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Kommentar Türkei und Nato-TagungErdoğans verlogenes Spiel

Andreas Zumach
Kommentar von Andreas Zumach

Das Ergebnis der Nato-Tagung spielt dem türkischen Präsidenten in die Hände. Die Bekämpfung des „Islamischen Staats“ wird immer grotesker.

Ohne Konzept: Die Nato lässt die Türkei machen. Foto: reuters

D ie Nato-Tagung am Dienstag und die Umstände ihrer Einberufung durch die Türkei haben die immer groteskeren Widersprüche der Politik zur Bekämpfung des „Islamischen Staats“ deutlich gemacht. Und sie hat den Unwillen der Nato-Mitglieder demonstriert, daraus Konsequenzen zu ziehen im Interesse einer erfolgversprechenden Strategie zur Überwindung des islamistisch gestützten Terrorismus im Krisenbogen von Marokko bis Pakistan.

Die Abschlusserklärung der Nato-Tagung kann der türkische Präsident Erdoğan sogar als Placet der 27 Bündnispartner interpretieren, sein verlogenes Doppelspiel der tatkräftigen Unterstützung des Islamischen Staates (IS) bei gleichzeitiger symbolischer Bekämpfung fortzusetzen.

Der IS kann das türkische Territorium weiterhin ungehindert nutzen für den Nachschub von Waffen und neuen Kämpfern aus Europa sowie für den profitablen Verkauf von Öl und Antiquitäten. Zugleich fliegt die türkische Luftwaffe symbolische Angriffe gegen einige ausgewählte Stellungen des IS, konzentriert sich vor allem aber auf den Krieg gegen die türkisch-kurdische PKK sowie demnächst sehr wahrscheinlich auch gegen die syrische Kurdenmiliz YPG.

Die wiederum gilt bislang vor allem den USA als wichtiger Verbündeter im Kampf gegen den IS. Wegen all dieser Widersprüche sowie angesichts der realen Machtverhältnisse entlang der syrisch-türkischen Grenze hat die zwischen Washington und Ankara im Vorfeld der Nato-Tagung erwogene Schaffung einer vom IS befreiten „Sicherheitszone“ auf der syrischen Grenzseite kaum eine Chance auf Realisierung.

Es ist nicht auszuschließen, dass Erdoğan mit seiner zynischen Politik die nächsten Wahlen für sich entscheiden kann. Langfristig stärkt der türkische Präsident mit seiner Politik allerdings das von ihm abgelehnte Bestreben der kurdischen Volksgruppen in der Türkei, Syrien, im Irak und auch im Iran nach einen eigenen gemeinsamen Staat.

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Andreas Zumach
Autor
Journalist und Buchautor, Experte für internationale Beziehungen und Konflikte. Von 1988-2020 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf und freier Korrespondent für andere Printmedien, Rundfunk-und Fernsehanstalten in Deutschland, Schweiz,Österreich, USA und Großbritannien; zudem tätig als Vortragsreferent, Diskutant und Moderator zu zahlreichen Themen der internationalen Politik, insbesondere:UNO, Menschenrechte, Rüstung und Abrüstung, Kriege, Nahost, Ressourcenkonflikte (Energie, Wasser, Nahrung), Afghanistan... BÜCHER: Reform oder Blockade-welche Zukunft hat die UNO? (2021); Globales Chaos-Machtlose UNO-ist die Weltorganisation überflüssig geworden? (2015), Die kommenden Kriege (2005), Irak-Chronik eines gewollten Krieges (2003); Vereinte Nationen (1995) AUSZEICHNUNGEN: 2009: Göttinger Friedenspreis 2004:Kant-Weltbürgerpreis, Freiburg 1997:Goldpreis "Excellenz im Journalismus" des Verbandes der UNO-KorrespondentInnen in New York (UNCA) für DLF-Radiofeature "UNO: Reform oder Kollaps" geb. 1954 in Köln, nach zweijährigem Zivildienst in den USA 1975-1979 Studium der Sozialarbeit, Volkswirtschaft und Journalismus in Köln; 1979-81 Redakteur bei der 1978 parallel zur taz gegründeten Westberliner Zeitung "Die Neue"; 1981-87 Referent bei der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, verantwortlich für die Organisation der Bonner Friedensdemonstrationen 1981 ff.; Sprecher des Bonner Koordinationsausschuss der bundesweiten Friedensbewegung.
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15 Kommentare

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  • Die Analysen von Zumach gehören zum Besten der taz! Von ihm würde ich mir aber eine genauere Behandlung des Themas Erdogan erwarten, nicht so hingeschluderte Kommentare, ohne neuen Erkenntniswert.

  • ja: ist ne´ zynische Politik des Herrn Erdogan..

    Die Kurden sind ja ein historisch wesentliches Element des `osmanischen Reiches´.. sind sowas wie Brüder und Schwestern der Türkei..

    Erdogan kønnte genausogut mit ausgebreiteten Armen und Ideen des Friedens auf die Kurden zugehen!

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    Aber? Er giesst Öl ins Feuer...

    Er bedient Machtphantasien.. die im Lichte der entstandenen zivilen Kurdengebiete im Osten von Ex Iraq unmøglich sind...

    ISis `freut sich´ .. noch mehr gemordete, noch mehr Flüchtlinge...

  • Und alle anderen Regierungen, die auf den Leben, Hoffnungen und Bedürfnissen der Syrierinnen und Syrer rumtrampeln.

    Sie spielen auch ein verlogenes Spiel.

  • hallo. soll das ein fundierter weil guter recherche zugrunde liegender kommentar sein?

    es wird immer obszöner.

  • "Die wiederum gilt bislang vor allem den USA als wichtiger Verbündeter im Kampf gegen den IS."

     

    Die ML- orientierte YPG (PYD) im "Bündnis" mit den USA - klingt abgefahren. Ich sach ma, die ham nen gemeins. Feind, mehr nicht. Und wenn der weg ist, na da aber..........

  • Das ist schon ein "Ding": Die Nato als Wahlkampfzugpferd für Erdogan. Besser kann es für ihn mit Blick auf die angestrebte Wahlkorrektur im Herbst nicht laufen!

     

    Merkels mahnendem Zeigefinger kann er da erheitert mit seinem Nato - "Stinkefinger" kontern. Immerhin hat ihr Angebot einer "privilegierten Partnerschaft" anstatt angestrebter EU-Mitgliedschaft nicht unerheblich beigetragen, erst die Verhältnisse zu verschärfen und den von der Türkei bis dato eingeschlagenen westlich-demokratischen Weg zu verlassen.

     

    Ist zwar schon einige Zeit her. Ich bin mir jedoch sehr sicher, dass in der Türkei eine andere politische Entwicklung stattgefunden hätte.

  • Die eigentliche Frage ist, was die USA eigentlich will, ob es einen geheimen Deal mit der Türkei gibt (Stillhalten bis zur Neuwahl) und wie lange die eigentlich gut unterrichteten US-Geheimdienste sich von Erdogan verarschen lassen wollen. Soll die Türkei die YPG in Nordsyrien militärisch ersetzen und den IS mit Bodentruppen bekämpfen? Kaum vorstellbar, daher wird die Pseudo-Allianz der USA mit der YPG bestehen bleiben und die AKP bombardiert va. symbolisch im Irak und in der Türkei, provoziert PKK-Terroranschläge und hofft auf ein besseres Wahlergebnis bei Neuwahlen, das alles ohne demokratische Legitimation. Wenn denn der IS in der Türkei still bleibt. Sollten weiter Waffen und Personal an den IS durch die Türkei und die eventuelle "Sicherheitszone" fließen, dann dürfte der Deal mit den USA platzen. Wenn die Türkei die Blockade durchsetzt, wird der IS mit heftigen Terroranschlägen in der Türkei reagieren, denn er verliert derzeit in Irak und auch in Syrien massiv an Boden und braucht den ständigen Nachschub an internationalen Volltrotteln für Selbstmordanschläge und Sexsklavinnen. Erdogan lag bisher zuverlässig falsch mit allen seinen außen- und innenpolitischen Aktionen der letzten Jahre. Man kann also davon ausgehen, dass er wieder sehr tief in die Scheiße greift.

  • "Verlogenes Spiel" würde ich das jetzt nicht nennen. Erdoğan stellt doch klar, worum es ihm hauptsächlich geht - die Bekämpfung der PKK. Den IS sieht er nur als untergeordnetes Problem, wenn überhaupt als Problem. "Verlogen" ist hier nur die Position der Amerikaner, die sich für ihren Nato-Stützpunkt in der Türkei beliebig verdrehen.

    • @Rainer B.:

      Nicht so leicht, in einer Pokerrunde den Lügner auszumachen. Wäre ja auch ok, ginge es in analogen Runden nur ums liebe Geld. Sind politisch organisierte Verbrecher beim Machtpoker, gehts auch darum, aber eben auch ums blanke Überleben..nein nicht der Zocker..

      Wenn wir also abgeklärt über Obama, Erdogan und den Rest spekulieren, dann an erster Stelle aus einem Grund: Wir werden grad nicht von Kugeln, Bomben oder Drohnen zerfetzt. Zum IS nur eines, er wurde, zu nicht unerheblichem Anteil aus Kalkül gefördert, durch den "Krieg gegen den Terror"initiiert, und seine Gefährlichkeit lässt sich sehr einfach einschätzen. Würde er tatsächlich gefährlich, wären seine Tage gezählt. Die USA haben wenig Grund, die vielen Anlässe zum Intervenieren in dieser fernen Region zu minimieren oder gar zu beseitigen. Und für den militärisch-industriellen Komplex gibt's nicht Paradiesischeres als endlosen, chronischen Bürgerkrieg.

    • @Rainer B.:

      Das sehe ich ganz ähnlich. Zumindest frage ich mich allen Ernstes, welche "immer groteskeren Widersprüche" Andreas Zumach ausgemacht zu haben meint im Verhalten Erdoğans..

       

      Die Bekämpfung des IS hat schlicht keine Priorität für den Mann. In "seinem" Land fühlt er sich derzeit noch vollkommen sicher. Erdoğan soll früher selber militanter Islamist gewesen sein. Vermutlich sieht er die IS-Kämpfer als "Glaubensbrüder" an, als eine Art Junge Wilde, die man schon wird einfangen können wenn das nötig wird. Auch "seine" Generäle werden dem Herrn Präsidenten wohl glaubhaft versichert haben, mit den paar Halsabschneidern würden sie schon fertig werden, falls die später mal nicht hören wollen auf den einzig wahren Führer. Vor den Kurden hingegen fürchtet sich Herr Erdoğan schon ziemlich lange. Ein nicht ganz kleiner Teil der Kurden nämlich will die Autonomie. Diese Leute wollen Erdoğan einen Teil "seines" Landes wegnehmen in seinen Augen. Eine möglichst große Türkei aber ist das, was er am dringendsten braucht für seinen Anspruch das „islamische Morgenland“ zu führen.

       

      Derzeit sind die kurdischen Kämpfer gerade schwer mit dem IS beschäftigt, weil der ihre Brüder und Schwestern im Irak und in Syrien massakriert. Genau das aber macht sie für Erdoğan zum idealen Angriffsziel. An zwei Fronten gleichzeitig zu kämpfen, ist sehr anstrengend. Es verschafft dem Gegner einen Vorteil. Militärstrategen wissen das.

       

      Erdoğan versucht offenbar, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Taktisch mag das nicht ganz blöd sein für einen, dem die eigenen Interessen über alles gehen. "Im Interesse einer erfolgversprechenden Strategie zur Überwindung des islamistisch gestützten Terrorismus im Krisenbogen von Marokko bis Pakistan" ist es natürlich wirklich nicht. Aber das ist, wie gesagt, nur dann ein Widerspruch, wenn man DIE NATO ist und sich einbildet, die sogenannte Bündnistreue müsse jedem, der dazu gehört, das wichtigste im Leben sein.

  • Guter Kommentar. Die Türkei spielt aber auch mit ihrer Mitgliedschaft in der NATO, denn Erdogan hat aus dem Bündnis ein Kasperltheater gemacht, wenn auch nur für einen Tag. Und vielen Europäern dreht sich der Magen um, wenn sie sich ansehen, was der Kampf gegen den IS in Wirklichkeit ist: Ein Feldzug gegen die Minderheit der Kurden. Mindestens in Syrien könnte Erdogan damit auch noch grandios scheitern.

  • 3G
    3784 (Profil gelöscht)

    Der Staatsbürger in Uniform Arm in Arm mit dem türkischen Großwesir Isnogud, um den IS aus seiner Bedrängnis zu befreien. NATO, Großwesir und Kalif Abu Bakr al-Baghdadi im Bruderkuss vereint.

  • Das nenne ich fortgeschrittenen Zynismus. Nachdem die Kurden in Kobane und anderswo für die Amis die Drecksarbeit am Boden erledigt haben, darf Erdogan sie jetzt aus innenpolitischen Gründen zusammenschießen.

  • Die "IS-freie" Zone in Nordsyrien bedeutet für Erdogan eine von der Türkei kontrollierte Zone. Der IS könnte das tolerieren, da Erdogan die Hauptfeinde des IS - die Kurden - bekämpft. Damit kann Erdogan seinen Machtbereich ausdehnen. Er kann den Kurden die Basis für einen eigenen Staat (zunächst in Nordsyrien) nehmen und tut den USA den Gefallen, den IS ein wenig zurückzudrängen.

    Während sich die Kurden durch die Bekämpfung des IS eine Eigenständigkeit in den vom IS befreiten Gebieten erkämpften, will Erdogan genau dies verhindern. Mit der eigenen nominalen Bekämpfung des IS will er den USA den Grund nehmen, die Kurden zu unterstützen und kann gleichzeitig das von ihm kontrollierte Territorium ausdehnen.