 Unterschriften

Trotzdem hatte das ukrainische Parlament am 5. September per Gesetz die Pflicht zur Abgabe von elektronischen Einkommenserklärungen für Beamte wieder eingeführt. Zwei Vorschriften stießen jedoch auf Kritik: Zum einen sollten die Einkommenserklärungen für ein weiteres Jahr nicht öffentlich einsehbar sein. Zum anderen sollten bei Falschangaben lediglich Geldstrafen drohen.

Besonders die ukrainische Zivilgesellschaft reagierte verärgert: Innerhalb von nur drei Tagen unterschrieben 85.000 Menschen eine Petition, in der sie Präsident Selenski aufforderten, Einkommenserklärungen wieder öffentlich zugänglich zu machen. Dieser reagierte prompt: „Die Erklärungen müssen sofort öffentlich einsehbar werden. Nicht erst in einem Jahr“, begründete der Präsident sein Veto und gab das Gesetz ans Parlament zurück.

Ukrainische Experten gehen davon aus, dass sich die Abgeordneten noch in diesem Monat erneut mit dem Thema befassen werden. Für Selenski ist es wichtig, noch vor seinem Besuch bei der UN-Generalversammlung in den USA zu einer Lösung zu kommen. Dort wird er vor­aussichtlich auch mit dem amerikanischen Präsidenten Joe Biden zusammentreffen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

16 Kommentare

 / 
  • "Das Gesetz gilt als einer der wichtigsten Schritte bei der Umsetzung von Anti-Korruptions-Reformen in der Ukraine."

    Die von der EU als Eintrittsvoraussetzung gefordert werden.

    Aber keine Panik, Oligarchen: sobald ihr drin seid, könnt ihr das wieder rückgängig machen. Sieht man ja bei CDU/CSU und Fidesz.

  • Mit Interesse verfolge ich die Artikel des Autors,



    der ukrainische Innenpolitik ( und Außenpolitik) beschreibt.



    Es sollte selbstverständlich sein, dass ein Land, das



    " zu 60% von ausländischen Geldgebern abhängig" ist, unter entsprechender Beobachtung Zwecks der Verwendung der Mittel steht.



    Herr Konkewitsch erlaubt sich auch mal Kritik an der ukrainischen Regierung, ein Umstand, der in der jounalistischen Landschaft seinesgleichen sucht.

  • Wäre das mit EU-Datenschutzregelungen vereinbar?

    • @meerwind7:

      Natürlich geht das, wenn man will. Schweden hat eine viel weitergehende Regelung, ein öffentliches Steuer- und Schuldenkataster, über das, bei Interesse, jeder die finanziellen Verhältnisse von jedem herausfinden kann.

    • @meerwind7:

      Vieles ist mit EU Regeln nicht vereinbar (siehe zb auch Minderheitenschutz von Einwohnern mit ungarischen, rumänischen, polnischen und russischen Wurzeln), aber es interessiert halt niemanden.

      • @Alexander Schulz:

        Auf welche Regeln beziehen sie sich konkret?

        • @Machiavelli:

          Da gäbe es viele Beispiele. Der Einfachheitshalber nehmen wir einfach Mal ein Beispiel der Sprachdiskriminierung, dass die Minderheitenrechte der Ungarn, Rumänen, Roma und Russen betrifft.



          Ist ja schon ein Streit zwischen Ungarn, Rumänen und Ukraine seit spätestens 2017, aber es interessiert sich niemand dafür, weil es nicht in unserer idealisiertes Ukrainebild passt:

          www.sueddeutsche.d...nderheit-1.5228517

  • Es wird auch Selenskj nicht gelingen die Korruption in der Ukraine zu beseitigen. Die ist Bestandteil der dortigen Macht.

    • @Frankenjunge:

      Würd ich nicht drauf wetten: hat auch niemand geglaubt, dass die Ukraine mit Russland fertig wird. Und wenn das Risiko besteht, dass Korruption die Unterstützung durch EU und NATO gefährdet, dann, denke ich, werden die nicht lange fackeln.

    • @Frankenjunge:

      Und vielleicht sollte man im Zusammenhang Korruption bzw schwarze Konten auch Selenski etwas kritischer unter die Lupe nehmen!?

    • @Frankenjunge:

      Korruption können Sie nicht einfach von oben abschaffen.

      In den von Korruption zerfressenen Gesellschaften ist entscheidend, dass die Bevölkerung mitspielt, das heißt mindestens toleriert.

      Wenn sich das in der Ukraine ändert, wäre das bereits ein Riesenerfolg.

      Die Leute mit Machtpositionen wären dann gezwungen, ihr Verhalten zu ändern.

      Völlig beseitigen lässt sich Korruption nicht.



      Deutlich weniger würde den Ukrainern vielleicht schon reichen.

    • @Frankenjunge:

      So wie in Deutschland? Lief ja alles sauber im Bezug auf Nordstream...

      • @Machiavelli:

        Legen Sie doch mal Beweise vor oder haben Sie keine?

      • @Machiavelli:

        Sie können doch nicht ein Land wie Deutschland mit der Ukraine vergleichen.

        • @Alexander Schulz:

          Die Deutsche Russlandpolitik seit 2014 ist für mich ein Immenses Zeichen von Korruption und wir bräuchten eine unabhängige Kommission die russische Agenten und korrupte Elemente in Staat, Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien identifiziert und zur Rechenschaft zieht. Wobei dies zu einer Institution umgebaut werden sollte gibt ja auch die Union mit ihren Azerbaijan Abgeordneten etc. Ich glaube das in Deutschland ganz massiv Korruption gibt, nur keine Wahrnehmung dafür.

          • @Machiavelli:

            In sämtlichen Korruptionsrankings schneidet Deutschland überproportional gut ab. Natürlich gibt es Korruption auch hier, aber das lässt sich doch nicht mit der Ukraine vergleichen. Waren Sie schon Mal in der Ukraine oder Russland? Da ist die Korruption selbst für Neuankömmlinge am ersten Tag sichtbar.